Äthiopiens Präsident
Abiy Ahmed wurde international mit dem Friedensnobelpreis 2019 ausgezeichnet,
daheim zunächst als eine Art Messias gefeiert. Seit er jedoch das Land in einen
blutigen Bürgerkrieg stürzte, mehren sich die Zweifel an seinem Glanz.
Der Abstieg des Friedenshelden zum brutalen Kriegsherren
begann vor einem Jahr im November 2020 mit seinem militärischen Einfall in den
aufmüpfigen nordäthiopischen Bundesstaat Tigre. Zunächst rückten die
Regierungstruppen aus Addis Abeba dort siegreich vor. Sie brachten zwar Befreiung
von dem Regime der Provinzgrössen, doch vor allem eine verheerende Hungersnot.
Obwohl sich seitdem das Kriegsglück gewendet hat und die
Tigre-Volksbefreiungsfront TPLF bis tief in den Süden zurückschlagen konnte,
gibt es in der Heimat weiter viel zu wenig Essen. Die Menschen versuchen, sich
von Blättern der Bäume zu ernähren. Denn noch immer greift im Norden die
Blockade von Abiy Ahmeds Regime. Nach einem Bericht von Dr. Hagos Godefay sind
jetzt an einem einzigen Tag in den 24 Spitälern von Tigre fast 200 Kinder an
Unterernährung gestorben.
Ehrgeizige Präsidentengattin
Zu wenig Nahrung war in Tigre schon seit der grossen
Hungersnot von 1980 ein Problem geblieben. Neun Prozent der Kinder waren unterernährt.
Doch seit Kriegsbeginn sind daraus 29 Prozent geworden, wie die Universität von Tigres
Regionalhauptststadt Mekelle ausweist. Hatten früher noch 60 Prozent der Haushalte
genügend Nahrung, so ist diese Zahl im letzten Jahr auf 14 Prozent gesunken.
Pfingstgemeinden in Tigre haben daher im Lauf des Konfliktes mehrmals in Frage
gestellt, dass Regierungschef Abiy Ahmed und seine Frau Zinash Tayachew
tatsächlich die aktiven Pfingstchristen sind, als die sie hingestellt werden.
Beide haben an diesem 3. November, dem Jahrestag des
Einfalls in das abtrünnige Tigre, in Addis Abeba mit Kerzen in der Hand eine «Nachtwache für den Sieg» angeführt. Zinash lässt sich als äthiopische First
Lady hofieren, obwohl dieser Titel eigentlich der Staatspräsidentin zukäme. Sie
hat ihr eigenes Medienbüro, das auch ihre Lieder vermarktet. Die entsprechen
eher dem Afro-Pop, sollen aber auch in einer ungenannten evangelischen Kirche
von Addis Abeba vorgetragen werden. Jedenfalls ist die Gattin des Premiers die
starke, ehrgeizige Frau hinter Abiy Ahmed.
Zahlreiche Christen verhaftet
Was Abiy Ahmed betrifft, hängt der Stimmungsumschwung von
Begeisterung zu immer lauterer Kritik natürlich mit dem militärischen
Rückschlag im Kampf gegen die TPLF und dessen Ausweitung zu einem
gesamtäthiopischen Bürgerkrieg zusammen. Neuestens wird die Zentralregierung
von allen Seiten durch eine Allianz aus neun Befreiungsbewegungen bedrängt, die
sich «Vereinigte Front der äthiopischen Föderalisten und Konföderalisten»
nennt. Ihre Hauptkraft ist die «Oromo Befreiungsarmee» (OLA). Die Oromo, früher
Galla genannt, sind des Ministerpräsidenten eigenes Volk.
Bei den Oromo sind nach Tigreanern und Amharen die meisten
Christen zu finden, ein Viertel von ihnen in evangelischen Freikirchen. Es hat
Abiy Ahmed, der sich immer wieder als Oromo bezeichnet, sehr geschadet, dass
von seinen «Aufräumaktionen» verdächtiger Elemente fast nur Christen betroffen
sind, Evangelische, Orthodoxe von der äthiopischen Traditionskirche Tewahedo und auch Katholiken. Die Verhaftung fast aller katholischen Mitglieder und
Mitarbeiter des Salesianerordens hat auch über Äthiopien hinaus für Entrüstung
und Zweifel am christlichen Glauben des Ministerpräsidenten gesorgt.
Muslimischer Vater, christliche Mutter
Wie Diplomaten aus Addis Abeba berichten, werden dafür immer
mehr Gründe angeführt. So trage er keinen christlichen Namen: Ahmed sei
eindeutig islamisch, Abiye bedeute «Revolution». So wurden Kinder nach dem
Sturz von Kaiser Haile Selassie 1974 während der kommunistischen Herrschaft des «Derg» genannt. Abiy Ahmeds Vater war ein Muslim mit vier Frauen. Nach
islamischem Religionsrecht bleibt daher auch er Muslim. Die Mutter war
zwar äthiopische Christin, durfte das aber im Familienleben und bei der
Kindererziehung nicht hervorkehren.
Muslimisches Fundament zeigt Wirkung
Es spricht also alles dafür, dass das 13. Kind des
Muslimvaters auch islamisch aufgewachsen ist. Seine Kritiker stellen die
Lauterkeit des späteren Beitritts zur pfingstlichen «Full Gospel Believers
Church» nicht in Frage. Sie hinterfragen nur, inwieweit sich das islamische
Fundament seiner Jugend doch weiter auf den Politiker Abiy Ahmed auswirke.
Seine Vermittlung zwischen islamistischen Militärs und Demokraten wie Christen
im Sudan von 2019 war mit ein Grund für den Friedensnobelpreis. Inzwischen hat
sich aber erwiesen, dass dieser Kompromiss die jetzige Rückkehr der
Muslim-Diktatoren an die Macht begünstigte.
Als eine seiner ersten Massnahmen hat Abiy Ahmed die
Diplomatin Sahle-Work Zewde zur Staatspräsidentin gemacht. Die Welt jubelte
über die erste Frau an Äthiopiens Spitze. Fast niemand nahm wahr, dass es sich
um eine engagierte Muslimin handelte. Während in Tigre die Christen verhungern,
verteilt sie reichlich Speisen und sogar Süssigkeiten im mohammedanischen
Viertel Massalamiya von Addis. Kein Wunder, dass im akuten Bürgerkrieg die
Muslime geschlossen auf der Seite des Regimes Abiy Ahmed - Zinah Tayachew -
Sahle-Work Zewde stehen.