Als
Notfallseelsorger und Einsatzleiter des kantonalen Care Teams Solothurn betreut
Urs Dummermuth Menschen in traumatischen und leidvollen Situationen. Dabei hilft ihm die Gewissheit, dass Gott in
diesen Stunden nah ist und Hoffnung schenkt.
Wo Menschen aufgrund von Unfällen und
Katastrophen plötzlich von einer schockierend neuen Realität überrollt werden,
braucht es Helfer, die sie durch diese ersten Stunden hindurchbegleiten. Im
Kanton Solothurn ist Urs Dummermuth (1955) Einsatzleiter des Care Teams und als
solcher auch selbst an der Front.
Helfersyndrom genügt nicht
Ursprünglich arbeitete Urs Dummermuth als Pastor.
In seiner Freikirche kümmerte er sich um die Menschen und auch um deren Nöte.
Er sagt, er fühle sich von Gott berufen, Menschen in schwierigen Prozessen zu
begleiten. Als Urs vor längerer Zeit von der Gründung des kantonalen Care Teams
hörte und sein Interesse bekundete, wurde seine Bewerbung abgelehnt. «Da ich
keinen Hochschulabschluss hatte, musste ich mich bis 2011 gedulden, damals
wurden die Aufnahmekriterien angepasst.» Zu seinem ersten Einsatz wurde Urs
gerufen, als er gerade ein Konzert von Peach Weber besuchte und sich köstlich
amüsierte. «Das war ein krasser Themenwechsel», erinnert sich Urs. Solche
Situationen sind Teil dieses Dienstes. Irgendwo ereignet sich etwas Tragisches
und Mitarbeitende des Care Teams sind gefordert, ganz gleich, wo sie sich
gerade befinden.
«Ein Helfersyndrom
reicht nicht, um dieser Aufgabe langfristig nachzukommen», sagt Urs und erzählt,
wie er einmal um Mitternacht müde ins Bett ins Bett fiel, um keine fünfzehn
Minuten später wieder herausgerissen zu werden. Tatsächlich kann die Belastung
hoch sein; während der Einsätze wie auch fürs familiäre und soziale Leben. Urs
ist seit 44 Jahren verheiratet und hat drei erwachsene Töchter.
Gesund abgrenzen
Sich auf neue Situationen und Menschen
einzulassen, fällt Urs leicht. «Von meinem Typ her kann ich gut mit schwierigen
Situationen umgehen.» Es gehe darum, Menschen in leidvollen Momenten Empathie
entgegenzubringen und sie in ihre Selbstwirksamkeit zurückzuführen. Dazu sagt
Urs: «Ich trete in die Geschichte eines Menschen ein, begleite ihn ein Stück
und trete dann wieder aus seinem Leben aus. Das muss so sein, gesunde
Abgrenzung ist wichtig.» Wer die Tragödien mit sich herumträgt, dessen
seelische Last wird zu schwer – schliesslich kann der nächste Alarm unmittelbar
bevorstehen. Kraft, um loszulassen, schenkt Urs das Wissen, dass es einen Gott
gibt, der sich um die Menschen kümmert. «Ich erfahre und spüre Gottes Nähe oft
in den schwierigsten Momenten», sagt er. «Deshalb gehe ich auch vertrauensvoll
auf die Menschen zu und stehe ihnen tröstend zur Seite.»
In der Akutphase aktiv
«Wir werden jeweils von der Alarmzentrale
aufgeboten, durch Sanität, Polizei oder Feuerwehr», erklärt Urs. Das kann nach
Todesfällen, Suiziden, schweren Unfällen oder anderen Vorkommnissen sein.
