Der
Prozess gegen Jesus, der seiner Kreuzigung vorausging, war keineswegs so ungewöhnlich,
wie viele Christen annehmen. Diese Einschätzung vertrat
Prof. Dr. Christoph Paulus (Berlin) vor den Teilnehmenden der Bundestagung des Vereins «Christ und Jurist» vom 8. bis 9.
Januar, die als Videokonferenz durchgeführt wurde. Sie stand unter dem Thema «Recht
global».
Dass
Jesus sich selbst als Messias bezeichnete, sei in der damaligen Zeit zwar nicht
alltäglich gewesen, aber es sei doch häufiger vorgekommen. Doch schon die
Tatsache, dass jemand eine herausgehobene religiös-politische Position für sich
reklamierte, habe Vertreter der römischen Besatzungsmacht auf den Plan gerufen,
weil es als Versuch der Aufruhr gewertet wurde, so Prof. Paulus.
Kein
Justizskandal
Pilatus
habe in dem ihm vorgeführten Jesus nicht das «Besondere, das Einzigartige und
den Messias» gesehen. «Es steht vielmehr zu vermuten, dass dieser
Prozess – vielleicht mit Ausnahme des nachfolgenden Freilassungsangebots, denn
das gab es nur selten – keinerlei grössere Verwunderung beim Präfekten
ausgelöst hat, sondern gleichsam business as usual war.»
Daraus sei zu folgern, «dass Jesus
im Einklang mit römischen Straf- und Strafverfahrensrecht von Pilatus
behandelt worden ist und die Kreuzigung somit im Einklang mit dem damaligen
Recht stand».
Die Annahme, es handele sich bei dem Verfahren um einen «eklatanten
Justizskandal» treffe daher nicht zu.
Jesus war
geständig
Pilatus
habe Jesus nach dessen Erklärung, dass er der König der Juden sei, als einen
confessus (jemand, der sein Vergehen gesteht) behandelt, der aufgrund seiner
Selbstbezichtigung zu bestrafen war.
Jesus
habe sich nicht verteidigt, sondern sei sehenden Auges seiner Verurteilung
entgegengegangen. Es gelte, so Prof. Paulus, was Friedrich Nietzsche über sein
Verhalten im Prozess gesagt habe: «Er widersteht nicht, er verteidigt
nicht sein Recht, er tut keinen Schritt, der das Äusserste von ihm abwehrt,
mehr noch, er fordert es heraus.»
Prof.
Christoph Paulus war Ordentlicher Professor für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht sowie Römisches Recht an der Berliner
Humboldt-Universität. Er war zudem Berater des Internationalen
Währungsfonds (IWF) und der Weltbank.
Viele
jüngere Teilnehmende
Dr. David Kästle-Lamparter
Gegenüber Livenet zog der Vorsitzende des Vereins «Christ und Jurist», Dr. David
Kästle-Lamparter, eine positive Bilanz der digitalen Bundestagung. Die
Möglichkeiten zum inhaltlichen und persönlichen Austausch seien von den
Teilnehmenden gut angenommen worden, darunter seien in diesem Jahr besonders
viele jüngere Juristinnen und Juristen gewesen.
Der Verein «Christ und Jurist» versteht sich als
Netzwerk von Christen, die in den verschiedensten juristischen Berufen
arbeiten. Diese sollen hier «lebendige Gemeinschaft erfahren und Impulse für
ihr Christsein im Berufsalltag erhalten». Neben Tagungen gehören auch regionale
Treffen zur Vereinsarbeit. In den letzten Jahren hat die Betreuung von
Jura-Studenten sehr an Bedeutung gewonnen.