Mit vier vorangegangenen Generationen von Pastoren
wusste Michael Phillips schon als Junge, dass es in seiner DNA lag, Pastor zu
werden. Doch dann schlug er einen völlig anderen Weg ein…
Phillips wuchs in den frühen 1980er Jahren im
Stadtteil Park Heights in Baltimore, Maryland auf. Eine Gegend, die stark
von Bandengewalt und Kriminalität geprägt war.
Er erinnert sich, dass er nach dem schockierenden Tod
seines Vaters – als Michael zwölf Jahre alt war – nicht viele positive
Vorbilder in seinem Umfeld hatte, zu denen er aufschauen konnte.
Phillips' Urgrossvater, seine Tante, die Grosseltern
sowie seine Eltern und viele andere Verwandte waren Pastoren gewesen. Seine Eltern
waren seine Helden, weil sie ihn lehrten, zu beten, an Gott zu glauben und in
all seinen Bemühungen sein Bestes zu geben, sei es in sozialer, emotionaler,
akademischer oder sportlicher Hinsicht.
Im Gefängnis gelandet
Als der Junge zwölf war, starb sein Vater im Sommer
1986 plötzlich und unerwartet, nachdem sich ein Blutgerinnsel von seinem Bein
in sein Gehirn verschoben hatte. Dies verursachte einen Schlaganfall und einen
tödlichen Herzinfarkt.
Nach dem Tod und der Beerdigung seines Vaters schwand
sein Traum, Pastor zu werden und in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, da
er Gott die Schuld für das Ableben seines Vaters gab. «Mein Vater war mein Held. Er war für mich ein Vorbild
an Männlichkeit und Erfolg. Er war die erste Person, die mir gezeigt hat, wie
Erfolg in meiner Hautfarbe aussieht. Vater war der Herzschlag unserer Familie.»
«Niemand hat deinen Fingerabdruck»
«Als junger Mann war mein Vater derjenige, an dem ich
meine Identität festmachte, um zu verstehen, wer und was ich war. Als er starb,
verlor ich mein Selbstverständnis und meinen Wegweiser durch die Ungewissheit.»
Sein Vater habe ihm oft gesagt: «Niemand sonst hat deinen
Fingerabdruck. Niemand sonst hat deine Bestimmung und nichts ist unmöglich für
die, die glauben.» Und «Dein Leben ist wichtiger als die Last, die du trägst.»
Nach Vaters Tod war Michael wütend. «Niemand konnte
mir eine Antwort darauf geben, warum er gestorben war. Die Antwort war einfach:
Mein Vater war übergewichtig, er hat nicht auf seinen Körper geachtet und er
hatte einen Schlaganfall. Aber damals war ich wütend und gab Gott die Schuld,
weil mein Vater weggerissen worden war, und ein Teil von mir wurde mit ihm weggerissen. ... Es war mehr Traurigkeit als Wut, die ich empfand. Aber mit zwölf
Jahren wusste ich nicht, wie ich diese Gefühle verarbeiten sollte.»
Noch ein Rückschlag
Jahre später, im Alter von 18 Jahren – inzwischen
studierte er dank eines Basketball-Stipendiums an der West Virginia University –
geriet er in einen Autounfall, bei dem er sich das Waden- und das Schienbein
brach. Ausserdem brach er sich mehrere Zehen und verletzte seine Achillessehne.
Die Ärzte erklärten, dass er aufgrund seiner Verletzungen nie wieder Sport
treiben könne. Und so verlor er sein Basketball-Stipendium.
Phillips und ein Freund befanden sich in einer
ähnlichen Situation, da sie beide ihre Basketball-Stipendien aufgrund von
Verletzungen verloren. Angesichts der ungewissen Zukunft, die vor ihnen lag,
beschlossen die beiden, Drogen zu verkaufen, um Geld zu verdienen.