«Manchmal bittet uns die Polizei auch, sie beim Überbringen von
Todesnachrichten zu begleiten.» Der Einsatz der Care Teams beschränkt sich stets
auf die Akutphase, das psychologische Aufarbeiten von Traumata gehört nicht in dessen
Aufgabenbereich. Kürzlich sei in Solothurn ein Altersheim abgebrannt. Urs
erzählt: «Nach dem Brand wurden wir gebeten, die Belegschaft zu betreuen. Sie
hatte die Bewohnerinnen und Bewohner evakuieren müssen. Auch Gespräche mit
Bewohnern waren nötig. Manche Leute hatten schon beim Wechsel ins Altersheim alles
loslassen müssen und nun erneut alles verloren – bis auf das Hemd an ihrem Leib…»
Keine frommen Sprüche
Bei schweren Schicksalsschlägen gibt es keine
Antworten auf nagende, existenzielle Fragen wie «Weshalb musste mein Kind unter
den Lastwagen geraten?» In diesem Fall auf die Unaufmerksamkeit des Fahrers zu
verweisen, ist für leidende Angehörige nicht hilfreich. «Keine Antworten zu haben, das ist schwierig
und muss ausgehalten werden können», sagt Urs. Mit der eigenen Ohnmacht
konfrontiert zu werden, sei für ihn kein Problem: «Als Christ muss ich nicht
auf alles eine Antwort haben. Ich bin mir Gottes Nähe umso mehr bewusst. Er
versprach, da zu sein und uns durchzutragen.» An der Front seien fromme Sprüche
nicht hilfreich, weiss er. «Das wäre für die Betroffenen ein Schlag ins
Gesicht. Eine Mutter, die gerade ein Kind verloren hat, braucht auch keine
billigen Phrasen.»
Still präsent sein
Urs ist überzeugt, dass Gott niemals die
Kontrolle verliert – auch, wenn es uns manchmal so scheinen mag. Gott stehe
tröstend zur Seite und trage durch qualvolle Zeiten hindurch. «Leider hat Gott
in unserer Gesellschaft kaum mehr einen Platz», bedauert Urs. Deshalb mache es
keinen Sinn, Menschen auf Gott hinzuweisen, wenn dieser in ihrem Denken keine
Rolle spiele. «In notvollen Situationen ist das ein grosses Manko», fügt Urs
an. Nur in Ausnahmefällen, wenn Betroffene einen Bezug zum Glauben haben, kommt
Urs auf Gott zu sprechen. Er für sich nimmt dessen Hilfe jedes Mal in Anspruch.
«Ich bete jeweils, dass Gottes Nähe spürbar wird und er Trost spenden möge.» Urs
erlebt auch oft: «Allein meine Anwesenheit bringt viel Ruhe in eine Situation.»
Einsätze nehmen zu
Die Einsätze haben in den letzten Jahren
zugenommen. «Im Schnitt zählen wir 30 bis 40 pro Jahr – 2021 waren es doppelt
so viele», erklärt Urs. Der zusätzliche Stress durch Corona und nun auch der
Krieg in der Ukraine tragen dazu bei. Auch Einsamkeit und
Isolation haben Auswirkungen, ebenso zerbrochene Beziehungen und Familien. Urs stellt
fest, dass bei Vorkommnissen im Umfeld von Migranten meist mehr Leute unterstützend
zur Seite stehen. Bei Schweizern sei das Beziehungs- und Familiennetz kleiner. Schon
öfters seien er und andere Mitarbeiter des Care Teams erschüttert gewesen
angesichts der Einsamkeit und Verwahrlosung mancher Schweizer.
Als
Notfallseelsorger geht es häufig auch darum, Brücken zu bauen und auf Versöhnung
hinzuwirken, ergänzt Urs. «In der Regel stehen wir den Betroffenen mehrere
Stunden zur Seite. Es kann sein, dass wir noch ein Nachgespräch vereinbaren.» Ist
weiteres Aufarbeiten nötig, werden andere Stellen beigezogen. Hunderte von
Menschen hat Urs über die Jahre hinweg begleitet. Dabei ist es ihm unmöglich, das
Ergehen aller weiterzuverfolgen. Abschliessend sagt der Notfallseelsorger: «Es
tröstet mich sehr, die Menschen jeweils in Gottes Hände legen zu dürfen.