Nelson Mandela

Was hinter dem Charisma des Freiheitskämpfers steckte

Vor genau 30 Jahren kam Nelson Mandela nach 27-jähriger Haft frei. Danach hat er Südafrika verändert. Ein Blick in den Charakter und die Motive des späteren Nobelpreisträgers.
Nelson Mandela (Bild: Facebook)

Nelson Mandela ist längst zum Mythos geworden. Und die Folgen der Befreiung der schwarzen Bevölkerung zur Gleichberechtigung haben längst nicht alle Hoffnungen erfüllt, die Mandela geweckt hat. Dennoch war er eine aussergewöhnliche Persönlichkeit, mit der sich die Mächtigen der Welt nach seiner Wahl zum Präsidenten Südafrikas gerne zeigten. Was aber machte seine Persönlichkeit aus – oder den Charakter eines Menschen, der mehrfach das Angebot auf seine Freilassung ausschlug und 27 Jahre in Gefangenschaft aushielt?

Der Christ und die Gewaltoption

Zweifellos war es seine Beharrlichkeit und Standfestigkeit, die schliesslich zur Überwindung der Apartheid in Südafrika führten, aber es war auch seine Geradlinigkeit und Integrität, die schliesslich dem Land eine friedliche Revolution ermöglichten, auch wenn diese mannigfaltig durch Gewalttaten beider Seiten bedroht wurde.

Weniger bekannt ist aber, dass sich Mandela ausdrücklich als Christ verstand, wie er das in seiner Autobiografie «Der lange Weg zur Freiheit» mehrfach bezeugt. Dies zum Beispiel in einem Interview mit der Washington Times 1985, als er sich gegen den Vorwurf verteidigen musste, ein Terrorist und Kommunist zu sein. Mandela schreibt dazu: «Ich sagte ihnen, ich sei Christ und immer Christ gewesen.» Und zur Frage, weshalb er denn nicht auf die Gewaltoption verzichte, sagte er, selbst Jesus Christus habe Gewalt eingesetzt, als es keine andere Option mehr gegeben habe, und er verwies dazu auf die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel. Die Entscheidung, Gewalt als mögliche Option im Freiheitskampf einzusetzen, fiel nach langem Ringen während einer langen Phase, in welcher der Afrikanische Nationalkongress ANC grundsätzlich auf Gewalt verzichtete und lediglich gewaltlose Mittel wie Boykotte einsetzte. Denn zuvor hatten viele Jahre mit dem Einsatz gewaltloser Mittel keine Fortschritte gebracht und nur die Unterdrückung durch das Apartheidsregime gesteigert. 

Ein originelles Gebet

In der Tat war der christliche Glaube von Jugend auf ein Teil von Mandela. Schon während der Schulzeit teilte er mit Jugendlichen biblische Geschichten. Und bei wichtigen Entscheidungen konsultierte er öfter Kirchenleiter.

Mit einem Schmunzeln zitiert er das Gebet eines der Kirchenleiter, vor denen denen er – noch in Freiheit – gesprochen hatte. Das Gebet sei ihm als eine Quelle der Kraft in schwierigen Zeiten im Gedächtnis geblieben. Nachdem der Pfarrer dem Herrn für seine Güte gedankt hatte, «nahm er sich die Freiheit, den Herrn daran zu erinnern, dass manche seiner Geschöpfe beladener seien als andere und dass es mitunter scheine, als gebe er auf sie gar nicht acht.» Und dann, so erinnert sich Mandela «erklärte der Geistliche, falls der Herr nicht ein wenig mehr Initiative zeige bei der Führung des schwarzen Mannes zur Erlösung, müsse der schwarze Mann die Sache in seine eigenen zwei Hände nehmen. Amen.» (S. 358)

Hass gegen das System, nicht gegen die Menschen

Dass es zu keiner Eskalation der Gewalt kam, dafür sorgte Mandela selbst in den langen Gefängnisjahren, so weit es ihm die erlaubten Aussenkontakte ermöglichten. Es war aber auch die Grundeinstellung, dass der Kampf um die Gleichberechtigung der Schwarzen nicht gegen die Weissen geführt werden sollte. Er schreibt dazu (S. 759): «Ich wusste, die Menschen erwarteten von mir, dass ich Zorn auf die Weissen hegte. Doch das war nicht der Fall. Im Gefängnis nahm mein Zorn auf die Weissen ab, aber mein Hass auf das System wuchs. Südafrika sollte sehen, dass ich sogar meine Feinde liebte, das System jedoch hasste, das uns gegeneinander aufbrachte.» 

Unterdrücker und Unterdrückte befreien

Daraus entstand so etwas wie eine christliche politische Philosophie. Er schreibt: «Während dieser langen, einsamen Jahre (der Haft) wurde aus meinem Hunger nach Freiheit für mein eigenes Volk der Hunger nach Freiheit aller Völker, ob weiss oder schwarz. […] Ein Mensch, der einem anderen die Freiheit raubt, ist ein Gefangener des Hasses. […] Der Unterdrückte und der Unterdrücker sind gleichermassen ihrer Menschlichkeit beraubt. Als ich das Gefängnis verliess, war es meine Aufgabe, beide, den Unterdrücker und den Unterdrückten zu befreien.» Doch ein langer, schwierigerer Weg stehe noch bevor. «Denn um frei zu sein genügt es nicht, einfach nur die Ketten abzuwerfen, sondern man muss so leben, dass man die Freiheit des anderen respektiert und fördert.» (S. 835)

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Datum: 11.02.2020
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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