«Ich wünsche mir, dass Frauen in Führungsetagen zu Hause sind»
Ihr Buch heisst: «Leiten auf weiblich». Gibt es einen «weiblichen Führungsstil»?
Elisabeth
Schoft: Ja und nein. Es gibt weibliche Leitung, weil Frauen vor anderen
Herausforderungen stehen als Männer und weil man ihnen klischeehaft
bestimmte Eigenschaften nachsagt: beziehungsorientiert, etwas weicher,
nicht so stark auf Konfrontation gebürstet. Diese Zuschreibungen sind
gleichzeitig ein Problem, denn auch nicht alle Männer sind nur dominant,
diskussionsfreudig und nicht beziehungsorientiert. Gute Leitung hängt
also nicht vom Geschlecht ab. Aber es gibt natürlich Bereiche, die für
Frauen herausfordernder sind als für Männer. Zum Beispiel die
Familienplanung, die für viele Frauen, die arbeiten oder leiten wollen,
oft eine Herausforderung ist und ein Grund, warum Frauen nicht leiten –
denn Unternehmen setzen Frauen im gebärfähigen Alter gar nicht erst in
solche Positionen ein, aus Angst, dass sich der Invest nicht lohnen
könnte. Frauen stehen ausserdem vor der Herausforderung des
Sich-beweisen-Müssens, wenn auf der Position oder im Unternehmen vorher
nur Männer geleitet haben. Es gibt aber nicht per se weibliche Leitung.
Wie entstand das Buch?
Die
Idee kam mir aus der persönlichen Betroffenheit heraus. Ich wurde mit
28 Jahren zur Abteilungsleiterin befördert. Ich hatte im ehrenamtlichen
Bereich gewisse Führungserfahrung gesammelt, zum Beispiel über mehrere
Jahre eine Jugendzeitschrift geleitet. Das reichte aber nicht. Ich
merkte, dass beruflich leiten nochmal andere Herausforderungen mit sich
bringt als ehrenamtliches Leiten. Als jemand, der in der Buchbranche
arbeitet, habe ich natürlich zuerst nach Büchern geschaut. Etwas
Aktuelles aus dem deutschsprachigen Raum, das auch den christlichen
Aspekt von Führung betrachtet, gab es nicht. Ich habe dann für mich
selbst die Inhalte zusammengesucht, auf die ich Antworten brauchte und
dachte, dass meine Suche nach Wissen und Erkenntnis auch andere
Frauen interessieren könnte. So entstand das Buch.
Gerade
in konservativeren Gemeinden sind es oft Männer, die leiten. Was bewegt
Frauen im gemeindlichen Kontext, wenn sie mit dem Thema Leitung in
Berührung kommen?
Ich nehme eine Unsicherheit wahr, ob es
eine Legitimation für Frauen in Leitung gibt. Es gibt ja konkrete
Bibelstellen, die sagen, die Frau habe ruhig zu sein in der Gemeinde
(zum Beispiel 1. Korinther Kapitel 14, Vers 33 ff., Anm. d. Red.). Egal, in welchen
Bibelkommentar ich geschaut habe – in der Schöpfungsordnung steht der
Mann über der Frau und daraus wird abgeleitet, die Frau habe nicht zu
leiten. Damit habe ich lange gerungen. Und ich glaube, dass viele Frauen
unsicher sind und sich fragen: Darf ich überhaupt leiten? Glaube ich
wirklich an einen Gott, der Frauen als Geschöpfe zweiter Klasse
behandelt, sie aber mit Fähigkeiten ausstattet, die sie dann nicht
nutzen dürfen? Klarheit gebracht hat der Beitrag von Sabine Fürbringer,
der auch Teil des Buches ist. Sie erklärt ganz wunderbar, dass das Ziel
von Frauen nicht «Machtübernahme» ist, sondern Teilhabe, aus der
gemeinsames und ergänzendes Leiten von Männern und Frauen entsteht.
Eine weitere Frage, die ich mir gestellt habe, ist meine Motivation fürs Leiten: Warum will ich das überhaupt? Ist das ein egoistisches Motiv – geht es um Ansehen und Prestige? Darf ich als Frau so ein Motiv überhaupt haben? Ich glaube, dass viele Männer sich das nicht fragen oder vorwerfen lassen müssen. Ich bin jedenfalls zu dem Entschluss gekommen, dass es sich besser leiten lässt, wenn man anderen Menschen damit dienen will – anstatt seinem eigenen Ego.
Wen soll das Buch erreichen?
