Als Teenagerin erlebte Simone (20) während vier Jahren
sexuellen Missbrauch. Angst, Hass und Verzweiflung verdunkelten ihr
Leben. Wie sie mit den tiefen Wunden umging, und was ihr dabei half,
erzählt sie in ihrem Buch «wurde missbraucht – werde gebraucht». Trotz
allem Leid weiss die junge Frau: «Gott lässt mich nie los.»
Simone
Simone (ganzer Name der Redaktion bekannt) wird 1992 als jüngstes von vier Geschwistern im
Berner Seeland geboren und lebt noch heute im «Gemüse-Paradies». Weil
die Geschwister um einiges älter sind, liest man dem Mädchen viele
Wünsche von den Lippen ab. Die Tochter eines Steuerungstechnikers und
einer Gärtnerin geniesst es, das Nesthäkchen zu sein.
Schamlos ausgenutzt
Ist es die Bedürftigkeit, die ein Küken ausstrahlt? Jedenfalls
mischen sich ab dem zehnten Lebensjahr merkwürdige Farben in die helle,
heile Kinderwelt von Simone. «Es geschah regelmässig während
vier Jahren, wenn ich auswärts meinem Hobby nachging», beginnt die junge
Frau zu erzählen. Der Mann, den sie als Person des Vertrauens
bezeichnet, sei sehr geschickt vorgegangen, und alles sei im Verborgenen
geschehen. «Es war unser Geheimnis, ich durfte niemandem davon
erzählen.»
Zwischen Faszination und Irritation
Vom Kind- ins Frausein katapultiert, wird Simone zum
Spielball ihrer Gefühle. «Ich spürte, dass diese körperliche Nähe nicht
gut und auch nicht richtig war. Gleichzeitig faszinierte sie mich. Ich
genoss den Reiz der steten Frage, wie weit wir gehen konnten, ohne dass
jemand Verdacht schöpfte.» Zuhause verkriecht sie sich immer mehr in ihr
Schneckenhaus. Als Simone die gegenseitige Abhängigkeit
zwischen ihr und dem Täter realisiert, zieht sie die Notbremse und
vertraut sich ihren Eltern an. Diese hatten wiederholt ihre Unsicherheit
signalisiert, den Beschwichtigungen ihrer Tochter aber stets Glauben
geschenkt.
Getragen im Fallen
Eine Zeit voller offener Fragen beginnt. Simone hat Mühe,
Menschen zu vertrauen – insbesondere Männern. Gefühle wie Angst, Hass
und Verzweiflung begleiten sie. «Halt gaben mir in dieser Zeit meine
Eltern, gute Freunde und mein bester Freund Jesus. Ihm hatte ich an
einem Jugendanlass mein Leben anvertraut. Die unbändige Freude der
jungen Menschen und ihre Leidenschaft, für und mit Jesus zu leben,
hatten mich angesteckt und überzeugt. Ich sah die Saat meiner Eltern –
alles, was ich durch sie über den christlichen Glauben gelernt hatte –
aufgehen und Früchte tragen.»
Vertrauen neu aufbauen
Als Simone beschliesst, sich dem Erlebten zu stellen,
strömen Luft und Licht in ihr Leben. Behutsam beginnt Gott, ihre Wunden
zu heilen. Genügend Zeit für sich selbst, Ehrlichkeit ihren
Vertrauenspersonen gegenüber, und der Mut, sich abzugrenzen, wenn ihr
jemand zu nahe kam, sei in der Verarbeitung des Missbrauchs zentral
gewesen. Simone ergänzt: «Ich habe auch gelernt, Tat und Täter
zu trennen. Es war nicht richtig, was er getan hat. Dennoch macht ihn
dies als Mensch nicht weniger wertvoll. Gott liebt ihn genau gleich wie
mich. Ich habe ihm vergeben und fühle mich heute frei.»
Leiden als Chance
In ihrer Freiheit erlebt Simone, die zurzeit die
Berufsmittelschule absolviert, jedoch immer wieder Einschränkungen. Seit
einigen Jahren leidet die gelernte Detailhandelsangestellte unter
unergründlichen Gelenkschmerzen. Sie treten schubweise auf und dauern
unterschiedlich lang. Statt mit ihrem Schicksal oder mit Gott zu hadern,
betrachtet Simone auch diese Schwierigkeiten als
Herausforderung und Chance. Eine Einstellung, die sie zu ihrem
Lebensmotto gemacht hat: «Ich staune immer wieder, was meine Geschichte
bei anderen Menschen auslöst. Ich freue mich, wenn ich ihnen helfen und
von meinem Glauben erzählen kann.»
Zu Papier gebracht
Mehrere Menschen ermutigten Simone, Teile ihres Lebens
aufzuschreiben. So schnappte sie sich vor zwei Jahren ihre Tagebücher
und brachte im Frühjahr 2012 im Eigenverlag ihr erstes Buch heraus:
«wurde missbraucht – werde gebraucht», widerspiegelt trotz des
tragischen Geschehens die Grösse und Treue von Gott. «Er lässt mich nie
los. Durch alles hindurch hat er mich getragen», resümiert die
Jungautorin und fügt hinzu: «Ich möchte mich und meine Geschichte von
Gott gebrauchen lassen.»