Sehnsucht nach dem Paradies

William Morris
J.R.R. Tolkien
Eine filmische Umsetzung aus Herr der Ringe.

Die Fantasy-Welle rollt seit über zwei Jahren durch unsere zivilisierte Welt und erfasst Alt und Jung. Fantasy in geschichtlicher und – als Science-Fiction – in futuristischer Form gehört zum harten Kern von Computerspielen. Was steckt hinter dem Fantasy-Boom? Die Sehnsucht nach dem Paradies? Ostern, die Auferstehung, könnte darauf eine Antwort sein.

Die Sehnsucht nach der Gegenwelt

Der britische Gentleman William Morris (*1834) beobachtete frustriert den sozialen Zerfall seiner Heimat durch die „Segnungen“ der industriellen Revolution. Nostalgisch blickte er auf das Mittelalter zurück und sah jene Welt als eine Art friedlich-beschauliches und romantisches Utopia, dessen unbefleckte Landschaften und prachtvolle Städte edle Herrscher und kernige Waldbwohner, grossherzige Damen und weise Könige bevölkerten. Für seine mittelalterlichen Romanzen wählte er nicht historische Hintergründe, sondern – und das macht ihn zum Begründer der modernen Fantasy – er schuf selber imaginäre Schauplätze, die auf keiner Karte zu finden sind.

Idealisierte Traumwelten als Gegenstück zu einer schwierig zu bewältigenden Gegenwart. Die Parallelen auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind offensichtlich. Gesellschaftliche Umbrüche wecken nostalgische Gefühle („Früher war alles besser“). Beim Eintritt ins digitale Informationszeitalter kann einem das Grauen vor der Zukunft befallen. Da bucht man zum Ausgleich am besten eine Reise nach Fantasia.

Die Rückkehr der Mythen

Als William Morris 1896 stirbt, ist J.R.R. Tolkien ein vierjähriges Kind. Die Naturwissenschaften haben die wichtigsten Rätsel der Natur gelöst und prägen das Weltbild. Der Mensch ist ein Produkt evolutionärer Prozesse, Gott wird als tot erklärt. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert sieht sich auch die Theologie bemüssigt, die Bibel von „Mythen“ zu säubern. Parallel zur Entmythologisierung der Bibel schreibt der katholische Christ J.R.R Tolkien an einem Werk, das zum wichtigsten Buch der modernen Fantasy werden sollte: „Herr der Ringe“. Tolkien gibt unserer entzauberten Welt die Mythen zurück. Frodo, die zentrale Figur der Geschichte ist weder übermenschlicher Supermann noch Zauberer à la Harry Potter. Er eignet sich deshalb bestens als Projektionsfläche für unsere Sehnsucht nach (meist verhindertem) Heldentum. Die Zuschauerinnen mögen sich am mittelalterlich realistischen Schlachtgetöse stören, doch für sie stehen schöne Elfen und mutige Königstöchter als Identifikationsfiguren bereit.

Das Motiv der Heldenfahrt, das Lob der Kameradschaft in schwieriger Zeit, der Kampf gegen das Böse: das sind Sehnsüchte, die jedes Kind – auch das Kind im Erwachsenen – in sich spürt. Tolkien ermöglicht uns, zumindest in unserer Fantasie das zu tun, was wir eigentlich schon immer wollten: schöne, mutige und tapfere Helden und Heldinnen sein, die sich für das Gute einsetzen.

Der Wunsch nach Sinn

Die Postmoderne hat viele Gewissheiten und Ideale zerstört. Zurück bleiben die Trümmer einer besseren Zeit und der Mensch, der sich als Entwurzelter nach Heimat, als Enttäuschter nach grossen Zielen sehnt.

Fantasy ist in einem tieferen Sinne (pseudo-)religiöse Literatur (1). Sie widerspiegelt unsere Sehnsucht nach dem Paradies. Die wissenschaftlich entzauberte Welt konnte uns die Ahnung, dass hinter der naturwissenschaftlichen Deutung eine andere Wirklichkeit zu finden ist, nicht bis zum letzten rauben. Unterwegs auf fantastischer Heldenfahrt führen wir uns verstanden. Wir möchten unser Leben sinnvoll führen, wie dies die Helden fantastischer Literatur von Odysseus bis zum „Herrn der Ringe“ tun.

Die Faszination der Gewalt

Der heutige Mensch erlebt sich als Rädchen in einer Maschine, die sich immer schneller dreht. Angesichts der eigenen Ohnmacht ist die Lust, endlich einmal loszuschlagen, oft nicht fern. Zumindest in der Fantasie.

Fantasy-Produkte sind denn auch meist durchsetzt von gewalttätigen Szenen. Für die guten Vertreter der Gattung ist dies nicht einfach Selbstzweck oder plumper Patriotismus. Der zeitgenössische amerikanische Autor Stephen Lawhead (2), gehört mit rund 3 Mio. Auflage zu den erfolgreichsten neuen Autoren des Genres. Er schildert in seiner bis jetzt vierbändigen Pendragon-Saga den Zusammenprall der hellenistischen, keltischen und christlichen Kultur; in der Kreuzfahrer-Trilogie kommt auch der Islam ins Spiel. Seine realistisch geschilderten Kampfszenen schrecken ab und kontrastieren mit dem friedlich beharrlichen Vorgehen der irischen Missionare. Sie wecken die Sehnsucht nach einem Zusammenleben, das ohne Gewalt auskommt.

Mit der Botschaft von der Auferstehung ist unsere Diesseitsverhaftung durchbrochen worden. Wer sich darauf einlässt, dem eröffnet sich der Zugang zu einer neuen, himmlischen Welt. Der Schlüssel liegt im Glauben an Jesus Christus.

Datum: 16.04.2003
Autor: Hanspeter Schmutz

Werbung
Livenet Service
Werbung