Sechs Bitten eines Wirtschaftsmanagers an die Kirche

Hans Christoph von Rohr

Was erwartet ein Unternehmer von kirchlichen Äusserungen zur Wirtschaft? Sechs Anregungen würde ich den Verantwortlichen unserer Kirchen gerne ans Herz legen.

Keine Kompetenz für Lösungsvorschläge

Die Kirche sollte sich dort äussern, wo sie eine eigene Kompetenz hat - und sich zurückhalten, wo ihr diese Kompetenz fehlt. Die Erfahrung, die die Wirtschaft seit vielen Jahren mit der Kirche macht, weist leider zu oft in eine andere Richtung:

Eine aus Kirchensteuereinnahmen finanzierte Presse, die oftmals mangelnden wirtschaftlichen Durchblick durch ideologisch stramme Haltung ersetzt. Wortreiche Denk- und sonstige Schriften zu Wirtschaftsthemen, die - aus Sicht der Wirtschaft möchte man manchmal sagen: Gott sei Dank - kaum jemand wirklich liest.

So gibt die Kirche der Wirtschaft Denkschriften wie das „Gemeinsame Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage“. Positiv ist: Die ideologische Schlagseite früherer Kirchenpapiere findet sich nicht mehr. Dem „Humanum des Sozialismus“ wird offenbar nicht mehr hinterhergetrauert, weil inzwischen auch die Kirche die soziale Marktwirtschaft als plausibelste Alternative der vielen wirtschaftspolitischen Konzepte, die auf unserer Erde unter millionenfachen Menschenopfern ausprobiert worden sind, akzeptiert hat.

Für den wirtschaftlich einigermassen kundigen Leser ist dies eine freudige Entdeckung. Sie wird allerdings ein wenig getrübt durch die Darstellung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge, die man in der FAZ oder im Handelsblatt straffer und zugleich differenzierter finden kann.

Damit kann man sich abfinden. Ärgerlicher wird es, wenn das Papier Empfehlungen zur Lösung wirtschaftlicher Probleme bringen möchte: Dann werden entweder Lösungsansätze einfach nebeneinandergestellt (was soll der Leser damit anfangen?) oder aber, noch gefährlicher, es werden konkrete Politikempfehlungen gegeben. So liefert ein Papier in Deutschland Vorgaben für die rechnerische Anpassung des Wohngeldes. Offenbar hat die Kirche durch Studium von Gottes Wort ein klares Bild davon gewonnen, wie diese Anpassung zu geschehen hat; oder in anderem Zusammenhang, was im einzelnen versicherungsfremde Leistungen sind und aus welchem Haushalt sie bezahlt werden sollten. Woher nimmt die Kirche das Recht, sich in dieser Weise zu Detailfragen des öffentlichen Lebens zu äussern? Auf welche Texte im Alten oder im Neuen Testament kann sie sich in Wohngeldfragen beziehen?

Armut und Massenarbeitslosigkeit als kirchliche Totschlagargumente

Die Kirche sollte aufhören, in Wirtschaftsfragen eine Bühne des Jammerns, des Nörgelns und des Beklagens zu sein. Sie sollte Mut machen und einmal das halb volle Glas sehen statt des halb leeren.

Diese Bitte möchte ich an zwei Begriffen, die wie eine Monstranz für das ganze Elend unserer deutschen Gesellschaft herumgetragen werden, festmachen, an den Begriffen Armut und Arbeitslosigkeit. Darüber denkt anders, wer einmal Kalkutta oder Bogota, Manila oder Rumänien besucht hat.

Mit diesen Bildern vor Augen kann ich manche Teile der kirchlichen Debatte über die Armut in Deutschland nur als zynisch, über weite Strecken am Rande des Blasphemischen liegend empfinden.

