Christliche Kulturgüter bedroht

Armenien fürchtet um Totalverlust von Bergkarabach

Einst fanden sich in der Region Bergkarabach 370 Kirchen und Klöster. Das armenische, christliche Kulturerbe steht jetzt vor der Vernichtung, bedauert Dave Büttler, Katechet und Armenien-Kenner. Die EDU lancierte eine Petition, um auf die heikle Lage aufmerksam zu machen.
Kirche in Armenien (Bild: Vincenzo Cannarozzo)
Dave Büttler
Karte der Kirchen, Klöster und Basiliken in Bergkarabach
Daniel Frischknecht

«Armenien ist die älteste christliche Nation der Welt», sagt Dave Büttler, Armenien-Kenner und Katechet in den Pastoralräumen Horw und den Meggerwald Pfarreien. «Seit dem Jahr 301 ist Armenien offiziell eine christliche Nation. Was nun in Bergkarabach geschehen ist, ist für die Armenier katastrophal und schockierend.»

«Allahu Akbar» an der Grenze

Seit rund 1000 Jahren sei es den Armeniern gelungen, trotz Expansionsgelüsten des Osmanischen Reiches und der Perser das Gebiet Bergkarabach (armenisch: Arzach) immer zu beschützen. «Die Kirchen blieben am Leben. Nun haben die Armenier das Gefühl, nach 2000 Jahren beim Schutz ihrer christlichen Heimat versagt zu haben», sagt Dave Büttler, dessen Frau Agnes Avagyan in Armenien aufgewachsen ist.

«Es geht um die christliche Heimat. Auch wenn viele Einwohner liberal sind, ihre Identität ist durch und durch christlich. Der Konflikt ist ein Schock, der bis ins Mark und Bein geht.» Der Waffenstillstand sei sehr unsicher und nur durch ein starkes Russland gehalten, bilanziert Büttler und hält fest, dass die turkstämmigen Völker von einem durchgehenden Korridor träumen, in diesem liegt Armenien wie ein Keil, der die Volksgruppen trennt. «Sie wollen auch den Süden von Armenien einverleiben. Jetzt, während dem Waffenstillstand, stehen aserbaidschanische Grenzwächter an der neuen 'Grenze' und rufen 'Allahu Akbar'. Was hier bei uns im Westen untergeht, ist, dass es auch um religiöse Machtansprüche geht.»

Die Türkei, die wie in Libyen und Syrien auch im Bergkarabach-Krieg aktiv ist – an der Seite von Aserbaidschan – versucht nun Syrer in der Karabach-Region anzusiedeln. «Das birgt ein enormes Konfliktpotential und auch Terror gegen Armenien.»

370 Kirchen und Klöster vor dem Aus

Bergkarabach blickt auf eine reichhaltige Geschichte. Ein junger Architekt zeichnete auf einer Karte die insgesamt 370 Basiliken, Kirchen und Klöster auf. «Es wimmelt von armenisch-christlicher Identität in Karabach. Was nun geschieht, ist auch ein kultureller Genozid. Offiziell renovieren die Aserbaidschaner eine Kirche, dabei jedoch werden alle armenischen Schriftzeichen weggemeisselt. Das bricht einem als kulturinteressierter Christ das Herz.»

Fast alle Armenier sind aus dem Gebiet geflohen, der Schrecken ist riesig. Manche, die geblieben sind, wurden von Islamisten umgebracht. Auch viele Diaspora-Armenier sind resigniert: «Manche denken, dass Armenien am Ende ist, der Süden abgeschnitten wird und die Türkei und Aserbaidschan im Süden noch mehr Gebiete erobern. Viele Häuser werden verkauft, die Depression ist tief.» Die Armenier wünschen sich eine klare Positionierung der Schweiz und ein Einschreiten von Europa. «Freikirchliche Kreise waren die engagiertesten.»

EDU lancierte Petition

Die Eidgenössische-demokratische Union (EDU) lancierte kürzlich eine Armenien-Petition. EDU-Präsident Daniel Frischknecht: «Wir haben innerhalb von einem Monat über 7'500 verifizierte Unterschriften gesammelt, mehr als 6'600 davon online und rund 950 per Post.» Man habe weit über die Parteigrenzen hinaus mobilisieren können. «Es unterschrieben auch viele parteilose Bürger und solche aus anderen Parteien.»

Besonders wertvoll war die Petition für die armenischen Gemeinden in der Schweiz, «deren Angehörige sehr viele Unterschriften gesammelt haben. Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen von armenischen Christen erhalten, die es sehr geschätzt haben, dass wir uns für sie interessiert und eingesetzt haben.»

«Kristallnacht»-ähnliche Zustände

«Wir überlegen uns, unsere Forderungen auch auf parlamentarischem Weg einzubringen. Hier ist aber noch nichts spruchreif», blickt Daniel Frischknecht nach vorne.

«Trotz eines zwischenzeitlich vereinbarten internationalen Abkommens, das unter anderem den Einsatz von Friedenssoldaten vorsieht, ist die Lage noch immer ernst. Die armenischen Christen fühlen sich in der eigenen Heimat bedroht und blicken weiterhin ungewiss in die Zukunft.» Sie würden sich verraten fühlen, «weil Aserbaidschan nun grosse Teile des von Christen bewohnten Gebiets Berg-Karabach dauerhaft an sich zu binden droht. Zu Beginn des Konflikts wurden historische christliche Kirchen zerstört, es herrschten «Kristallnacht»-ähnliche Zustände. Hier ist es unsere Pflicht, als Christen aufzustehen und unseren bedrohten Brüdern und Schwestern zur Seite zu stehen», so Frischknecht.

Neben der EDU engagierte sich auch die Evangelische Volkspartei (EVP) für Bergkarabach. Die EVP schrieb dazu einen Offenen Brief an Aussenminister Ignazio Cassis (Livenet berichtete).

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Datum: 14.12.2020
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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