«Man kann nicht am Sonntag Christ sein und am Montag Kunden belügen»
Jahrelang schien es klar, dass christlicher Glaube und
seine Werte in der Wirtschaft nichts verloren haben. Jedenfalls nicht, wenn man
Erfolg und Gewinnmaximierung im Blick hatte. Dem widerspricht der Nürnberger Professor
Harald Bolsinger klar. Der Wirtschaftsethiker vertritt in seinem Buch
«Spiritualität in der Managementpraxis» die These, dass sich der christliche Glaube
nicht in berufliches und privates Leben aufteilen lässt.
Harald Bolsinger
Bolsinger (46) erklärte in einem
Gespräch mit Thomas Tijang vom Evangelischen Pressedienst epd: «Man kann nicht
am Sonntag Christ sein und am Montag Kunden belügen und betrügen.» Und er
ergänzte, er wolle «die alltägliche Schizophrenie eindämmen, die Menschen
kaputtmacht».
Relevante Alltagserfahrung
Eigentlich gehört die Erfahrung,
dass man sein Verhalten als Mensch und Christ nicht zwischen Montag und Sonntag
trennen kann, zu dem, was einem der gesunde Menschenverstand sagt. Doch im Buch
«Spiritualität in der Managementpraxis», das Bolsinger zusammen mit dem Arzt
Arndt Büssing und dem Sozialwissenschaftler Markus Warode herausgegeben hat,
untermauert er diese allgemeine Erkenntnis mit wissenschaftlichen Ergebnissen. Dabei
leitet er seine Gewissheit allerdings nicht nur von seiner Fachkompetenz und
der seiner Mitautoren ab, sondern unterstreicht gegenüber Tijang explizit, dass
sie auch «aus der Begegnung mit dem christlichen Gott» herrührt. So betont er
für Unternehmen, dass Gottes Offenbarungen eine Ressource im Unternehmen sein
könnten, die «eine hohe Relevanz bei der Beurteilung von Situationen und
Sachverhalten besitzt».
Ganzheitliches Wertemanagement
Bolsinger sieht gerade die
Bergpredigt als Basis auch für unternehmerisches Handeln. Dabei unterstreicht
er besonders ihr dreifaches Liebesgebot: die Liebe zu Gott, zum Nächsten und
sogar zum Feind. Weitere Werte, die er für relevant hält, sind Barmherzigkeit,
soziale Verantwortung oder Veränderungsbereitschaft. Die Bergpredigt ist für
ihn in ihrer Kernbotschaft «weltweit und konfessionsübergreifend anerkannt».
Buchcover: Spiritualität in der Managementpraxis
Der Wirtschaftsethiker beschreibt
seine Idee für ein ganzheitliches Wertemanagement in drei Ebenen: Zuerst nennt
er die «Mindestmoral», die sogar gesetzlich eingefordert wird. Als weitere
Ebene sieht er professionelles Wertemanagement. Dort geht es um Respekt,
Verlässlichkeit und Ehrlichkeit. Weltanschaulich lässt sich dies aus praktisch
jeder Religion begründen. Bolsinger geht davon aus, dass diese Werte «grundsätzlich
im Menschen verankert» sind und nur aktiviert werden müssen: «Alle Religionen
sind gut, wenn sie die Ziele im Unternehmen fördern.» Schliesslich beschreibt
er die dritte Ebene als geistliche Gemeinschaft, in der christliche
Spiritualität eingeübt und gelebt wird.
Praktisch erprobt
Ähnliche Ansätze von christlichen
Autoren und Pastoren gibt es immer wieder. Meist werden sie quasi von aussen an
Unternehmen herangetragen: «Ich weiss, was du tun solltest …». Bolsinger geht
einen gänzlich anderen Weg. Als Christ und Unternehmer kennt er wirtschaftliche
Herausforderungen und Personalverantwortung aus eigener Anschauung. Trotzdem
oder gerade deswegen ist Unternehmenskultur für ihn eine «zutiefst spirituelle
Angelegenheit» (idea),
die er am liebsten mit Gott selbst, dem «höchsten Konsultanten des Universums»
bespricht. So führte er zum Beispiel in einer Nürnberger Bank
ein Wertemanagementsystem ein, mit dem gesellschaftliche und soziale
Verantwortung für Produkte übernommen wird. Gleichzeitig werden dort die
Auswirkungen der Bankgeschäfte auf Mensch, Umwelt und regionale Wirtschaft
geprüft und besonders sinnstiftende Projekte gefördert. Genau hier wird sein
christlicher Wertekodex sehr konkret, denn die Bank arbeitet natürlich
gewinnorientiert. Trotzdem schliesst sie Geschäfte in Bereichen wie Abtreibung,
Kinderarbeit, Pornografie oder Tabak aus. Wenn man Bolsinger nach seinen Zielen
fragt, dann erklärt der Wirtschaftswissenschaftler, dass es ihm darum geht, «christliche
Spiritualität so [zu] übersetzen, dass sie in der monetären Welt vorstellbar
ist».