«Gott ist kein Uhrmacher oder Lückenbüsser»

Erde
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Der Glaube erlebt, die Wissenschaft misst. Was ist realer? In der Absurdität der Frage verbirgt sich die Banalität der Antwort. Und die Spannung zwischen beiden. Der Astrophysiker Arnold Benz weicht ihr nicht aus.

Er stellte sich ihr in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». So gewiss wie er an den Gott glaube, «der Moses und sein Volk aus Ägypten herausführte oder Jesus auferstehen liess», so unbefangen erklärt er auch mal einem Doktoranden im Treppenhaus die Grenzen der Schrödinger-Gleichung, der Grundgleichung der Quantenmechanik. Den Widerspruch, den hier viele Zeitgenossen empfinden, führt er zurück auf die unverständliche Sprache der Theologen, methodische Grenzüberschreitungen der Wissenschaftler und wohl auf beiden Seiten unangemessene Gottesbilder.

Die Wissenschaftler reduzieren

Kurz gesagt: «Die Naturwissenschaften können mit ihren Methoden Gott weder finden noch ihn aus der Welt schaffen.» Dafür sind sie einfach nicht kompetent. Der wirkliche Gott lässt sich nicht bestimmen wie ein Objekt. Die Sichtweise der Naturwissenschaften ist «reduktionistisch»; sie reduziert die Wirklichkeit auf Erfahrungen, die sich in ihr wiederholen und darum gemessen und eingeordnet werden können. Damit habe man zwar «erstaunlich viel Erfolg gehabt», doch warnt Benz davor, diese Erkenntnisse zu überschätzen. Die Wirkung eines schönen Bildes oder die Erfahrungen von Liebe oder Schmerz könne die Wissenschaft ebenso wenig wiedergeben wie Fragen der Religion.

Daran hindere sie aber auch eine überholte Vorstellung von Gott. «Der Uhrmacher-Gott, der die Welt einmal nach einem besonders raffinierten Plan hergestellt hat», und seitdem läuft sie einfach weiter, der habe angesichts eines dynamischen Universums «ausgedient». – Ob Gott denn besser auf den weissen Flecken unseres Wissens zu finden sei; dort, wo man einfach nicht mehr weiterkommt, fragt ihn Matthias Meili von der NZZ. «Das ist eine zweite unbrauchbare Vorstellung: der Lückenbüsser-Gott», lautet die Entgegnung von Benz.

Die Theologen verbergen sich

Überhaupt trügen viele Naturwissenschaftler noch ein Gottesbild «aus ihrer Sonntagsschulzeit» mit sich herum, der manche zu einem «antireligiösen Fundamentalismus der Atheisten» führe. «Solche Leute sollten eigentlich definieren müssen, an welchen Gott sie nicht glauben.» Dann käme man dem dahinterstehenden «antiquierten Gottesbild» auf die Schliche. Umgekehrt sollten es ihnen die Theologen leichter machen, zum Gott der Bibel zu finden, indem sie in einer heute verständlichen Sprache erklären, was genau denn sie «unter Gefühlen, Mystik, Seele oder Offenbarung verstehen».

Finden sie zusammen?

Angesichts solcher Überlegungen mag es erstaunen, wenn Benz gleich zu Beginn des Gesprächs erklärt, Naturwissenschaft und Religion «(werden) nie zusammenkommen», weil die eine in den Kategorien von Ursache und Wirkung denke, während die andere in Bildern «die menschlichen Erfahrungen erfasst». Ursache und Wirkung, das ist auch ein Erfahrungswert im Leben; „was der Mensch sät, das wird er ernten“, auch der nichtreligiöse.[i] Und was ist auf der anderen Seite eine mathematische Formel anderes als ein zu Zahlenwerten kondensiertes Bild der Wirklichkeit?

Kommentar

von Lothar Mack

Die modische Flucht vor Gott

Die Ausführungen von Arnold Benz weisen in eine ähnliche Richtung wie jene des judenchristlichen Denkers Eugen Rosenstock-Huessy. Was Benz den „reduktionistischen“ Ansatz nennt, heisst auf gut deutsch: Man sieht etwas, aber man verweigert sich bewusst das nähere Einordnen. Oder in den Worten von Rosenstock:: «Hierin besteht das Wesen der blossen Neugier, dass sie das „Sehen“ abtrennt und das anstarrende Auge von jeder anderen Art der Einsicht oder Erkenntnis isoliert.»[ii] Die Zusammenhänge mit dem übrigen Leben werden darum gerade nicht wahrgenommen; auch nicht mit dem Glauben. Der nächste Schritt bleibt darum nicht aus: «Die meisten Atheisten leugnen Gott, weil sie auf dem falschen Weg nach ihm suchen. ... Die Kraft, die uns dazu treibt, eine Frage über Leben und Tod zu beantworten, ist stets unser Gott. Die Kraft, die den Atheisten für den Atheismus kämpfen lässt, ist sein Gott.»[iii]

Aber auch die Theologen müssten aufwachen und Gott aus den Gedanken heraus- ins Leben hineinlassen. Denn bislang sei «die Flucht der Theologen in die Theologie... eine Flucht vor der Gegenwart Gottes».[iv] Was die Wissenschaftler im Materiellen versuchen, das probieren die Theologen im Geistigen: Gott zu objektivieren. Er habe darum «Studenten über die Eigenschaften Gottes reden hören, so dass ich mich schämte. Die wussten alles „über“ Gott, nur nicht, dass er ihnen zuhörte. Und sie schämten sich nicht. Es waren Theologiestudenten.»[v]

«Gegenstände kann man kontrollieren; Gottes Gegenwart kontrolliert uns.»[vi]

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[i] Galaterbrief 6,7-9
[ii] Des Christen Zukunft oder Wir überholen die Moderne, 1965, Neudruck bei Brendow 1985, S. 75
[iii] Des Christen Zukunft, S. 116-119
[iv] Heilkraft und Wahrheit, 1951, Neudruck bei Brendow 1990, S. 25

[v] Der Atem des Geistes, 1950, Neudruck bei Brendow 1990, S. 51
[vi] Der Atem des Geistes, S. 106

Datum: 25.04.2005
Quelle: NZZ am Sonntag

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