Entspricht der Solidaritätsgedanke in der Krankenversicherung der Ethik?

Je nach Lebensweise und Anspruchshaltung sind die Krankheitskosten sehr unterschiedlich.
Pro Life

Die Nationale Ethikkommission möchte Krankenversicherungsmodelle wie «Pro Life» verbieten. Sie seien unethisch. Wir fragen zurück: Welche Ethik gilt denn für die Ethikkommission?

Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK/CEN) stört sich daran, dass Menschen bei der «Pro Life» oder bei der «SHMK», der Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind, eine Krankenversicherung abschliessen können, bei der sie freiwillig auf Leistungen für Abtreibungen, auf fragwürdige Diagnosemethoden oder auf die Finanzierung einer Heroin-Substitution verzichten. Die Kommission hat kürzlich eine öffentliche Erklärung abgegeben, in der sie dem Bundesrat vorschlägt, diese Verzichtsmöglichkeiten zu verbieten. Solche freiwilligen Ausschlüsse seien „unethisch“.

Sie haben richtig gelesen: Es ist laut unserer Ethikkommission unethisch, freiwilig auf Leistungen zu verzichten, die man als Mensch, der sich traditionellen Werten verpflichtet fühlt, gar nicht in Anspruch nehmen will!

Begründet wird das damit, dass die so Versicherten zu Prämienrabatten kämen, behauptet die NEK. Für die Grundversicherung stimmt das aber nicht, allenfalls für Zusatzversicherungen. In der Grundversicherung haben die Versicherten eigentlich nichts für ihren Verzicht. Sie erhalten keinen Rabatt; sie profitieren nur von relativ niedrigen Prämien, weil sie bei einer günstigen Kasse versichert sind.

Das sind im Fall der «Pro Life» die Krankenkasse sansan, im Falle der «SHMK» die Intras und Provita. Der Grund: Die dort Versicherten stellen eine günstige Risikogruppe dar. Doch davon profitieren sie nur begrenzt. Denn Kassen mit einer günstigen Risikogruppe zahlen einen Ausgleich an solche mit ungünstigen Risiken, also vielen älteren und kranken Menschen.

Fragwürdiges Solidaritätsprinzip

Der Versuch der NEK, eine solche Risikoausscheidung zu verbieten, wirft ein Schlaglicht auf das heutige Anwendung des Solidaritätsprinzips im Krankenversicherungs-Gesetz (KVG). Es ist nämlich ziemlich willkürlich.

Der Grundsatz lautet, dass Gesunde mit Kranken und Junge mit Alten solidarisch sind. Junge und Gesunde bezahlen somit mehr als sie beziehen und unterstützen damit die Alten und Kranken. Das tönt soweit vernünftig.

Es bedeutet in der Praxis allerdings auch, dass gesunde Menschen vom Land, welche wenig ärztliche Leistungen beanspruchen, andere in der Stadt mit hoher Ärztedichte und einer Konsumhaltung bei medizinischen Leistungen subventionieren. Nichtraucher bezahlen die Behandlung von Raucherkrankheiten; wer nicht wegen jedem Kratzer zum Arzt rennen, unterstützt Hypochonder. Es gibt eben viel mehr medizinische Kundenkategorien als nur „Kranke“ und „Alte“.

In der Praxis zeigt sich: Das System schafft nur einen sehr unzulänglichen Ausgleich. Insbesondere belohnt es letzlich die Konsumhaltung und nicht die Zurückhaltung, Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesundheit statt einen gesunden Lebensstil, die Masslosigkeit statt die Prävention. Weshalb wird in einer Zeit, welche die Eigenverantwortung wiederentdeckt hat, ein System gestützt, dass letztlich Verantwortungslosigkeit fördert?

Reformbedürftiges System

Zudem ist das System willkürlich: Weshalb bezahlt die Grundversicherung eine Abtreibung, die ja keine Krankheit heilt, aber zum Beispiel nicht die Behandlung von Karies oder andern teuren Zahnreparaturen? Darunter leiden ja nicht nur Menschen, die ihre Zähne nicht reinigen. Und nun will die Ethikkommission auch dort noch einen Riegel schieben, wo Versicherte freiwillig auf medizinische Leistungen verzichten, die bei Wahrnehmung von Eigenverantwortung gar nicht „nötig“ werden.

Hier sind dringend Reformen angesagt.

Damit ist nicht gemeint, dass unsere Gesellschaft nur noch Menschen hilft, die ihre Eigenverantwortung jederzeit wahrgenommen haben. Solidarität aus christlicher Sicht schliesst auch jene ein, die noch nicht stark genug für eigenverantwortliches Handeln sind. Das kann in unserer Zeit nicht deutlich genug gesagt werden.

Wichtig sind die Anreize

Eine solidarische Versicherung muss aber Anreize zum eigenverantwortlichen Handeln geben bzw. solches Verhalten oder den Verzicht auf unnötige Leistungen belohnen. Weshalb sollte es unethisch sein, wenn sich Segmente von Versicherten, die alle Altersgruppen umfassen und gleichzeitig einen gesunden Lebensstil und Zurückhaltung bei medizinischen Leistungen üben, eine eigene Risikogruppe bilden?

Die Modelle von «Pro Life» oder «SHMK» wären im Gegenteil ein Anfang. Auch eine Nichtraucher-Versicherung würde eine gesunde Lebensweise belohnen und gleichzeitig einen Anreiz für die Rauchenden schaffen, damit aufzuhören. Ein Rabatt könnte ausserdem den Verzicht auf Drogen, die Vermeidung von Übergewicht und anderes belohnen und so auch einen Beitrag zur Volksgesundheit leisten.

Das heutige System mit seinem ungenügenden, ja gescheiterten Solidaritätsprinzip muss hinterfragt werden. Zum Beispiel auch die mangelnde Solidarität zwischen Armen und Reichen. Besonders Menschen im unteren Mittelstand sind beim heutigen Kopfprämiensystem die Geprellten. Sie müssen hohe Prämien für sich und ihre Kinder zahlen, während Menschen im unteren Einkommenssegment die Prämienverbilligung erhalten und den Reichen mit den heutigen Kopfprämien günstig fahren. In der Praxis bedeutet dies, dass viele Eltern im unteren Mittelstand das Modell mit der höchsten Franchise (2500 Franken) wählen und hoffen, gesund zu bleiben. Sie bemühen sich aus christlicher Grundhaltung um einen gesunden Lebensstil und verzichten auf Exzesse. Weshalb sollten sie sich nicht zusammen mit Gleichgesinnten versichern können, zusammen mit ihren Kindern und ihren Eltern?

Datum: 20.05.2006
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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