Brisantes ChristNet-Forum

Der Flüchtling, der SVP-Nationalrat und die EVP-Nationalrätin

Mitten in der heissen Phase der Flüchtlingswellen und Flüchtlingspolitik schaffte es das Netzwerk «ChristNet», ein Podium auf die Beine zu bringen, an dem auch ein Flüchtling teilnahm. Dazu so unterschiedliche Persönlichkeiten wie EVP-Nationalrätin Maja Ingold und SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal.
Das ChristNet-Podium (v.l.): Remo Wiegand (Moderation), Feras Shamas, Erich von Siebenthal, Maja Ingold.
Feras Shamas und Erich von Siebenthal
Zelt in einem Flüchtlingslager in Ungarn

Ist unser Boot voll? Oder haben wir eine frohe Bo(o)tschaft für die Flüchtlinge? Zu dieser Frage sollten die Podiumsteilnehmer Stellung nehmen. Bereits zuvor wies der Basler Migrationspfarrer Daniel Frei auf die Aussagen der Bibel zur Flüchtlingsfrage hin. Nicht nur das Volk Israel war auf der Flucht, sondern auch Jesus und seine Eltern. Israel war gefordert, auch Migranten aufzunehmen. Jesus selbst war ein «radikaler Wanderprediger» und konnte manchmal Gastfreundschaft geniessen, manchmal auch nicht. Vor diesem Hintergrund ist auch seine Aussage in den Endzeitreden besser zu verstehen: «Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.»

Wenn sie an Leib und Leben bedroht sind

Ist es auch Christenpflicht, Flüchtlinge aufzunehmen ohne Rücksicht auf ihre Not, ihre Herkunft und ihre Motive? Die SVP forderte kürzlich ein generelles Moratorium und möchte die Grenze für Flüchtlinge dicht machen. Erich von Siebenthal, Nationalrat der SVP und Biobauer, trägt die harte Haltung seiner Partei grundsätzlich mit und teilt die Ängste vieler Schweizer vor einer unkontrollierten Einwanderung. Er macht sich aber als Christ dezidiert dafür stark, dass die Schweiz weiterhin Menschen aufnimmt, die «an Leib und Leben bedroht sind». Oder er setzte sich in einem konkreten Fall für das Bleiberecht einer Familie ein, die bereits gut integriert ist. 

Demokratie und Sicherheit

Neben Erich von Siebenthal sass der aus Syrien geflohene Christ Feras Shamas. Er floh aus Aleppo, als das Leben dort wegen des Kriegs unerträglich wurde. Schon sein Onkel lebte In der Schweiz. Hier schätzt Shamas die Freundlichkeit der Menschen, die demokratischen Verhältnisse und die Sicherheit. Und er teilt die Furcht vieler Schweizer vor den «Moslems». Der Anfang in der Schweiz sei schwierig gewesen, erklärte Shamas, der sich nach einem Jahr bereits auf Deutsch artikulieren kann und auch an Deutschkursen für seine Landsleute beteiligt ist.

Die Schweiz im Ausnahmezustand

Maja Ingold nimmt in der aktuellen Flüchtlingsfrage eine Sonderstellung ein. Sie hat die meisten Länder, aus denen Flüchtlinge zu uns kommen, besucht und sich vor Ort ein Bild über die Lage und die Fluchtgründe gemacht. Und sie hat auch klare Forderungen an die Politik. So hat sie festgestellt, dass die meisten Flüchtlinge in der Bekaa Ebene im Libanon nicht nach Europa wollen. Sie brauchen aber mehr (finanzielle) Hilfe, um dort überleben zu können. In einem der Lager können zum Beispiel die Bewohner nur bleiben, wenn sie in der Lage sind, monatlich 100 Dollar für ihren Zeltplatz zu zahlen. Wenn sie das nicht mehr können, werden sie vom Landlord rücksichtslos aus dem Lager geworfen. Somit müsse die Schweiz ihre Hilfe für Flüchtlinge in Lagern in der Nähe des Heimatlandes verstärken. Und dies dürfe nicht auf Kosten von Aufbauprojekten der DEZA geschehen. Aber auch die Flüchtlinge, die zu uns kommen, sollten besser gefördert werden, damit sie zurückkehren können, sobald das möglich ist. Denn viele wollten eigentlich wieder zurück.

Ingold betonte auch: Die aktuelle Lage ist nicht «courant normal», sondern eine Situation, die auch aussergewöhnliche Massnahmen verlangt. Erich von Siebenthal hält dagegen, dass Mittel der Entwicklungshilfe heute auch fehlgeleitet seien und ein Potenzial für eine Umverteilung vorhanden sei. Zudem sei auch auf bedürftige Menschen in der Schweiz mehr Rücksicht zu nehmen.

Christen bevorzugt aufnehmen?

Sollen sich Christen für die bevorzugte Aufnahme ihrer «Glaubensgenossen» gemäss Galater, Kapitel 6, Vers 10 einsetzen? Erich von Siebenthal setzt sich dezidiert dafür ein, schon weil sich die Christen in der Schweiz besser integrieren würden. Maja Ingold hat sich intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt und ist zum Schluss gekommen, dass Christen bei der Auswahl nicht bevorzugt werden müssen, weil sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung bessere Chancen auch bei der Emigration hätten. Galater, Kapitel 6, Vers 10 sei auch für sie ein Leitwort, aber auch Galater, Kapitel 6, Vers 2: «Einer trage des andern Last.»

Eine Bereicherung

Erich von Siebenthal räumte dann in der Diskussion ein: «Es kommen auch viele begabte Menschen (als Flüchtlinge) in die Schweiz. Und sie sind eine Bereicherung für unser Land.» Feras Shamas bestätigte dies: Mein Bruder, der jetzt auch in der Schweiz lebt, ist Chirurg. Um beizufügen: «Aber er darf hier nicht als Chirurg arbeiten.» Maja Ingold rückte dies ins rechte Licht, indem sie anfügte: «Die Schweiz muss lernen, sich als Einwanderungsland zu verstehen. Das bedeutet, dass auch wir uns verändern müssen.»

Projekte

Silvia Gerber, Vorstandsmitglied von «ChristNet», stellte zum Schluss das Projekt eines Booklets im Stil eines Bildbandes zur Flüchtlingssituation in der Schweiz vor. Man wolle der Polemik in der Politik etwas entgegenstellen: zum Beispiel Bilder von gelungenen Projekten mit Menschen, die berühren und eine andere Sicht vermitteln. Als zweites Projekt nannte sie einen Leitfaden für Christen in Landes- und Freikirchen, die sich um Flüchtlinge kümmern wollen. Silvia Gerber nimmt Hinweise dazu entgegen (silviagerber@hispeed.ch).

Zum Thema:
«Nicht schweigen!»: Flüchtlinge brauchen Schutz und Würde
Freikirchen und die Flüchtlinge: Den persönlichen Bezug zu den Migranten herstellen
Das Flüchtlingsdrama: Das europäische Dilemma und die Christen
Aufruf der SEA: Das Schicksal der Bootsflüchtlinge drängt zum Handeln

Datum: 16.09.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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