Bürger zweiter Klasse

Christen im Mutterland des Arabischen Frühlings isoliert

Vor zehn Jahren schwappte der Arabische Frühling von Tunesien aus in Richtung Arabische Halbinsel. Für die Christen im nordafrikanischen Ursprungsland hat sich jedoch wenig geändert. Glaubensfreiheit herrscht weiterhin nicht, der Staatspräsident muss
Revolution in Tunesien 2010/2011 (Bild: Wikipedia / CC BY-SA 3.0)

beispielsweise ein Muslim sein.

Ein Jahrzehnt nach der tunesischen Revolution beschreibt ein neuer Menschenrechtsbericht detailliert die unterdrückte Religionsfreiheit für Christen und andere Glaubensminderheiten in dem mehrheitlich muslimischen Land. Weiter dokumentiert er Fälle, in denen Nachfolger Jesu schikaniert, auf die Strasse gezerrt, bedroht und verhaftet wurden.

Das Komitee für Religionsfreiheit der tunesischen Attalaki-Vereinigung für Freiheit und Gleichheit veröffentlichte in diesen Tagen den Jahresbericht über die Religions- und Glaubensfreiheit in Tunesien für das Jahr 2020. Die tunesische Organisation wurde 2016 gegründet, um zum Dialog zwischen den Religionen aufzurufen und den Stimmen der religiösen Minderheiten Gehör zu verschaffen.

Noch ein Papiertiger

Der neue Bericht erläutert, dass der Umgang mit Pluralismus in Tunesien eine Herausforderung geblieben ist, obwohl es mehr als zehn Jahre her ist, seit der tunesischen Revolution, die das Regime des damaligen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali beendete und zu den Protesten des Arabischen Frühlings im gesamten Nahen Osten führte sowie den Prozess der tunesischen Demokratie einleitete.

Der Bericht teilte mit, dass die tunesische Verfassung von 2014 die erste Verfassung eines arabischen Landes ist, die «explizit die Gewissensfreiheit verankert».

Dennoch macht sie den Islam zur Staatsreligion und legt fest, dass der Präsident Muslim sein muss. Religiöse Minderheiten werden auch von Positionen in der Regierung und im Militär ferngehalten. 

Isoliert aus Angst

Auch wenn die Verfassung der Zweiten Republik besagt, dass «der Staat der Hüter der Religion ist» und «die Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert», ist die freie Religionsausübung in Tunesien für religiöse Minderheiten durch mehrere Faktoren weiterhin beschränkt. 

Viele Christen in Tunesien leben ihren Glauben in Isolation aus Angst vor Repressalien von Familienmitgliedern oder der Gesellschaft und haben oft Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, so der Bericht weiter. Viele Minderheiten haben weiterhin das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, die aufgrund der fehlenden Sicherheit von einigen Bürgerrechten ausgeschlossen sind.

Der Staat ignoriert Fragen der Religionsfreiheit oft und eine Politik zum Schutz der Christen, Juden, Baha'is und anderen Glaubensminderheiten existiert praktisch nicht. Zusätzlich stellt der Bericht fest, dass Hassreden gegen religiöse Minderheiten weit verbreitet sind.

Seit Beginn der Corona-Massnahmen in Tunesien am 22. März 2020 hat der Verein Attalaki «eine völlige Missachtung des Status religiöser Minderheiten durch staatliche Institutionen beobachtet». Glaubensminderheiten fehlt der rechtliche Rahmen, der ihre freie Religionsausübung schützt, so der Bericht weiter. Dies fördere Hassreden und Extremismus.

Druck in letzten Jahren gestiegen

«Die Bedrohungen, denen nicht-muslimische Tunesier ausgesetzt sind, sind ein Produkt der rechtlichen Missachtung des Status dieser halbmarginalisierten Minderheiten.» Am Ende des Berichts gab die Attalacki Association Empfehlungen an die offiziellen staatlichen Institutionen bezüglich der Religionsfreiheit.

Das Hilfswerk für verfolgte Christen Open Doors berichtet, dass der durchschnittliche Christ in Tunesien ein sehr hohes Mass an Verfolgung erfährt, besonders für Christen mit muslimischem Hintergrund. Demnach leben etwa 23'000 Christen bei einer Bevölkerung von 11,9 Millionen in Tunesien, über 99 Prozent der Bevölkerung praktiziert den Islam. Die meisten Muslime sind Anhänger des sunnitischen Islam. Auf dem aktuellen Weltverfolgungsindex liegt das Land auf Platz 26 und verschlechterte sich damit von Position 34 des vorangegangenen Berichts. Dies weil die Gewalt gegen Christen und die Zerstörung von christlichen Häusern, Geschäften und Besitztümern zugenommen hat.

Zum Thema:
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Datum: 08.03.2021
Autor: Emily Wood / Daniel Gerber
Quelle: Christian Post / Übersetzung: Livenet

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