Wenn Ersthelfer ihre Patienten nicht retten können, bleiben oft Fragen zurück. In diesen Momenten spricht Anne Sabourdy aus Ostermundigen oft über ihre Nahtoderfahrung und ihren Glauben. Sie hat sich auf die Ausbildung von Behinderten spezialisiert.
Mit ihrer Schule für Lebensrettung trainiert Anne
Sabourdy (66) Personen, um das Leben anderer zu retten. Was sind aber die
Konsequenzen, wenn dies nicht gelingt? Was geschieht mit einer Person, wenn sie
stirbt? Auf diese Frage geht Anne nicht nur wegen ihrer Nahtoderfahrung gerne
ein.
Schule für Lebensrettung
Anne bietet Schulungen für Herzmassage und Defibrillator
an, aber auch Ersthilfekurse und vieles mehr. «Unsere Kurse zeichnen sich
durch starke Praxis aus. Die Teilnehmer dürfen einfach üben, sie dürfen Fehler
machen und es erneut versuchen.» Das Ergebnis ist, dass Teilnehmer die Angst
vor dem Helfen verlieren.
Die Firma mit dem Namen «Schule für
Lebensrettung» startete Anne im Jahr 2000. Heute hat sie sechs Freelancer, die in ihrem Beruf arbeiten und punktuell bei Schulungen mitwirken. «Es sind
Fachpersonen, die zum Teil von mir ausgebildet wurden. Wir bieten die Kurse in
der ganzen Schweiz auf Deutsch und Französisch an.» Obwohl Anne längst schon
pensioniert wäre, arbeitet sie zeitweise noch weit mehr als 100 Prozent. «Ich führe
Kurse mit Lokführern, in Kitas und überall dort durch, wo ich gerufen werde.»
Ein beachtlicher Teil der Kurse führt sie mit beeinträchtigten Personen durch.
«Ich habe mich für den Behindertenbereich spezialisiert. Das macht sonst
niemand.»
Eine Beeinträchtigte im Einsatz für
Beeinträchtigte
Aufgrund eines Gendefektes ist Anne Allergikerin
und reagiert auf viele Dinge sehr ausgeprägt. «Ich gehöre zu den schwerstbetroffenen
Allergikern der Schweiz.» Düfte, Nahrungsmittel und auch Materialien können
lebensbedrohende Reaktionen hervorrufen. «Viele Leute können sich nicht
vorstellen, wie ich überhaupt leben und sogar arbeiten kann.» In einem
Restaurant zu essen, ist für Anne kaum möglich, bei Tageskursen muss sie ihr
eigenes Essen mitnehmen. «Falsche Nahrung zu mir zu nehmen, kann sehr schnell
tödlich enden.»
«Als Kind war ich fast immer krank», erinnert sie sich. Als sie
zwölf Jahre alt war, sagte ihr Arzt, sie würde das 20. Lebensjahr nicht
erreichen. Die Prognose stellte sich als falsch heraus, Anne hat heute fünf
Kinder und fünfzehn Grosskinder. Und ihr Lebensweg war alles andere als
langweilig. Dass sie sich heute mit vielen ihrer Kurse an Behinderte richtet,
hat einen Zusammenhang mit ihrer persönlichen Geschichte. «Manche behinderten Menschen
haben in ihrem Leben noch nie ein Diplom erhalten», erklärt Anne einen ihrer
Beweggründe. «Ich mache jeweils Fotos von den Teilnehmern und überreiche ihnen
nach absolviertem Kurs ein Diplom.» Die strahlenden Gesichter zu sehen, sei
diesen zusätzlichen Aufwand wert.
Rettungssanitäterin und Erwachsenenbildnerin
Nach der vernichtenden Diagnose des Arztes, hat
Anne schon als Zwölfjährige die Kraft des Glaubens erfahren. Damals verspürte
sie die klare Zusage Gottes: «Wir schaffen das!» Und irgendwie kam sie, obwohl
sie häufig krank war, durch die Schulzeit. Zeiten mit allergischen Reaktionen
wechselten sich mit Ausfällen wegen einem gebrochenen Bein ab. Als Anne 20 Jahre
alt war, wurde diagnostiziert, dass sie Glasknochen hat und erst 2019 konnte
die konkrete Form eruiert werden. «Es gehört zu den seltensten Formen von
Glasknochen und ich bin weltweit eine von ungefähr 50 betroffenen Personen.»
