Terror in Mali

Hilfswerke sind sich Gefahr von Entführungen bewusst

Zweieinhalb Wochen nach der Entführung einer Schweizerin durch Islamisten in Mali ist ein Video mit Forderungen aufgetaucht. Die Frau wurde in Mali bereits zum zweiten Mal entführt. Für die Organisation «Comundo» ist die Gegend ein No-Go-Gebiet.
Is
Missionarin Beatrice S.
Georg Otto Schmid

Gemäss dem Video verlangen die Kidnapper unter anderem die Freilassung von Ahmad al Mahdi al Faqih, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag steht. Das auch als Abu Turab bekannte Mitglied der Terrormiliz Ansar Dine soll nach der Besetzung Timbuktus im März 2012 die Zerstörung zahlreicher als Unesco-Welterbe eingestufter islamischer Kulturgüter angeordnet haben.

Zur Geiselnahme der aus Basel stammenden Schweizerin Beatrice Stöckli bekannte sich laut der mauretanischen Nachrichtenagentur Alakhbar die Miliz «Al-Qaida au Maghreb Islamique» (AQMI). In dem am Dienstag, 27. Januar, verbreiteten Video werfen die Islamisten der Frau vor, Muslime zum Glaubensabfall bewegt zu haben.

Stöckli war am 8. Januar aus ihrem Haus in Timbuktu entführt worden. Medienberichten zufolge geriet sie schon einmal im April 2012 in die Gewalt von Islamisten. Auf Vermittlung der Regierung von Burkina Faso wurde sie freigelassen, jedoch mit der Warnung von Ansar Dine, nicht wieder nach Timbuktu zurückzukehren und zu missionieren.

Keine Bindung mehr an Missionswerk

Nach Angaben des Verbands evangelischer Kirchen in der französischen Schweiz (Fédération romande d’Eglises évangéliques) ging Stöckli als 40-Jährige vor 15 Jahren im Rahmen eines Freiwilligendienstes nach Mali. Inzwischen arbeite sie nicht mehr im Auftrag einer bestimmten Kirche und werde auch von keiner Mission unterstützt. Der Gründer des Missionswerks «Neues Leben Ghana» im deutschen Fürth, Jörn Andre, erklärte gegenüber Livenet, die Baslerin habe in der Oasenstadt Timbuktu zuerst für sein Werk gearbeitet und sei später selbstständig geworden.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hatte beim Bekanntwerden der zweiten Entführung Stöcklis auf eine seit längerem bestehende Reisewarnung hingewiesen. Demnach werde schon seit Dezember 2009 von Reisen nach Mali abgeraten. Nach der Verschleppung der Missionarin 2012 habe die Behörde Stöckli «auf die hohe persönliche Gefährdung in Mali hingewiesen» und von einem weiteren Aufenthalt im Land nachdrücklich abgeraten. Sie ist trotzdem geblieben.

Ständige Herausforderung für Hilfsorganisationen

Hilfsorganisationen müssen sich immer wieder mit solchen Warnungen auseinandersetzen. Bei «Comundo», einer Organisation der Personellen Entwicklungszusammenarbeit (PEZA), sind die Regeln klar, was die Arbeit in gefährlichen Gebieten betrifft. «Comundo» vermittelt in elf Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien Fachpersonen, die während drei Jahren mit der lokalen Bevölkerung leben und arbeiten. Zurzeit sind rund hundert Fachpersonen im Einsatz.

Die Arbeit vor Ort mit lokalen Partnerorganisationen basiere auf gegenseitigem Erfahrungs- und Wissensaustausch auf Augenhöhe, sagte Franz Erni, Leiter des Bereichs International, auf Anfrage. Man habe Kenntnis vom Fall der entführten Missionarin. Die von «Comundo» entsandten Personen seien immer in lokale Strukturen eingebunden. Die Sicherheitssituation werde mit den Partnerorganisationen und der Schweizer Vertretung im entsprechenden Land abgeklärt.

Norden von Burkina Faso ist tabu

Vor Ort arbeitet «Comundo» in allen Ländern mit einer Koordinationsperson, die auch Weisungen zur Sicherheit erlässt. Die Sicherheit sei jeweils auch ein Thema in der Vorbereitung und Weiterbildung der Personen, die in den Einsatzländern tätig sind. Es gebe zudem einen lokalen Sicherheitsplan und ein Szenario für schwerwiegende Ereignisse wie Entführungen oder Gewaltausbrüche, so Franz Erni.

Der Leiter der Informationsstelle Kirchen-Sekten-Religionen in Rüti ZH, Georg Otto Schmid, erklärte gegenüber kath.ch, es sei klar, dass Beatrice Stöckli früher für ein evangelikales Missionswerk tätig war, aber nun seit einigen Jahren in eigenem Auftrag arbeite. Er wisse aber nicht, ob ihre Tätigkeit immer noch diejenige einer Missionarin sei oder ob sie sich eher als Nothelferin oder Entwicklungshelferin betätige. Die Frage könne darum nicht beantwortet werden, ob es der Schweizerin darum ging, ihren christlichen Glauben weiterzuverbreiten oder ob sie ohne Bekehrungsabsicht notleidenden Menschen helfen wollte.

«Jede westliche Person» ist gefährdet

Das Risiko, das sie einging, war gross. Schmid weist darauf hin, dass Timbuktu zurzeit zu den Risiko-Regionen gehört, in welchen «jede dort anwesende westliche Person als potenzielles Entführungsopfer gefährdet ist».

In Gebieten, in welchen dschihadistische Gruppen aktiv sind, würden Menschen aus dem Westen als Geiseln genommen, um Gesinnungsgenossen freizupressen oder durch hohe Lösegeldzahlungen die eigene Organisation zu finanzieren. Hilfswerke kirchlicher und säkularer Ausrichtung pflegten deshalb in Regionen mit dschihadistischer Aktivität – wenn überhaupt – nur mit einheimischem Personal zu arbeiten.

Evangelikal-freikirchliches Verständnis von Mission

Die Tatsache, dass die Schweizerin nicht mehr Teil eines Missionswerks sei, heisse nicht zwingend, dass sie sich nicht mehr als Missionarin verstehe. Im evangelikal-freikirchlichen Umfeld gebe es eine grosse Zahl von Personen, die «in eigener Verantwortung als Missionare unterwegs sind, wobei sie ihre finanzielle Unterstützung über einen Freundeskreis selbst organisieren».

Wo in freikirchlichen Kreisen die Lehre des Zehnten vertreten werde, das heisst die Vorstellung, dass zehn Prozent des Einkommens für christliche Zwecke gestiftet werden sollten, da seien solche unabhängige Missionare beliebte Empfänger von Teilen des Zehnten.

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Datum: 28.01.2016
Quelle: www.kath.ch

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