«Wir wollen für unsere Gassenfreunde in Luzern da sein»
Reto Siegrist (Bild: Windrad Luzern)
«Unser Traum ist es, dass Luzern frei wird von
drogensüchtigen Menschen, gerade auch, weil wir selber erlebt haben, wie viel
Not und Leid eine Drogensucht auslöst», erklärt Reto Siegrist vom Leitungsteam des
Vereins Windrad Luzern. Seit mehreren Jahren steht sein Team den Randständigen
in der Zentralschweizer Stadt bei.
«Ich
werde immer wieder von unseren Gassenfreunden gefragt, wie ich die Drogensucht
überwinden konnte», berichtet Reto Siegrist. Es habe dabei mehrere Schlüsselerlebnisse gegeben:
«Während meiner schweren Drogensucht war ich immer wieder in einem Dilemma –
ich wollte nicht mehr Drogen nehmen, konnte aber nicht die nötige Kraft
aufbringen. Irgendetwas in mir wollte den Drogenflash so sehr, dass ich, trotz
diesem 'Nichtwollens' alles unternahm, um den Flash zu bekommen. Ich suchte
im Heroin und Kokain die Freiheit, fand mich aber in einer riesigen
Gefangenschaft.»
Er
brauchte Unterstützung. Liebende Menschen waren der Schlüssel. «Ich wandte mich
immer wieder im Gebet an Gott, als ich total am Boden war, und bat ihn, dass er
mir Kraft gibt, aus dieser Suchtspirale rauszukommen. Gott gab mir die innere
Kraft, diese zu durchbrechen und ich wurde Schritt für Schritt frei.»
«Wie
ein Magnet»
Pius
Diese
Freiheit will Reto Siegrist mit seinem Team weitergeben. «Wir wollen für unsere
Gassenfreunde da sein und ihnen auch durch unsere Geschichten Hoffnung und
Perspektive vermitteln.»
Wie für Pius:
«Als ich zum ersten Mal von einem Kollegen einen Joint angeboten bekam, rauchte
ich mit. Das Gefühl anschliessend war für mich überwältigend. Ich fühlte mich sehr wohl.» Der
Konsum wurde häufiger. Später probierte er Heroin. «Ich fühlte mich geborgen.
Es zog mich an wie ein Magnet.»
Beim Dealen fast verhaftet, hielt er
sich einige Zeit von den Drogen fern. Dann lernte er Tina (Name geändert)
kennen, die beiden gingen wieder in die Szene und kauften Heroin. «Es ging
bergab mit uns. Als ich sah, wie Kollegen an ihrer Sucht erbärmlich zu Grunde
gingen, wuchs mein Wunsch, auszusteigen.»
Fünf Entzüge scheiterten. Gegenseitig
zog es sie wieder in den nächsten Absturz.
Ex-drogensüchtiger Pfarrer hilft
«Ich arbeitete die ganze Zeit in
einer Autowerkstatt», erinnert sich Pius. «Eines Tages erzählte mir ein Kunde,
der Pfarrer war, von Jesus. Er erzählte mir seine ganze Geschichte, dass er selber
drogensüchtig war und durch den Glauben an Jesus von einem Tag auf den andern
frei wurde von seiner Sucht.»
Vom Glauben wollte Pius nichts
wissen, besuchte aber dennoch die Gebetsgruppe, zu der ihn der Pfarrer einlud.
Die Atmosphäre gefiel ihm. «Ich war seelisch und finanziell ausgebrannt.»
Nach einem Gottesdienst am 31.
Dezember 1991 in Schiltwald im Schwarzwald kam der Sohn des Pfarrers, der am
Abend gepredigt hatte, auf Pius zu. «Er fragte, wie es meiner Freundin und mir
gehe. In meiner Hand umklammerte ich das Brieflein Heroin. In mir tobte ein
stürmischer Kampf. Ich wollte erleben, was dieser Mann gesagt hatte, dass Jesus frei
macht!»
Er spürte, dass es nun um alles oder
nichts ging. Frei oder süchtig. Er gab den Stoff einer Vertrauensperson zur
Vernichtung. «Darauf durchströmte mich ein Friede wie ein Strom und ich fühlte
mich, als könnte er Bäume ausreissen. Trotz des Entzugs von Drogen hatte ich keine
Entzugserscheinungen. Erst als ich den Gedanken zuliess, Stoff zu beschaffen,
schüttelte es mich. Da liess ich es lieber bleiben.»
Durch den Glauben an Gott erhielt
sein Leben wieder Sinn und Perspektive. «Mein soziales Umfeld war für mich sehr
wichtig nach dem Entzug. Ich brauchte Leute, die mich annahmen, wie ich
war, die Liebe und echtes Mitgefühl zeigten. Heute bin ich glücklich verheiratet
und arbeite immer noch als Automechaniker, selbstständig in meiner Werkstatt.»
Freunde auf der Gasse nicht
vergessen
Durch Corona kann der Verein Windrad
gegenwärtig vieles nicht tun, was bisher möglich war. Zum Beispiel das bei
Randständigen sehr beliebte, monatliche Spaghettiessen ist nicht möglich.
Dennoch will das Team für sie da sein.
«Und so taten wir das, was möglich war in
dieser Zeit. Wir begannen mit einem Take away, bei dem wir wöchentlich Essen
und Migros-Gutscheine verteilten. Es stellte sich heraus, dass dieses Take away
ein Bedürfnis ist, auch grad für die Menschen mit Drogensucht», beobachtete
Reto Siegrist. «Aktuell bieten wir jede Woche dieses Take away an und einmal pro
Monat gehen wir an den Bahnhof zu unseren Freunden auf der Gasse.»