Nachgefragt

So ist Afrika zu helfen

Afrika-Hilfe - bei diesem Thema schlugen im Bundesrat die Wellen hoch. Ein afrikanischer Ökonom meint sogar, diese Hilfe zerstöre den Kontinent. Livenet befragte mehrere Leiter von christlichen Hilfswerken, wie ihrer Ansicht nach gute Arbeit vor Ort aussieht.
Der kenianische Ökonom James Shikwati fordert, dass weniger Entwicklungshilfe geleistet wird - oft schade sie nur.
Walter Diem, Leiter der SIM: "Gute Hilfe gibt Verantwortung an Einheimische ab."
Jürg Pfister, Co-Leiter der SAM: "Die Leute sollen erkennen, dass sie ihr Leben beeinflussen können, und sich nicht einfach ihrem Schicksal ergeben."
Der Leiter von Vision Africa, Fritz Huber, packt selbst an.

Im letzten Herbst nahm Christoph Blocher die Schweizerische Entwicklungshilfe in Afrika ins Visier. Aufgrund fehlender positiver Resultate könne sie eingestellt werden, soll er gesagt haben. Möglicherweise könne Afrika sich selbst überlassen werden.

Darauf habe ihm Aussenministerin Michelin Calmy-Rey Unkenntnis der Sache vorgeworfen und in einem Interview mit Radio DRS gesagt, der Schwarze Kontinent dürfe eben nicht sich selbst überlassen werden. Jährlich würden rund 400 Millionen Franken aus unserem Land nach Afrika fließen, und das sei gut investiertes Geld.

"Schadet seit 40 Jahren"

Anders äussert sich der kenianische Ökonomen James Shikwati. Im Buch von Spiegel-Redakteur Thilo Thielke "Krieg im Lande des Mahdi" fordert er weniger Entwicklungshilfe und spricht von einer Fehleinschätzung, die Afrika seit vierzig Jahren schade: "Wenn die Industrienationen den Afrikanern wirklich helfen wollten, sollten sie endlich diese furchtbare Hilfe streichen. Den Ländern, die die meiste Entwicklungshilfe einkassiert haben, geht es am schlechtesten."

Seine Begründung: Entwicklungshilfe schwäche die einheimischen Märkte und den Unternehmergeist und fördere dagegen Korruption und Selbstgefälligkeit. "Wenn sie abgeschafft würde, bekäme das der kleine Mann gar nicht mit. Nur die Politbonzen oder Bürgerkriegsarmeen, die sich auf diese Weise finanzieren, wären schockiert. Darum behaupten sie, die Welt ginge unter ohne Hilfe."

Hilfe als Konkurrenz

James Shikwati kritisiert gegenüber Thilo Thielke das Welternährungsprogramm (WFP) der UNO: "Eine riesige Behörde von Apparatschiks, die sich in der absurden Situation befinden, sich zwar dem Kampf gegen den Hunger verschrieben zu haben, aber alle arbeitslos wären, würden sie den Hunger tatsächlich beseitigen."

Naturgemäss nähmen sie die Bitte nach mehr Hilfe nur allzu bereitwillig auf, "fordern nicht selten noch ein bisschen mehr, als es selbst die afrikanische Regierung getan hat, und leiten das Hilfeersuchen an ihre Zentrale weiter. Dann werden Millionen und Abermillionen Tonnen von Mais oder anderen Naturalien nach Afrika verschifft. Ein Teil davon landet direkt in den Händen skrupelloser Politiker, die es an ihren eigenen Stamm weiterleiten und so Wahlkampf betreiben."

Anderes lande auf dem Schwarzmarkt und werde dort zu Dumpingpreisen verscherbelt. "Einheimische Bauern können die Hacke gleich aus der Hand legen, mit dem World-Food-Programm können sie nicht konkurrieren", folgert Shikwati. In keinem Land südlich der Sahara müsste gehungert werden. Bodenschätze seien überreich vorhanden, und der Nil führe unglaubliche Mengen Wasser durchs Land - immerhin der Nil der zweitlängste Fluss der Welt.

Wir fragten drei Leiter von christlichen Hilfswerken, wie ihrer Meinung nach gute Entwicklungshilfe aussieht.

