Lebenshilfe

«Scheitern dürfen» hält uns gesund

Viele pädagogisch Tätige stehen unter dem Druck, nicht scheitern zu dürfen. Zu Unrecht. Allein schon die Einsicht, dass Scheitern unvermeidlich ist, kann viel von diesem Druck wegnehmen. Diese Erkenntnis gilt für alle Berufe und jeden Bereich unseres Lebens.
Wer sich eingesteht, auch einmal scheitern zu dürfen, lebt gelassener.

Wir alle scheitern – an uns, an der Sache, an anderen Menschen, immer wieder, trotz bester Absicht. Doch fällt es insbesondere Menschen in erzieherischen und sozialen Berufen schwer, dazu zu stehen oder darüber zu reden. Das hat Gründe.

Belastungsstudien von Lehrpersonen machen deutlich, dass verschiedenste Faktoren eine Rolle spielen. «Gesund und wirksam im Lehrberuf» heisst deshalb eine Ringvorlesung, die im Rahmen der Berufsbildung im letzten Studienjahr an der Pädagogischen Hochschule Luzern stattfindet. Sie spricht das Spannungsfeld mit seinen vielgestaltigen Anforderungen an, mit dem die zukünftigen Berufsleute klarkommen müssen – und wie sie dabei mit ihren begrenzten Ressourcen umgehen können.

«Persönliche Fehlerkultur» lautet das Thema einer der Vorlesungen. Es geht um den Umgang mit Fehlern: den eigenen und denjenigen der Schülerinnen und Schüler. Das Ziel lautet: Weg von der «Fehlervermeidungs-Didaktik» hin zu einer «Fehleraufsuch-Didaktik». Also: Fehler dürfen sein, sie haben ein Lernpotenzial, sofern man sie auf eine konstruktive Art verwertet.

Zwischen Ideal und Realität

So weit, so richtig und wichtig, denn: Qualitätsmanagement, das vorgegebenen Standards unterliegt, und Kompetenzen-Kataloge, die den «schulischen Output» erfassen sollen, verleiten im heutigen Schulumfeld leicht dazu, von einem maximal möglichen Endzustand her ein undifferenziertes Ideal aufzubauen, dem (angehende) Lehrkräfte nicht genügen können.

Der neue Ansatz ist daher hilfreich, weil Fehler gemacht werden dürfen, aus denen man lernen kann. Doch wie gehen wir mit dem Ende der Skala um: dem Nicht-Gelingen, dem definitiven Auflaufen an Grenzen? Gerade die pädagogischen Berufe stehen letztlich unverfügbaren Prozessen gegenüber.

In unserer Gesellschaft wird eine Kultur des Gelingens gepflegt, wir verfolgen die Ziele in und ausserhalb der Schule mit grossem Aufwand – im schlimmsten Fall bis zum Burnout. Aber haben wir auch eine entlastende Gegenkultur des Scheiterns, wenn wir trotz aller Bemühungen nicht weiterkommen?

Wer mit dieser Frage über das akzeptierte Thema «Fehlerkultur» hinaus gehen will, stösst schnell auf Widerstand. «Scheitern» provoziert zu sehr, denn der Begriff scheint etwas Absolutes, Definitives und Ungewolltes zu meinen.

Die meisten sind bereit, allenfalls in ihrem Privatleben ein «Scheitern» zu akzeptieren – nicht aber im planmässig Erfolg anstrebenden Schulumfeld. Wo das Konzept aber kein «Scheitern» kennt, bleiben viele allein mit einer Realität, die zum persönlichen und beruflichen Selbstverständnis dazugehören müsste, wie der Erfolg.

Der Mensch ist einerseits «sehr gut» geschaffen, aber in seinem Autonomiebestreben fehlbar und damit immer wieder scheiternd: die Schöpfungsgeschichte, das biblische Menschenbild weiss um beide Pole des Lebensvollzugs.

Damit setzt es die Massstäbe anders. Es schätzt die menschlichen (Un-)Möglichkeiten richtig ein und spricht dem Handelnden bedingungslose Liebe und Annahme zu. Und es bietet ihm Gnade an – als Kern der christlichen Botschaft. Das schafft die Basis für verantwortliches Handeln im vollen Bewusstsein möglichen Scheiterns. Das fordert heraus und entlastet zugleich.

Eine Kompetenz des Scheiterns entwickeln

Wie sieht es mit unserer eigenen Kompetenz zum Scheitern aus, und woher nährt sich diese? Wo Scheitern nicht sein darf, entsteht falsch idealisierender Druck. Wer hingegen ohne Täuschung und Selbsttäuschung dazu stehen kann, dass eine Lektion, ein Projekt, eine Beziehung oder ein Gespräch gescheitert ist, kann diese Erfahrung für sich selbst wie auch für die beteiligten Menschen nutzbar machen. Oder er kann sie zumindest so verarbeiten, dass sie nicht zu Vermeidungsverhalten oder Resignation führt.

Wir können auf dieser Grundlage eine offene Kommunikationskultur und tragende Gemeinschaften mitprägen, in denen das Scheitern nicht als lähmend oder absolut wahrgenommen, sondern mit offenen Augen und offenem Geist akzeptiert wird.

Diesen Artikel hat uns das Magazin INSIST zur Verfügung gestellt.

Andreas Schmid ist Erziehungswissenschafter und Dozent im Sek I-Studiengang an der PHZ Luzern. Er leitete zehn Jahre den Bildungs- und Ferienort Campo Rasa.

Zum Thema:
Bin ich gut genug?

Datum: 04.08.2012
Autor: Andreas Schmid
Quelle: INSIST

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