Künstliche Hungersnot

So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus

Es ist ein Skandal: Der Südsudan könnte Nahrungsmittel exportieren. Durch eine künstliche Hungersnot macht das islamische Regime des Nordens aber den Süden zu einer der ärmsten Regionen der Welt.
Hungersnot: Eine vorsätzlich herbeigeführte Tragödie.
Hunderttausende wurden vertrieben.
Hirse: Der Südsudan wäre sehr fruchtbar

Aus der Kornkammer eines Landes ist dessen Armenhaus geworden, hervorgerufen von seinen Feinden. Und die Welt schaut zu. Im fruchtbaren Süden des Landes wütet eine der entsetzlichsten Hungerkatastrophen der Welt.

Und das ist paradox. Denn der Südsudan ist sehr fruchtbar. Für eine gute Ernte fällt genug Regen, und von Mai bis Dezember, während der Regenzeit führen die Flüsse sehr viel Wasser. «Es sind also alle Voraussetzungen da für eine gute Ernte. Und als es keine Kriege gab, da war das auch so », erinnert sich Gunnar Wiebalck, Sudan-Kenner und Mitarbeiter von «Christian Solidarity International» (CSI). «Hungersnöte in diesem Gebiete sind die Ausnahme gewesen.» Es gebe in manchen Jahren weniger Regenfall. Oder in anderen Jahren zuviel, so dass die Flüsse über die Ufer treten, die Samen wegschwemmen und die Ernte zerstören. «Das Gebiet ist vom Klima her ziemlich extrem.»

Gebiet entvölkert

«Aber die laufende Hungerkatastrophe, vor allem die seit 1998, ist besonders dramatisch. Denn sie ist von Menschen verursacht – vom Norden des Sudan. Schuld sind die arabischen Truppen, diemit ihren Reitern ins Land eindringen, Milizen, die von Khartum ausgerüstet werden. Die Regierung versorgt sie mit Waffen und stellt die Pferde.»

Angetrieben werden diese durch die islamistische Ideologie, die direkt aus Khartum kommt. Diese Milizen haben tatsächlich das Land zu weiten Teilen entvölkert. Gunnar Wiebalck: «Man muss sich das so vorstellen: Der Fluss «Bar El Arab», den die Südsudanesen «Kiir» nennen, dieser Fluss bildet die Grenze zwischen dem Nord- und dem Südsudan. Er wurde nun aber wiederholt von den Truppen des Nordens überschritten, und dabei haben die das Gebiet bis von 50 Kilometer tief in den Süden hinunter vollständig entvölkert.»

Hunderttausende vertrieben

Es finde dort keinerlei Landanbau mehr statt, keine Hirse und keine anderen Kulturen. Das Land ist mittlerweile versteppt, es haben sich überall Büsche gebildet. Und, so Wiebalck weiter: «In diesem Streifen gibt es auch keine Dörfer mehr, und das auf einer Länge von mehreren hundert Kilometern, immer dem Fluss entlang. Der zieht sich weit in den Westen des Landes, fast bis in das Gebiet der Nuer. Es ist also ein sehr, sehr grosser Landstrich, der im Moment vollkommen brachliegt.»

Dazu kommen noch Vertreibungen von Menschen in den Gebieten noch weiter südlich. «Im Laufe dieser vielen Überfälle sind Hunderttausende vertrieben worden. Sehr, sehr viele sind versklavt worden. Die Unsicherheit der Leute, auch durch die Bombardierungen aus der Luft, hat dazu geführt, dass ein normaler Anbau von Saaten nicht mehr möglich ist und dass dann natürlich auch die Ernte ausfällt.»

Ethnische Säuberung

Eine künstlich angelegte Hungersnot. Und wir sprechen hier nicht vom finsteren Mittelalter, sondern von der Ist-Situation im Jahr 2004. Dem arabisch-moslemischen Norden passt der christliche und animistische schwarzafrikanische Süden nicht. Über zwei Millionen Menschen hat der Norden nun auf seinem Gewissen. Vermutet werden noch rund 200'000 versklavte. Zur Zeit morden die gleichen Milizen in Darfur. Die Welt findet es tragisch. Die UNO spricht von «ethnischer Säuberung». Nach über 20 Jahren Schweigen ...

Mitbekommen hat man die Situation bei den Vereinten Nationen freilich schon lange. Schliesslich haben diese gigantischen Überfälle, bei denen ganze Dörfer zerstört werden, von 1983 an bis vor etwa zwei Jahren fast jährlich stattgefunden. Die Leute wurden von ihrem Land vertrieben und mussten jede Landwirtschaft aufgeben. Die UNO hat inzwischen die Luftbrücke «Lifeline Sudan» eingerichtet und fliegt darüber jeden Tag Hunderte von Tonnen Hilfsgüter, meistens Hirsemehl – sogenanntes Sorgum –, in den Süden des Landes. In ein Gebiet, das sich eigentlich selbst ernähren, ja sogar exportieren könnte! Gunnar Wiebalck: «Und auch CSI hat sich beteiligt an dieser Versorgung, natürlich nicht in dem grossen Umfang wie die UNO, aber jedes Kilogramm an Hirse, das da eingeflogen wird, hat das Potential, Menschenleben zu retten.»

Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Webseite: www.csi-int.org

Datum: 08.06.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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