«Warum ist es ein Verbrechen, an Gott zu glauben?»
Eun Hye floh aus Nordkorea, wurde aber in China
aufgespürt und zurückgebracht. Gleich wie ihre Eltern und ihr Bruder. Im
nordkoreanischen Gefängnis folgten harte Verhöre. «Warum ist es ein Verbrechen,
an Gott zu glauben?», fragte ihr Vater. Später gelang ihr die erneute Flucht.
Heute sagt sie, dass das Gebet der Christen weltweit für die Menschen in ihrer
Heimat wichtig sei.
Eun Hye
Ihre
Eltern und Schwestern waren nach China geflohen, ihr Bruder lebte bei einem
Onkel in Nordkorea. Gleich wie Eun Hye (Name geändert). Doch als es nicht mehr
genug zu Essen gab, zog sie das Leben auf der Strasse vor, damit ihr kleiner
Bruder überleben könne.
Nur
wenige Wochen später wurde sie von der Polizei aufgegriffen und in ein Lager
für Strassenkinder gebracht – ein überfüllter Ort mit über 2'000 Kindern. Es gab
zu wenig Sitzplätze, durch das lange Stehen schwollen ihre Beine an. Täglich
erhielt sie dreimal fünf winzige, schmutzige Kartoffeln. Täglich starben Kinder
an Unterernährung.
Die Erinnerung
Eun Hye liest in der Bibel
Eun
Hye erinnerte sich an die Gebete ihrer Grossmutter. Sie fragte sich, ob dieser
Gott sie retten könne. Wie ihre Oma ging sie heimlich auf die Knie und
sprach zu «Hanonim», was «Herr» bedeutet. «Hanonim, bitte rette mich. Bring
mich zurück zu meiner Familie.»
Sie
bittet um Rettung aus dem Schmerz, der Trauer und vor dem Tod. Zwei Monate nach
ihrer Ankunft im Lager suchten die Wachen nach Freiwilligen, die Kastanien von
den Bäumen in den Bergen holten. Eun war wie viele andere Kinder sehr schwach
und sie wollte eigentlich nicht einen Marsch machen, der zum Tod führen könnte.
Doch eine innere Stimme, die sie noch nicht gekannt hatte, sagte ihr, dass sie
sich melden soll.
Die Flucht
Unterwegs
musste ein Stausee mit kleinen Booten überquert werden. Dann wurden die Kinder
in Vierer-Einheiten eingeteilt, um Kastanien zu sammeln. Als sie gerade
unbeaufsichtigt waren, floh Eun Hye zusammen mit einem anderen Mädchen.
Diskret
schaffte sie es, in ihre Heimatstadt zurückzukehren um daheim nachzusehen, ob
es eine Nachricht von den Verwandten gab. Sie erhielt etwas zu Essen und sie
betete wieder.
Für
einige Zeit konnte sie so in Sicherheit überleben. Sie betete nun nicht
ausschliesslich für sich, sondern auch für ihre Familie. Eines Tages kehrte ihr
Vater aus China zurück, ihre Mutter und die Schwestern waren im Reich der Mitte
geblieben. «Das Leben da ist besser», sagte Vater.
Im Gefangenenlager
Vater
war gekommen, um auch sie und ihren Bruder zu holen. Tatsächlich gelang eines
Nachts die Flucht über den Grenzfluss. Nun konnte sie erstmals mit ihrer Mutter
in eine christliche Gemeinde gehen. Sie verstand die chinesische Predigt nicht,
aber sie fühlte sich wie zu Hause. «Der
Übersetzer erklärte mir, wie Jesus gestorben und auferstanden war, um uns von
unseren Sünden zu befreien.»
Nordkoreanischen
Flüchtlinge laufen in Gefahr, in China erwischt und in ihre Heimat
zurückgeschickt zu werden – was auch Euns Familie widerfuhr. Sie landeten in
einem Gefangenenlager in der Nähe ihrer Heimatstadt.
Ihre
Mutter und Eun Hye wurden in eine Frauenzelle gesteckt, ihr Vater und Bruder in
einer Zelle mit anderen Männern. Es war Winter, und die Aussentemperaturen
waren gesunken. Eun Hye trug keine Winterkleidung. Bald begannen ihre Füsse zu
schmerzen und wurden schwarz wegen den Frostbeulen. Der Gefängnisarzt sagte,
dass ihre Füsse möglicherweise amputiert werden müssen.
«Warum ist das ein Verbrechen?»
Bald
begannen die Verhöre. Jedes Familienmitglied wurde einzeln befragt. Eun Hyes
Eltern wurden in Einzelhaft genommen und gefoltert. Wo sie war, konnte Eun ihre
Schreie hören. «Warum ist es ein Verbrechen, an Gott zu glauben?», fragte ihr
Vater seine Peiniger.