Ihre Ausbildung zur Kindergärtnerin musste sie
bald abbrechen. Jung verheiratet, zog sie mit ihrer Familie nach Südfrankreich,
wo ihr Mann eine Stelle erhalten hatte. «Dort machte ich die Ausbildung zur
Rettungssanitäterin.» Nach der Rückkehr in die Schweiz studierte sie sechs
Semester zur Erwachsenenbildnerin. Das ist die Grundlage ihrer heutigen
Tätigkeit.
Eine Nahtoderfahrung
Nach dem Verabreichen eines Medikaments bekam
Anne einmal eine starke allergische Reaktion. Sie hatte eine Nahtoderfahrung.
«Ich sah mich durch einen Tunnel auf ein helles Licht zugehen und fand mich
letztlich an einem himmlischen Ort wieder.» Annes Erinnerung an ihre Erfahrung
ist sehr klar geblieben. «Eine Stimme sagte: Du musst zurückgehen, es wartet
noch eine Aufgabe auf dich.» Das nächste, was Anne wahrnahm, war die Stimme des
Arztes. «Zum Glück haben wir sie wieder!», sagte er. Ins Leben zurückzukommen
war nicht einfach. «Wenn du vor dem Himmelstor stehst, denkst du nicht mehr an
Angehörige oder sonst etwas. Ich wäre unbeschreiblich gerne dortgeblieben.»
Viele Ersthelfer, die den Patienten nicht retten
können, bleiben mit der Frage zurück, was nach dem Tod kommt. Bei solchen
Gesprächen ist ihre Nahtoderfahrung wertvoll. «Ich bin sicher, dass ich einmal
hinter dieses Tor kommen werde», sagt sie und spricht dann von ihrem Glauben an
Jesus. Der Glaube an ihn ist der Weg, der zum Leben an diesem wunderbaren Ort
führt. «Ich spreche immer offen über meinen Glauben und habe deswegen noch nie
einen Kunden verloren.»
Jeder Mensch braucht ein Zuhause
Eine christliche Gemeinde zu besuchen, ist Anne
sehr wichtig. «Seit fünf Jahren besuche ich eine kleine Gemeinde in
Ostermundigen. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebe ich eine Gemeinde, die auf
meine Allergien Rücksicht nehmen kann.» Hierzu musste beispielsweise auf Kerzen
verzichtet und zahlreiche Pflanzen entfernt werden. «Viele können fast nicht
glauben, dass ich zu einer Gemeinde gehöre, in der es mir rundum wohl ist.»
Dass sie sogar ein Wochenende mit dieser Kirche verbringen konnte, bedeutet
Anne sehr viel. So etwas gab es zuvor noch nie.
Nicht nur in Kirchen, sondern auch an anderen
Orten findet Anne nur schwer Anschluss. Dabei kriegt sie oft zwei Dinge zu
hören: «Du bist uns zu kompliziert» und «wir wollen nicht verantwortlich sein,
wenn dir etwas passiert». Dass sie heute voll im Leben steht, erfüllt sie mit
grosser Dankbarkeit. Sie hat eine Familie, eine christliche Gemeinde und einen
Job, den sie über alles liebt. Und dies alles trotz ihrer massiven
Einschränkungen.
Das menschliche Leben ist wertvoll
Ein offener Wunsch von Anne ist, ihre Firma in
die Hände von jemandem zu übergeben, der die Arbeit in ihrem Sinne weiterführt.
Das sei aber eine grosse Herausforderung. «Neben dem Fachwissen über die
Lebensrettung braucht es auch ein grosses Wissen im Behindertenbereich.» Sie
wünscht sich, dass auch Menschen mit Behinderungen zu Lebensrettern ausgebildet
werden können. Schliesslich ist jedes Leben wertvoll und sollte nicht nur
gerettet, sondern auch gewürdigt werden – auch bei einer allfälligen
Behinderung. Deshalb stellt sie Diplome an Behinderte aus, spricht von Gott,
der jeden Menschen als überaus wertvoll erachtet, und setzt sich dafür ein, dass
Menschen in lebensbedrohlicher Situation gerettet werden können.