Walter Diem, Leiter der "Serving in Mission" (SIM)

Afrika braucht Hilfe; sie nicht zu leisten wäre megagemein. Hilfe kann aber auch demobilisieren, wenn sich der Empfänger zum Beispiel sagt: "Es lohnt sich nicht, etwas zu tun. Das Essen kommt sowieso, ich wäre ja blöd." Das macht ihn dann noch ärmer. Staatlicher Hilfe gegenüber habe ich aber Vorbehalte.

Wirksame Hilfe geschieht dann, wenn ich mich auf die Ebene des Empfängers stelle und er sieht, dass ich ihn als Mensch akzeptiere. Das stärkt seinen Selbstwert und fordert seine Initiative heraus. Er sieht, dass wir zusammen etwas erreichen wollen. Dieser Eindruck ist sehr nötig, seit den Zeiten von Sklavenhandel und Kolonialismus fühlen sich viele Afrikaner von den Europäern veräppelt. Sie haben ihnen ja auch fast alle Staatsgrenzen gezogen.

Gute Hilfe gibt Verantwortung an Einheimische ab. Geschieht das nicht und liefere ich nur Geld, dann bricht alles zusammen, sobald ich den Hahn zudrehe. Ehrlichkeit gehört auch dazu. Bestechungen lassen auf einen tiefen moralischen Standard schliessen.

Jürg Pfister, Co-Leiter der Schweizer Allianz-Mission (SAM)

Viele Afrikaner riskieren ihr Leben, um nach Europa zu kommen. Auf überfüllten Schiffen überqueren sie unter Lebensgefahr das Meer. Statt zu überlegen, wie wir die Grenzen besser schützen könnten, wäre sinnvoller, den Leuten in Afrika eine Perspektive zu geben und mit guter Entwicklungszusammenarbeit Hoffnung zu machen.

Wichtig ist, dass neben der materiellen Hilfe auch ein Umdenken stattfindet. Die Leute sollen erkennen, dass sie ihr Leben beeinflussen können, und sich nicht einfach ihrem Schicksal ergeben.

Heute spricht man nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammenarbeit. Eigenbeteiligung ist wichtig. Baut man ein Gesundheitszentrum auf, sollte die Dorfbevölkerung ihren eigenen Beitrag leisten und Baumaterial herschaffen: Sand, Steine, Holz. Denn dann ist es ihr eigenes Zentrum, auf das sie stolz sind und für das sie geschwitzt haben. Gibt man nur Geld und zieht es alleine durch, ist die Gefahr gross, dass ohne dieser Hilfe von aussen alles zusammenfällt.

Es gilt, die wirklichen Bedürfnisse wahrzunehmen. Manchmal sehen wir aus dem Westen "Bedürfnisse", die für die Menschen selber gar keine sind. Umgekehrt gibt es auch wichtige Dinge, die sie selber nur nicht wahrnehmen, zum Beispiel sauberes Wasser. Bei Wurmtabletten stehen die Leute Schlange. Bietet man Wasserfilter an, interessiert das nur wenige. Und doch ist das wirkliche Bedürfnis sauberes Wasser und nicht Wurmtabletten.

Fritz Huber, Leiter von Vision Africa

Die Projekte, die wir aufgebaut haben, begleiten wir eine Zeitlang und ziehen uns danach am liebsten zurück. Wir unterstützen die Einheimischen, damit ihr Leben lebenswerter wird. Dazu brauchen wir nicht riesige Geldmengen zu senden, sondern Menschen, die mit den Afrikanern zusammenarbeiten. Es ist wichtig, dass sie so schnell wie möglich Verantwortung tragen.

Und man muss schauen, was sie selber wollen, nicht, was wir wollen. Denn dann ist es wirklich auch ihre eigene Sache, und sie sind ganz dabei. In Burkina Faso halfen wir beim Aufbau einer Schule für Zeltmacher. Inzwischen läuft sie ganz unter afrikanischer Leitung. Es ist ein guter Betrieb, in dem man fünf Berufe erlernen kann.

Auch haben wir direkten Kontakt zu den Leuten, die vor Ort arbeiten. Wenn es ein Problem gibt, läuft das nicht erst noch über mehrere Stellen. Die Wege sind kurz, und man kann rasch entscheiden.

Datum: 21.06.2007
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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