Bis zu 30 Jahre Haft drohten
Nach fast zwei Jahren wurde Phillips verhaftet,
angeklagt und musste mit bis zu 30 Jahren Gefängnis rechnen. Nach sechs Monaten in U-Haft stand Phillips
vor einem Richter, der ihn vor die Wahl stellte: Entweder eine jahrzehntelange
Haftstrafe zu verbüssen oder ein College-Programm für straffällig gewordene
Jugendliche zu besuchen.
Phillips entschied sich für die Schule, ein
christliches College, das die Teilnahme an einem obligatorischen Gottesdienst
vorschreibt. An dem Tag, an dem er im Frühjahr 1994 die Kapelle besuchen
musste, war er immer noch sehr wütend auf Gott wegen der Verluste, die er in
seinem Leben erlitten hatte.
High im Gottesdienst
Er hatte Wodka getrunken und Gras geraucht, weil er
seine Gefühle während des Gottesdienstes betäuben wollte. Er hoffte, dass dies
den Schmerz im Zusammenhang mit der Kirche, dem christlichen Glauben, dem
Verlust seines Vaters und anderen Verlusten lindern würde.
«Als der Gottesdienst begann, wurde ich sofort
nüchtern und spürte Gottes Gegenwart in einer Weise, wie ich es nie zuvor getan
hatte. Gottes Gegenwart zu spüren, war so überwältigend und beängstigend für mich,
dass ich aus dem Gottesdienst und in mein Wohnheimzimmer rannte. Ich
schloss meine Tür und rief meine Mutter an und erzählte ihr, was passiert war.
Und sie sagte: 'Oh Baby, Gott kümmert sich nur um dich', und legte den Hörer
auf.»
Umkehr
Nach dem Telefonat mit seiner Mutter kniete er nieder
und betete. Er erinnert sich, dass er Gott um Vergebung bat und sich für sein
Weglaufen entschuldigte. Phillips sagt, er habe drei Tage hintereinander in
seinem Wohnheimzimmer verbracht und zu Gott gebetet.
Am dritten Tag kam sein Betreuer in sein Zimmer, um
sich zu vergewissern, dass er nicht in seinem Zimmer gestorben war. «Diese
Tage, in denen ich ununterbrochen gebetet habe, waren der Beginn eines
Heilungsprozesses. Es war der Beginn, seine Liebe und Gnade für mein Leben zu
akzeptieren und zu wissen, dass er mich liebt, egal was passiert, und mich auf
das einzulassen, was er für mich vorgesehen hat. Ich war drei Tage lang in dem
Raum, und es fühlte sich an wie 30 Minuten. Es war eine rekonstruktive
Operation durch den Heiligen Geist, denn ich verliess diesen Raum als ein
veränderter Mensch.»
Plötzlich Pastor
Am folgenden Sonntag erzählte Phillips seinen Lebensbericht
im Gottesdienst. «Und am darauffolgenden Sonntag habe ich gepredigt.» Nach dem
College besuchte er das New York Theological Seminary, weil er sich zum Pastor
ausbilden lassen wollte.
«Als ich mich entschloss, zum Glauben
zurückzukehren, kamen mir all die Erinnerungen an die Gebete meiner Mutter und
die Predigten und Lehren meines Vaters wieder in den Sinn, denn sie haben mich
nie verlassen.»
Heute sagt er: «Egal, auf welcher Spur man sich
befindet, es gibt immer eine richtige Abzweigung. Man kann die richtige Wendung
im Leben nehmen.»
Phillips war 19 Jahre lang als Pastor tätig und
gründete die «Kingdom Life Church» in West Baltimore, die auf über 3'000
Mitglieder anwuchs. Heute arbeitet er für die «T.D. Jakes Foundation», eine vom
Pastor der Megakirche in Dallas gegründete Wohltätigkeitsstiftung. Diese hilft Menschen,
die inhaftiert waren, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis bei der
Eingliederung in die Gesellschaft.