Natürlich, es gibt Fälle von persönlicher, verschuldeter oder unverschuldeter wirtschaftlicher Not auch in Deutschland. Dennoch ist es einfach nicht richtig, wenn uns die Kirche erklärt, in den letzten 20 Jahren sei die Armut in Deutschland drastisch gewachsen. Ich frage, wann in der Geschichte es irgendeinem Volk materiell besser gegangen ist als uns Deutschen, und beileibe nicht nur den sogenannten Reichen.

Wenn man die Verantwortlichen fragt, woran sie denn die angeblich Tag für Tag sich verschlimmernde Armut messen, dann hört man: Als arm definieren wir denjenigen, der weniger als 50 Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens bezieht. Die Folge dieser Definition ist, dass ein günstiger Tarifabschluss der ÖTV oder der IG Metall, der ja das statistische Durchschnittseinkommen erhöht, pünktlich zum Monatsbeginn Hunderttausende zusätzlicher Armer in die Statistik bringt. Man kann auch fragen, ob die Zahl der Sozialhilfeempfänger eine Messgrösse für „Armut“ ist. Soll Sozialhilfe nicht gerade im Wege der sozialen Umverteilung dafür sorgen, dass Armut vermieden wird, ist sie nicht ein Mittel zur Bekämpfung der Armut, genauso wie Wohngeld und Bafög? Hat die Kirche das Recht, Menschen pauschal für arm zu erklären, weil Sozialhilfe sie schützt, in Armut zu fallen?

Ähnlich ist der Umgang mit der verbalen Keule „Massenarbeitslosigkeit“. Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Arbeitsplätze in Deutschland brauchen. Abzulehnen ist jedoch der undifferenzierte Umgang mit dem Begriff der Arbeitslosigkeit und das Wecken und Pflegen von Ängsten, gerade unter jungen Menschen. Wie viele Arbeitslose haben wir eigentlich? Von den registrierten Arbeitslosen sucht ein Drittel überhaupt keine Arbeit, diese Personen haben sich arbeitslos nur gemeldet, um bestimmte soziale Ansprüche, was ja legitim ist, zu erhalten. Annähernd ein weiteres Drittel ist aus Gründen mangelnder Qualifikation - teilweise fehlt es an Basiskenntnissen im Lesen und Schreiben - nicht vermittelbar. Stichwort Frauenarbeitslosigkeit: Hauptgrund dafür ist die zunehmende Neigung der Frauen zu eigener Berufstätigkeit. Dagegen wird grundsätzlich niemand etwas einwenden - auch nicht in solchen Fällen, in denen eine Berufstätigkeit der Ehefrau zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie offensichtlich nicht erforderlich ist.

Frauen möchten dazu beitragen, den Wohlstand der Familie zu mehren, oder sie haben einfach Spass am Beruf. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass sie andere Frauen, die materiell auf ihre Berufstätigkeit angewiesen sind, vom Arbeitsmarkt verdrängen. Hat die Kirche einmal darüber nachgedacht, hier auch eine ethische Frage zu erkennen, vielleicht den Gedanken anzuregen, ob aus mancherlei Gründen Frauen im Einzelfall der Familie Vorrang vor dem Beruf geben könnten?

Wäre es denn wirklich so fatal, wenn die Lebenspartnerin des hochbezahlten Vorstandsmitgliedes oder die flotte Gattin des Superintendenten, die jetzt in der Apotheke arbeitet, ihren Arbeitsplatz freimacht für jemanden, der eine Familie ernährt? Könnte es im Einzelfall auch eine Pflicht geben, eine entgeltliche Beschäftigung gegen unentgeltliche, die genauso den ganzen Menschen fordern und erfüllen kann, zu tauschen? Natürlich bezieht sich dieser Hinweis nicht nur auf Frauen, für Männer gilt er gleichermassen.

