Martin Stettler ist der Mann mit den zweitmeisten Spielen für
die SCL Tigers und wurde Schweizer Meister mit dem SC Bern. Stettler
war glücklich verliebt und hatte viel Geld. Doch in der Saison 2012/13
folgte völlig unerwartet der sportliche Absturz. Es plagte ihn die
Frage: «Wer bin ich eigentlich, wenn ich als Hockeyspieler nicht mehr
funktioniere?»
Martin Stettler mit seiner Frau Doris, den Töchtern Yael Naima und Mila Felice und Hund Lennox. (Bild: zVg)
Stettlers Karriere verlief bilderbuchmässig: Mit vier Jahren fing der
gebürtige Koppiger beim EHC Burgdorf mit dem Eishockeyspielen an. Er
durchlief die ganzen Juniorenstufen und spielte bereits mit 17 Jahren in
die Swiss League bei Visp, bevor er 2001 sein Debüt in der ersten
Mannschaft der SCL Tigers gab. «Als Sportler fühlte ich mich stets wie
in einem Tunnel; für mich bestand das Leben aus Trainieren, Wettkampf,
Ferien, weiter geht's.» Insgesamt verbrachte der Verteidiger 20 Jahre
seiner Karriere in der Langnauer Ilfishalle und machte nur einen kurzen
Abstecher zum Kantonsrivalen SC Bern, wo er 2010 auch den Meistertitel
feiern konnte.
«Die Zeit im Jura war brutal für mich!»
Im
Rückblick auf seine Karriere ist «Tinu», wie er von den Fans im Bernbiet
genannt wurde, dankbar für viele schöne Momente – dies paradoxerweise
auch für die grösste Krise jener Zeit. Stettler erlebte sie in der
Saison 2012/2013. «Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich einmal so
verzweifelt und verloren fühlen könnte», äusserte er sich im Gespräch mit «HOPE Emmental». Besagte Saison hatte er als Verteidiger der Tigers in der National League gestartet. Plötzlich hiess es, er
werde leihweise in die Swiss League an La Chaux-de-Fonds abgegeben.
Für Stettler, der sich in seiner Karriere immer nach oben arbeiten
konnte, fühlte sich dies wie eine Verbannung an. Er wurde als Sündenbock
für die allgemein schlechte Saison der Tigers in die zweithöchste Liga
abgeschoben. «Die Zeit im Jura war brutal für mich! Ich fiel in ein Loch
und fragte mich die ganze Zeit, wie mir dies passieren konnte.» Ein
Jahr zuvor war er vom Schweizer Topverein SC Bern zurück ins Emmental
transferiert worden, um den Tigers neue Stabilität zu bringen. Und nun
dies! «Das war wohl das erste Mal, dass ich mir überlegte, wer ich
eigentlich bin, wenn ich als Hockeyspieler nicht mehr funktioniere.»
In dieser Krise öffnete sich der Mann mit der harten Schale und dem
weichen Kern für den christlichen Glauben, den ihm seine Frau mehrere
Jahre vorgelebt hatte. «Damals schauten wir uns zusammen die
Fernseh-Predigt eines deutschen Redners an. Seine Worte trafen mich
mitten ins Herz. Ich merkte, dass auch ich diesen Jesus an meiner Seite
haben wollte.»
Zurück im Emmental
Martin Stettler als Captain der SCL Tigers
Als Martin Stettler zu seinem
Stammklub zurückkehrte, hatte sich dort einiges verändert. Die SCL
Tigers spielten nun in der Swiss League, ein neues Team musste formiert
werden. Das Team wählte Stettler zum Captain, was er dann auch bis zu
seinem Karriereende blieb. «Die Wahl zum Captain war für mich eine tolle
Wiederherstellung meiner 'Hockeywürde'. Zu dieser Zeit lagen mir die Verse 5 bis 7 aus dem Psalm Kapitel 34 in der Bibel sehr auf dem Herzen. Es fühlte
sich so an, als würde Gott mich dadurch bestätigen.»
Während der beiden Jahre in der Swiss League und zwei weiteren in der
National League ging es Martin Stettler sportlich und gesundheitlich
sehr gut. «Das war die coolste Zeit meiner Karriere. Die Dynamik in der
Aufstiegsmannschaft 2015 war unglaublich – und dann stand auch noch die
ganze Region hinter uns. Das war einmalig!»
Zurück in der obersten Spielklasse erlebte «Tinu» noch eine schöne
Phase als Captain der Langnauer, bevor ihn eine Verletzung am Kreuzband
Ende Januar 2017 komplett ausbremste. «Nach der ersten Operation im März
2017 arbeitete ich intensiv am Aufbau, wobei ich Rückschläge in Form
von vier weiteren Operationen erlebte. Es wollte einfach nicht mehr
ausheilen, sodass ich mich 2018 vom Profisport zurückziehen musste. Es
war hart, dass meine Karriere so zu Ende ging», gibt Stettler offen zu,
«aber auch in diesem Prozess half mir der Glaube, ohne Angst in die
Zukunft zu blicken. Das Wissen, dass Gott gut ist und alles zum Guten
wenden wird, half mir sehr.»
Spuren hinterlassen
Heute lebt Martin Stettler
mit seiner Frau Doris und seinen beiden Töchtern (Yael, 7, und Mila, 5)
in Uettligen und besucht zusammen mit seiner Familie die Freikirche
Vineyard in Bern. «Jesus soll den höchsten Stellenwert in unserem Leben
haben. Das heisst für mich vor allem, dass wir uns an Menschen in
unserem Umfeld verschenken wollen. Wir haben zum Beispiel auch schon
Leute in Notsituationen bei uns aufgenommen. Im Moment lebt ein junger
Hockeyspieler aus der Ostschweiz bei uns, der eine Gastfamilie gesucht
hatte. Unser Haus soll grundsätzlich offen sein.»
Martin Stettler mit seiner Frau Doris und seinen beiden Töchtern
Um Nachwuchstalente kümmert sich «Tinu» Stettler inzwischen als
Stufenchef der U11-Teams des SC Bern (SCB Future). Diesen Jungs wolle er
auf jeden Fall positive Werte vermitteln. «Mir ist wichtig, auch den
Menschen zu sehen. Ich möchte den Kindern klarmachen, dass sie nicht nur
aufgrund ihres Talents oder ihrer Leistung wertvoll sind und dass es im
Leben noch mehr gibt als Eishockey.»
«Wohlstand setzt uns schachmatt»
Seine heutige
Lebenseinstellung werde im harten Hockeybusiness von Kollegen oft als
Schwäche angesehen. Martin Stettler sieht das anders: «Es braucht Mut,
mit Gott zu leben, denn dies bedeutet immer wieder, gerade Wege zu
wählen, für Gerechtigkeit einzustehen und sich an andere Menschen zu
verschenken.»
Er verstehe die Gesetzmässigkeit im «Eishockey-Business» natürlich
bestens. Eishockey gelte überall als eine harte Sportart. Niemand wolle
hier Schwäche zeigen. Bei ihm sei es genau gleich gewesen. Rückblickend
sagt Stettler, es sei ihm wohl zu gut gegangen mit seinem Lifestyle als
Profisportler. «Der Wohlstand setzt uns manchmal schachmatt und macht
uns blind für das, was wirklich zählt», sinniert der 36-jährige
Emmentaler. «Schade, dass zuerst etwas Schwieriges passieren muss, bis
man sich tiefere Fragen zum Leben stellt. Aber irgendwie steckt das wohl
in uns Menschen drin, dass wir uns erst darauf besinnen, dass es etwas
Höheres geben könnte, wenn es uns schlecht geht.»