Megafluten bringen Veränderung

Schlagartige Ereignisse statt langer Zeiträume

Aufgestautes Wasser tritt umgehend aus. Wie bei einem Damm, der bricht. Wassermassen, zunächst natürlich aufgehalten durch Lavagestein, Eisschilder oder anderes, werden mit einem Schlag freigesetzt und fräsen mit unvorstellbarer Abflussrate tiefe Einschnitte in weichere Gesteinsschichten.
Dry Falls, durch die Missoula-Fluten gebildete ehemalige Wasserfälle

«Zahlreiche gewaltige Flutereignisse stehen in Verbindung mit dem Zusammenbruch grosser Eisschilde», erklärt Michael Kotulla, Diplom-Geologe und Mitarbeiter bei der Studiengemeinschaft «Wort und Wissen» im Hintergrundbericht «Megafluten». «Ihnen wird ein gravierender Einfluss auf die Landschaftsentwicklung zugeschrieben.»

Die Lake-Missoula-Flut traf jedoch gleich zweifach mit voller Wucht auf ganz unterschiedliche Strukturen: Damals auf die lössbedeckte Ebene des Columbia-Plateaus. Und heute auf das Theoriengebäude zur Deutung der geologischen Erdgeschichte.

Schlagartige Ereignisse

Megafluten sind Wasserströme von enormer Mitreisskraft und einer Abflussrate, die unsere Vorstellung weit übersteigt. Michael Kotulla: «Fluten dieser Dimension werden auch als katastrophische Fluten, kataklysmische Fluten oder Superfluten bezeichnet. Bisher sind sie der direkten wissenschaftlichen Beobachtung nicht zugänglich gewesen; es sind durchweg vergangene Ereignisse, die historisch beziehungsweise 'wissenschaftlich'-historisch nicht dokumentiert sind.» Einzig anhand von Indizien können sie rekonstruiert werden.

Bei solchen Megafluten handelt es sich um plötzliche Ereignisse. An natürlichen Blockaden aufgestaute Wassermassen, beispielsweise durch Gletscher, Lava oder Erdrutsche, bilden ein immer grösseres Becken. Wird durch Druck oder Unterspülung ein Schwellwert überschritten, bricht diese Naturbarriere. Das Becken bricht und gigantische Wassermassen werden freigesetzt.

47-mal der Bodensee

Im kleineren Rahmen ist dies in Patagonien zu sehen. Der Perito-Moreno-Talgletscher staut dort jeweils einen Teil des Argentino-Sees auf bis zu 30 Meter. Wird der Druck des aufgestauten Schmelzwassers zu gross, bricht der Damm jeweils – dies geschieht alle vier bis fünf Jahre. Ein Miniatur-Versuchslabor, im Vergleich zur Lake-Missoula-Flut, bei der es sich um einen 700-Meter-Eisdamm handelte.

Die Lake-Missoula-Flut ist die am besten erforschte prähistorische Megaflut. Schlagartig entleerte sich der See, der sich über eine Ausdehnung von 7700 Quadratkilometer erstreckte und der bis zu 600 Meter tief war – im Grunde ein kleines Binnenmeer. Durch das Brechen eines Eisdammes wurden dabei rund 2260 Kubikkilometer Wasser freigesetzt (der Bodensee verfügt über 48 Kubikkilometer). Der See wurde wahrscheinlich binnen zweier Tage entleert. Michael Kotulla: «Vom aufgestauten Lake Missoula in Montana bis zu den Tiefseeablagerungen im Pazifischen Ozean lassen sich die Spuren dieser Megaflut von Osten nach Westen über eine Strecke von über 2000 Kilometer Länge verfolgen.» Die Wassermassen erreichten eine unbändige Kraft und eine Geschwindigkeit von bis zu 120 Kilometer und formten die Landschaft dabei nachhaltig. Auf diese Strömungsgeschwindigkeit lassen riesge Rippelmarken schliessen.

Mehrere Fluten prägten Erdoberfläche

Die Erforschung der Megafluten, besonders der Lake-Missoula-Flut, trug zur Erkenntnis bei, dass die in der Geologie zur Deutung der Vergangenheit vorherrschende Vorgehensweise nach dem regulativen Prinzip des Uniformitarismus fehlerbehaftet und irreleitend ist.

Es wird zudem angenommen, dass sich etliche weitere Megafluten ereigneten, zum Beispiel in Nordrussland oder in den Urstromtälern in Norddeutschland und Polen. Möglich ist, dass die einstige natürliche Landverbindung im Bereich der Doverstrasse zwischen dem heutigen Grossbritannien und Kontinentaleuropa von den anstehenden Wassermassen der südlichen Nordsee durchbrochen wurde und dies zu einem katastrophalen Ausbruch des gesamten proglazialen Schmelzwasserstausees führte; um ein weiteres Beispiel zu nennen.

Mittlerweile werden weltweit mehr als vierzig Regionen beschrieben, in denen Megafluten wesentlich zur Landschaftsbildung beigetragen haben. «Nach 50 Jahren weiteren Erkenntnisgewinns steht die Erforschung von Megafluten dennoch am Anfang.»

Superfluten sind neue Erkenntnis

Als in den 1920er-Jahren ein erster Wissenschaftler aus seinen Geländebeobachtungen folgerte, dass die Channeled Scabland (im US-Bundesstaat Washington) durch eine Flutkatastrophe entstanden sein musste, wurde er von seiner Zunft hart kritisiert – es galt als undenkbar, dass die Abtragung statt Hunderttausende von Jahren nur wenige Stunden oder Tage gedauert haben sollte.

Bis dato galt es, den Beobachtungen Vorrang gegenüber der Theorie zu geben; da bis zu diesem Zeitpunkt keine Superfluten beobachtet worden waren – was sich mittlerweile geändert hat. Dazu führte 1965 die Besichtigung des Palouse River durch Geologen der Quartärvereinigung. Diese kamen überein, dass der Fluss weder den gigantischen Strudelkessel noch den Katarakt noch den Canyon geschaffen haben konnte.

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Datum: 29.06.2017
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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