Selbstverantwortung, statt über Institutionen zu lamentieren

Ruft die Menschen zu mehr Selbstverantwortung auf - statt mit geistlichem Lamento die Institutionen zu belagern. Nehmen wir als Beispiel den unentwegten Appell, nicht nur der Kirchen, an die Unternehmer, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wo steht geschrieben, dass ein Unternehmer, der heute bereits 100 Leute beschäftigt, es als seine Pflicht empfinden sollte, künftig 110 Mitarbeiter in Lohn und Brot zu bringen? Wäre es nicht um ein Vielfaches dringender und angemessener, die Hunderttausende von jüngeren Leuten, die eigentlich Unternehmer sein könnten, wenn sie ihr Schicksal etwas mutiger, mit etwas weniger Sicherheitsbedürfnis in die Hand nähmen, anstatt sich auf die Suche nach einer tarifvertraglich sicheren Planstelle zu konzentrieren, zum Schritt in die Selbständigkeit zu ermutigen? Wo findet sich ein Appell der Kirche in diese Richtung?

Wirtschaft gesundet durch die Befolgung der Zehn Gebote

Die Kirche sollte den Mut haben, gegen den unsere soziale und wirtschaftliche Ordnung gefährdenden Betrug als millionenhaftes Massenphänomen anzugehen, und von den Leuten „Moral im Kleinen“ einfordern. Das siebte Gebot lautet: „Du sollst nicht stehlen.“ Also auch nicht betrügen. Wo bleibt hier das hart fordernde „Gemeinsame Wort“ der Kirchen? Ich meine nicht nur dann, wenn es um Kritik am Immobilienspekulanten Schneider geht oder um eine öffentlichkeitswirksame Gebetszeremonie zum Thema der ausgemusterten Ölplattform Brent Spar, nein, ich meine das Aufstehen gegen den Betrug als millionenfaches Massenphänomen, und für die Moral im Kleinen. Dazu muss ich eine Umfrage zitieren: Ist es schlimm, wenn man sich ohne Fahrschein in der Strassenbahn durchmogelt oder zu viel empfangenes Wechselgeld nicht zurückgibt? Darf man bei der Steuer schummeln?

Gleich nach der Wiedervereinigung war eine riesige Mehrheit von über 90 Prozent der ehemaligen DDR-Bewohner der Meinung: So etwas tut man nicht. In Westdeutschland teilten diese Ansicht damals 65 Prozent. 1996 urteilt in Westdeutschland leider nur noch knapp die Hälfte der Befragten so - in Ostdeutschland ist der Wert merkwürdigerweise sogar von 95 auf 65 Prozent gesunken. Doch wenn die Moralvorstellungen im Täglichen zerbröseln, schaffen wir den Nährboden für Kriminalität im Grossen, düngen wir den Boden, auf dem die Schneiders dieser Welt gedeihen. Ohne ein Mindestmass an undiskutiertem Anstand der breiten Masse, ohne Respekt vor bestimmten Spielregeln ist kein Gemeinwesen funktionsfähig, am wenigsten die von täglicher freier Entscheidung lebende Marktwirtschaft. Ich kann einfach nicht begreifen, warum die Kirche sich mit ihren Äusserungen zur Wirtschaft in volkswirtschaftlichen Detailfragen verfängt, statt dort anzusetzen, wo sie zuhause ist: bei den Zehn Geboten.

Sich nicht in Interessenkonflikte hineinziehen lassen

Die Kirche sollte Konflikte im Bereich der Wirtschaft als Interessenkonflikte erkennen und sich mit Wertungen oder gar Schlichtungsversuchen zurückhalten. Die Marktwirtschaft, gerade auch die soziale, lebt von der geordneten Austragung von Interessenkonflikten; derartige Konflikte sind geradezu das Betriebsgeheimnis der Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaftsordnung. Nehmen Sie die Tarifpolitik, in der es einerseits um das Interesse der Arbeitnehmerorganisationen geht, die Löhne anzuheben, also insoweit Gewinnmaximierung zu betreiben. Während die Arbeitgeber das gleiche zugunsten ihrer Aktionäre versuchen. Welche Gewinnmaximierung ist die ethisch bessere? Die der Arbeitnehmer, die Einkommen erhöht, oder die der Arbeitgeber, die Arbeitsplätze sicherer macht? Ähnliches gilt bei betriebsbedingten Entlassungen.