Er
sagte, dass er weiterhin glauben und beten werde, auch im Gefängnis. Dann
schleppten die Wachen ihre bewusstlose Mutter vor Eun Hyes Zelle. Sie wurde so
sehr geschlagen, dass Eun Hye sie kaum wiedererkannte. «Du wirst wie sie enden,
wenn du weiter lügst!», warnten sie sie, denn sie wollte nicht verraten, wo
ihre Schwestern waren.
«Problematische politische
Überzeugungen»
Jeder
Tag war ein Kampf ums Überleben. Ihre Füsse schmerzten so sehr, dass sie in den
fünf Stunden, in denen sie schlafen durfte – von Mitternacht bis 5 Uhr morgens
– nicht konnte. Ihre Mahlzeiten bestanden aus einer kleinen Portion
ungewaschenem Rübengrün. Sie schmeckten schmutziger als alles, was sie je
gegessen hatte.
Nach
Angaben der Führer Nordkoreas hatte Eun Hyes Familie «problematische
politische Überzeugungen» und sie war wahrscheinlich auf dem Weg zu einem der Hochsicherheits-Gulag, wo sie bis zu ihrem Tod arbeiten würden. Aber Eun Hyes Eltern gaben
nicht auf. In den Momenten, in denen sie bei Bewusstsein waren und nicht
gefoltert wurden, beteten sie.
Das Unmögliche geschieht
Eun Hye erzählt ihre Geschichte
Eun
Hye wurde aus ihrer Zelle geholt. Ihr Bruder, Vater und Mutter auch. Sie wurden
freigelassen. Niemand wusste, wie und warum. Es gab einfach keine Erklärung. Es
musste Gottes Eingreifen sein.
Eun
Hye und ihr Bruder brachten ihre schwer verletzten Eltern ins Haus ihres
Onkels. Sie hatten keinen anderen Ort, an den sie gehen konnten. Nach einigen
Monaten hatte sich ihre Mutter leicht erholt und Eun Hyes Erfrierungen waren
verheilt. Ihr Vater sagte Eun Hye, sie solle ihre Mutter nach China bringen.
«Dein
Onkel kann sich nicht um so viele Menschen kümmern. Wir essen hier nur Gras. Du
musst zuerst mit deiner Mutter gehen. Ich werde mit deinem Bruder kommen,
sobald ich kann», sagte er. Da
ihre Mutter nicht schwimmen konnte, bereitete Eun Hye ein weiteres Seil vor, um
sie über den Fluss zu ziehen. Etwa alle 100 Meter standen Wachen. Sie wählten
einen Ort zwischendrin. Beide Frauen beteten. Dann führte Eun Hye ihre Mutter
ins Wasser.
Schüsse ins Wasser
Die
Strömung war stärker als erwartet, und die beiden trieben immer näher an die
Wachen heran. Eun Hye versuchte, schneller zu schwimmen, aber schneller zu
schwimmen bedeutete mehr Lärm. Als sie in die Nähe der Wachen trieben, liess
ihre Mutter einen Schrei los. Die Wachen schrien, sie sollen aus dem Fluss
kommen, dann begannen sie zu schiessen. Eine erste Kugel ging ins Wasser. Eine
zweite und eine dritte.
Eun
Hye dachte, sie würde dort im Wasser sterben, aber sie schwamm weiter. «Nur
Gott entscheidet, ob ich heute leben oder sterben werde», tröstete sie sich. Irgendwie
verfehlten alle Kugeln das Ziel und sowohl sie als auch ihre Mutter erreichten das
chinesische Ufer.
Wieder verhaftet
Später
erfuhr Eun Hye, dass ihr Vater an seinen Verletzungen im Gefangenenlager
gestorben war. Ihr Bruder ist das einzige Familienmitglied, das heute noch in
Nordkorea lebt.
In
den folgenden Jahren heiratete Eun Hye einen gutherzigen chinesischen Mann.
Aber der Frieden hielt nicht lange an. Vier Polizisten erschienen; sie waren
unterwegs, nordkoreanische Frauen ohne Kinder zu verhaften. Erneut drohte die
Verhaftung. Eun Hye sagte, dass sie schwanger sei. Von
30 Frauen war sie dann die einzige, die freigelassen wurde. Bald darauf wurde sie
tatsächlich schwanger. Als das Kleine drei Jahre alt war, erlaubte ihr Mann ihr
die Flucht nach Südkorea.
Später
erfuhr sie, dass viele Christen für die Menschen in Nordkorea beten. «Ich hatte
keine Ahnung, dass so viele Menschen für uns beteten. Diese Gebete sind
wirklich wichtig. Sie werden mehr Menschen zu Jesus Christus in Nordkorea
führen.»