«Ich lasse dich nicht im Stich, ich trage dich nach Hause»
Stephan Maag mit dem Schaf Pünktchen auf den Schultern (Bild: Stephan Maag)
Der
Pastor und Bio-Bergbauer Stephan Maag züchtet Schafe und erlebt dabei in seinem
Alltag packende Parallelen zum geistlichen Leben. Mit diesem Beitrag startet
eine neue Livenet-Serie, in welcher der «Fingerprint»-Gründer uns mit in
die hinreissende Welt der wolligen Tiere nimmt. In der ersten Folge erzählt Stephan
Maag von einer strapazenreichen Berg-Rettungsaktion.
Als Schafhirte macht man immer
wieder Erfahrungen, die einen an das Wesen Gottes erinnern. In der Bibel gibt
es das Gleichnis eines Schafhirten, der hinaus geht, um das verlorene Schaf zu
suchen und die 99 anderen im Stall zurücklässt. Darüber hatte ich schon oft
nachgedacht und gepredigt.
Im Sommer gehen die Schafe auf die
Alp, hoch in die Berge hinauf. Dort oben verbringen sie den Sommer. Sie können
schmackhafte Kräuter essen und haben viel Platz. Schafe von verschiedenen
Hirten kommen dadurch zusammen. Das hat eine lange Tradition und auch
meine Tiere übersommern jeweils im alpinen Raum.
An einem heissen Sommertag erhielt
ich nun plötzlich ein Telefonat, das mich selbst in eine ähnliche Situation
brachte. Der 'Älpler', der auf verschiedene Herden auf der Alp aufpasste, meldete
sich…
Beinbruch im zerklüfteten Gebirge
Auf der Alp weiden die Schafe
zwischen zerklüfteten Felsen, besonders meine aufgrund ihrer Rasse. Es sind
Walliser Schwarznasenschafe und diese lieben es, weit nach oben zu gehen und
dort die köstlichen Kräutchen abzugrasen.
Der Älpler erklärte mir nun am
Telefon, dass ein Lämmchen humpelt, weil es ein Bein gebrochen habe. Er
schilderte, dass wir es runterholen müssen, sonst würde es elendiglich zugrunde gehen.
Tags darauf trafen wir uns im Tal,
eingangs Berg, parkten die Autos und stapften gemeinsam langsam bergauf, rund
500 Höhenmeter. Es war massiv steil, das Gras war noch feucht, gleichzeitig war
es bereits sommerlich heiss und viele Insekten schwirrten durch die Luft. Ein frischer Duft der Bergluft durchzog
die drückende Schwüle. Nachdem wir die Grasflächen verlassen hatten, kamen wir
in den Felsen hinein und stiegen Schritt für Schritt nach oben.
Irgendwann sahen wir die ersten
Schafe, doch es waren noch nicht unsere. Erst zuoberst fanden wir diese dann –
und auch das Lämmchen, das massiv hinkte.
Tonnenschweres Schaf
Doch eigentlich war es nicht mehr ein
Lämmchen, sondern ein stattliches Schaf, das sicher schon 30 Kilogramm schwer
war. Wir konnten es herlocken, weil Schafe gerne kommen, wenn es zum Beispiel
Salz zu lecken gibt. Wir legten ihm eine Schiene an, um das Bein zu fixieren und
es merkte, dass wir es gut mit ihm meinen.
Als ich es auf die Schulter lud,
merkte ich, dass es grausam schwer war. Es roch auch stark und zuerst war es
ihm nicht wohl, weil es nicht gewohnt war, auf diese Weise getragen zu
werden.
So marschierte ich Schritt für
Schritt mit diesem Schaf talwärts, meine Beine schmerzten zusehends und im
Geröll verlor ich von Zeit zu Zeit den Halt und fiel fast hin.
… ich würde es wohl erschiessen
Ich wurde richtig wütend. Auf dem Weg
nach oben hatte ich mit dem Hirten noch über meinen Glauben gesprochen, dass
ich als Pastor arbeite und Jesus wichtig in meinem Leben ist und ich versuchte,
ein guter Nachfolger von Jesus zu sein.
Doch auf dem Abstieg – es war heiss,
die Schultern brannten vor Schmerzen – konnte ich irgendwann nicht mehr und ich
sagte: «Wenn ich eine Pistole hätte, würde ich dieses dumme Schaf erschiessen.»
Der Hirte schaute mich erstaunt mit grossen Augen an und in diesem Moment war
es, als würde Gott mit einem Finger direkt in mein Herz zeigen…
«Ich bin so anders»
Gott zeigte mir auf, dass er uns
nicht im Stich lässt. Er sagte mir: «Wenn ich ein Schaf gefunden habe, wie in dieser
Geschichte, dann trage ich es heim und lasse es nicht fallen.» Es war, als
würde Gott in meinem Herzen mit einem Schlüssel etwas öffnen. Er erklärte mir
auf diese Weise, dass wenn er uns gefunden hat, er mit uns kommt, ganz egal,
wie es uns geht, ob wir einen erfolgreichen Tag hatten, ob wir gesund sind,
oder unter Verfolgung leben: Wir sind vom Hirten getragen und er lässt uns bis zum
Ende des Lebens nicht mehr fallen, weil er uns mit Liebe durch das Leben
trägt.
Diese Vaterliebe von Gott bewegte
mich. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich ein Kind Gottes bin, dass
ich ein Sohn des Königs bin. Dass ich wie ein Schaf in seiner Herde bin und
dass er mich einfach annimmt. Das berührte mich tief in meiner Seele. Daraus
heraus empfing ich Sicherheit, Freude und Liebe.
Ich trug das Lämmchen bis nach unten,
der Älpler wollte es mir noch abnehmen, doch ich sagte: «Nein, ich muss und will
es selbst tragen.» Nach langem Absteigen rutschte ich die letzten Grasnarben
mit dem Schaf runter und konnte es ins Auto laden.
Zuhause
In Lukas, Kapitel 15 lesen wir: «Wenn
er es gefunden hat, legt er es sich auf die Schulter voller Freude.» Genau so
ist es: Wenn Gott einen Menschen findet, trägt er ihn nach Hause.
Ich brachte das Lämmchen mit nach
Hause. Den Rest des Sommers konnte es bei uns auf der Wiese sein und mit
unseren Kindern Zeit verbringen. Es wurde so zutraulich, wie kein anderes
Schaf. Die Wunde ist verheilt und es konnte noch einige Zeit ein schönes Leben
haben.