Zu Fuss nach Bethlehem

Der Stern auf dem Boden symbolisiert die Geburtsstätte Jesu

Gut dreieinhalb Kilometer sind es vom israelischen Kontrollpunkt hinter Jerusalem bis zur Geburtskirche im Herzen von Bethlehem, also 40 Minuten. Das heisst, an diesem Mittag sind es mehr als 40 Minuten. Denn die Soldaten am Checkpoint haben gerade Verpflegungszeit. So vergeht eine gute Weile an dem gemalten "Stop" auf dem Pflaster, bevor ein lässiger Fingerzeig den Weg freigibt. Der Kontrollpunkt ist schon längst kein solcher mehr, sondern ein Grenzübergang.

Dezembermittag, gut 15 Grad. Wunderbares Sonnenwetter für einen Spaziergang im judäischen Hügelland. Links von der Strasse räumen grosse israelische Bulldozer, bewacht von Militär, noch ein Stück Feld. Auf palästinensischer Seite warten Taxifahrer, locken mit Worten und Gestik den Wanderer in ihr Auto. Ein fliegender Händler lässt nicht locker, zeigt Stofftiere in einer Plastiktüte, nennt utopisch billige Preise. "Kaufen Sie", sagt er, "irgendetwas". Am Schluss bettelt er: "Wenn Sie schon nichts kaufen, geben Sie mir was. Ich habe drei kleine Kinder und weiss sie nicht zu versorgen."

Auch Krisengewinnler

Die vierspurige "Yasser Arafat Street", vor Jahren viel befahren, ist auto- und fast menschenleer. Eine Beduinenfrau mit ihrem vielleicht fünfjährigen Sohn kommt vom Feld, zieht Brennholz. Ein hagerer Mann im Anzug tritt aus einem Haus und fragt verlegen nach einer Zigarette. Hinter dem "Bamboo House" biegt der Weg nun links ab, für Autos und Fussgänger. Denn hier steht "Rachels Grab", eine heilige Stätte der Juden, die palästinensische Kämpfer in Konfliktzeiten gerne mal angreifen. Als Schutz diente früher eine Betonmauer, heute ist es eine quasi urzeitliche Stein- und Betonlandschaft. Ein Soldat ist dazwischen nicht zu sehen.

Die ausgestreckte Hand auf dem rot-weissen Stoppschild ist von einer Kugel durchschlagen. Wie viele der Reklametafeln am Weg, der nun "Manger Street" (Krippenstrasse) heisst. Plötzlich öffnet sich die Tür eines verlassen wirkenden Hotelgebäudes. "Welcome, Merry Christmas", verkündet ein perfekt gestylter Weihnachtsmann, rotgewandet, mit Maske, Bart und Gehstock. Wieso hier "merry" Christmas? Der Mann macht kehrt und verschwindet im Gebäude. Über der Strasse Weihnachtsdekoration. Einige Häuser weiter sitzen Männer neben ihren dicken schwarzen S-Klasse-Benz und palavern beim Kaffee. Wenn nicht Kriegs-, so doch Krisengewinnler.

Schräg gegenüber hängt ein überdimensionales Filmplakat. "Black Hawk Down. Leave no man behind". Ausgerechnet. Auch unter dieser Werbung erinnern Poster an "gefallene Kämpfer" der Palästinenser. Terroristen. Fotos von angeberisch stolzen Männern mit Patronengürteln und Kalaschnikows. Aber die meisten der Plakate zeigen die kleine Kristina vor der Geburtskirche. Das Mädchen starb am 25. März mitten in Bethlehem im Auto seines Vaters, durch Schüsse israelischer Soldaten. Ein tragisches Versehen. Ein Scharmützel, hiess es. Eines der Kinder von Bethlehem 2003.

Nach gut zwei Kilometern weitet sich der Blick links der Strasse zwischen den Häusern. Im Dunst ist das jordanische Bergland zu erahnen, in der Nähe "die Mauer" oder "der Zaun" zu sehen. Wie immer man es nennt - hier sind es drei Zäune und ein Fahrweg, mit dem die Israelis separieren, Selbstmordattentäter und vor allem Probleme ausgrenzen wollen.

Weihnachten ein paar Kunden

In seinem fein sortierten Lebensmittelladen, einem der wenigen geöffneten Geschäfte, schmückt Issa Sanad gerade einen Plastik-Weihnachtsbaum. "Hoffentlich haben wir zu Weihnachten ein paar Kunden", sagt der 33-Jährige. Issa heisst auf Arabisch Jesus. Er ist Muslim und schwärmt von den christlichen Ordensfrauen in seinem Heimatdorf, bei denen er die ersten Schulstunden besuchte. Er will, dass die Christen von Bethlehem trotz allem Weihnachten feiern. "Wenn wir unsere Feste nicht feiern, wird es noch schwerer zu bleiben."

Ein Leben lang davon geträumt

Vor der Geburtskirche dann tatsächlich ein paar Touristen. Ein Bus entlässt eine Gruppe Koreaner, die es "gewagt" hat, den Ort der Weihnacht zu besuchen. Zwei Kinder betteln, lassen sich nicht abschütteln, bis die Touristenpolizei dazwischen geht. Unten im Bauch der Kirche, wo in einer Grotte ein vierzehnzackiger Stern den überlieferten Ort der Geburt Jesu markiert, ist es ruhig. Drei alte italienische Ordensfrauen sind im Gebet vertieft. Nach einer Weile steigen zwei Besucherinnen von den Philippinen die Stufen hinab. "Mein Leben lang träume ich davon, an diesen Ort zu kommen. Weihnachten", sagt die 24-jährige Martha unter Tränen.

Später am Nachmittag, am Kontrollpunkt, kommt der Bus und entlädt die Koreaner, die zu Fuss hinüber müssen nach Israel. Kinder und Jugendliche mit Postkarten umkreisen sie die letzten Meter, wollen es nicht lassen. Da kommt Geschrei aus der israelischen Stellung. Zwei Soldaten kommen heran und weisen die kaum Halbwüchsigen zurecht, die Maschinenpistolen im Anschlag.

Autor: Christoph Strack

Datum: 24.12.2003
Quelle: Kipa

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