Ich kenne keinen Manager, der Mitarbeiter leichtfertig freisetzt. Wenn dies geschieht, so mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern und damit Arbeitsplätze zu erhalten, vielleicht sogar neue zu schaffen. Die Aufgabe der Kirche besteht in solchen Fällen nicht darin, Pastoren im Talar an die Spitze von Demonstrationen zu stellen, sondern ihre seelsorgerische Aufgabe am einzelnen zu erfüllen - an demjenigen, der entlassen muss, wie an demjenigen, den die Entlassung trifft. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Auch dann, wenn die Kirche eine Parteinahme gar nicht beabsichtigt, sondern sich nur als Dialogforum anbietet, geht sie einen gefährlichen Weg. Sie wird notwendig in Interessenkonflikte hineingezogen, zu deren Schlichtung ihr die Legitimation fehlt.

Vorurteil vom „profitorientierten Kapitalisten“ abbauen

Die Kirche sollte Unternehmer und Manager besser verstehen lernen und sie für die Kirche gewinnen. Die kirchliche Tagespraxis ist jedoch eine andere. Dort dominieren die Bilder des profitorientierten Kapitalisten, der Produktionen ins Ausland verlagert, statt hier den Arbeitslosen eine Chance zu geben, an den man mit Denkschriften appellieren und dem man immer wieder die Warnung aus Matthäus 19,14 von dem Kamel und dem Nadelöhr vorhalten muss - eine Warnung, die offenbar für alle gilt, ausgenommen die wohlhabende Kirche selbst.

Mein dringender Rat an die Kirchen lautet, sich aus dieser Frontbildung an der Gemeindebasis zu verabschieden und statt dessen umgekehrt eine Offensive einzuleiten zur Gewinnung aller derer, die Unternehmer- und Managementverantwortung tragen. Das läge schon im Interesse kirchlichen Eigennutzes. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht erstrebenswert, mehr Unternehmer/Manager für die Mitgliedschaft in Presbyterien und Synoden zu gewinnen - als Seiteneinsteiger, nicht erst nach jahrelangem Hochdienen?

Sollte man den Pastoren nicht raten, neben den Arbeitskreisen für Frauen, für Jugendliche, für Sozialarbeiter auch einmal einen Gesprächskreis der grössten Kirchensteuerzahler zu bilden? Man darf doch eigentlich erwarten, dass, wer für eine Gemeinschaftsaufgabe einen besonders hohen Beitrag leistet, an dieser Sache auch besonderes Interesse hat. Zumindest gilt, wie in jeder Organisation, der Umkehrschluss: Wer sich trotz hoher Beiträge nicht eingebunden bzw. benötigt fühlt, stellt sich früher oder später die Frage: Warum das Ganze? Dabei liesse sich gerade diese Frage mit Blick auf die Wirtschaft so leicht beantworten: Den Menschen dort helfen, wo Betriebswirtschaft, Nationalökonomie, Interessenverbände und Wohlfahrtsinstitutionen am Ende ihres Lateins sind: bei der Suche nach dem persönlichen

Die Fairness gebietet es anzuerkennen, dass während der letzten Jahre in dieser Richtung von einzelnen Kirchenführern und Geistlichen manches geleistet bzw. versucht worden ist. Meine Kritik ist Ausdruck der hohen Erwartungen der Wirtschaft an die Kirche als Quelle der Orientierung dort, wo alle anderen Hilfen versagen müssen.

Der Autor, Dr. Hans Christoph von Rohr, war bis 1995 Vorstandsvorsitzender der Klöckner-Werke AG (33.000 Mitarbeiter) und ist heute Vorsitzender des Industrial Investment Council (Berlin), der sich um die Gewinnung internationaler Investoren für die neuen Bundesländer kümmert.

Datum: 12.05.2002
Autor: Hans Christoph von Rohr
Quelle: idea Deutschland

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