Ich
habe vor allem an Frauen in meiner Altersgruppe gedacht: Ende 20, mit
dem Studium fertig. Frauen, die sich überlegen, ob sie leiten könnten,
oder die gerade ihre erste Führungsposition angenommen haben. Aber auch
selbständige Frauen, die jemanden einstellen müssen und auf diese Art
mit Führung konfrontiert sind. Oder Frauen, die ihr eigenes
Leitungspotenzial nie gesehen haben, aber dann, wenn die Kinder aus dem
Haus sind, in der Gemeinde oder im Beruf nochmal einsteigen möchten.
Was soll das Buch bei seinen Leserinnen bewirken?
Ich
würde mir so sehr wünschen, dass es normaler wird, dass Frauen leiten.
Und dass sie dadurch ihren eigenen Weg finden. Dass Frauen nicht das
Gefühl haben, sie müssten jemanden oder einen Führungsstil kopieren,
sondern ihren eigenen, individuellen Führungsstil entwickeln. Ich
wünsche mir, dass Frauen sich trauen und auf den Führungsetagen zuhause
sind. Nicht nur im mittleren Management, sondern auch in den
Top-Positionen. Dass sie sich nicht hinterfragen, ob sie das können und
dürfen. Sondern, dass sie selbstverständlich davon ausgehen, dass sie
Gaben zum Leiten haben.
Was wünschen Sie sich insbesondere für den gemeindlichen Kontext, in dem ja oft Männer führen?
Dass
man das Potenzial von Frauen wahrnimmt und erkennt. Dass man sie nicht
begrenzt und sagt: 'Du darfst mitarbeiten, aber nicht predigen, weil das
biblisch nicht erlaubt ist.' Das braucht eine grosse Offenheit und ein
Umdenken. Ich wünsche mir ausserdem, dass Frauen wahrgenommen und gefragt
werden, wenn es um Experten für Talkshows oder auf Kongressen geht. Oft
ist ja die Ausrede: 'Wir haben niemanden gefunden.' Da wünsche ich mir
etwas mehr Willen, Frauen zu integrieren.
Muss man zur Leiterin geboren sein, oder kann jede Frau leiten lernen?
Ich
dachte lange Zeit, dass mir das Leiter-Gen fehlt. Alle Leiter, die ich
gesehen habe, waren charismatische Menschen, sehr dominant. Wenn die auf
der Bildfläche erschienen, waren erstmal alle Augen auf sie gerichtet.
So habe ich mich nicht gefühlt, so trete ich auch nicht auf. Ich gehöre
zu den stetigen und beobachtenden Menschen. Jetzt merke ich, dass das
trotzdem mit Leitung zusammenpasst. Manchmal ist das sogar besser.
Menschen, die bedachter und stetiger sind, treffen Entscheidungen zwar
langsamer, aber diese Entscheidungen konnten auch länger reifen. Ich
habe also entdeckt, dass ich auch Potenzial zur Leitung habe. Aber nur,
weil es mir jemand zugetraut hat. Grundsätzlich glaube ich, dass jeder
von uns jemanden leitet. Ob zu Hause mit den Kindern oder ob man einen
oder mehrere Menschen in seiner Abteilung hat. Schon allein durch unsere
Vorbildfunktion leiten wir. Man muss nicht dazu geboren sein. Man kann
vieles lernen, vieles Zwischenmenschliche zum Beispiel.
Welche Rolle spielt die geistliche Ebene für eine Leitende, wenn sie Christin ist?
Es
kann und sollte eine grosse Rolle spielen. Ich persönlich habe dann
nicht das Gefühl, dass ich mir selbst etwas beweisen muss. Es wird
einfacher, wenn ich weiss, dass Gott mich an eine bestimmte Stelle
gesetzt hat und mich ausrüstet mit den Fähigkeiten, die es dazu braucht –
mit Ideen, Gedanken und den richtigen Worten. Ich kämpfe nicht allein,
sondern werde vom Heiligen Geist geleitet in den Entscheidungen, die ich
treffe. Das sehe ich als grossen Vorteil.
Drei wertvolle Tipps für Frauen, die frisch in einer Leitungsposition stehen oder überlegen, so eine Position anzunehmen?
Tipp
eins: Mit Frauen zusammenschliessen, die schon leiten oder gerade damit
anfangen, um Erfahrungswerte auszutauschen. Tipp zwei: Lernbereit sein.
Man weiss nie genug. Daher sich weiterbilden, auf Kongresse fahren,
Seminare besuchen. Tipp drei: Sich trauen und einfach machen. Schauen,
wie lange es einem gut tut. Und nicht so viel geben, dass man am Ende
selbst drunter leidet. Man möchte ja beweisen, dass man es kann, man
muss aber darauf achten, sich nicht zu verausgaben und ins Burnout zu
rutschen. Man braucht einen guten Ausgleich und sollte wissen, dass das
Leben auch andere Aspekte als die Arbeit hat.
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Datum: 15.06.2021
Autor: Swanhild Zacharias
Quelle: PRO Medienmagazin