Der
Werdegang von Stephan Urfer zum reformierten Pfarrer ist alles andere als
typisch und führte über Gesangsstudium, afrikanische Pfingstlern und
katholische Theologie bis zum Leben in einem Kloster.
Bis zum Pfarramt in Kerzers war es für Stephan
Urfer (*1973) ein langer Weg. Es war aber ein Weg, auf welchem er viele Schätze
entdeckte.
Gott soll alle Ebenen des Menschseins
durchdringen
Der Mensch ist ein vielschichtiges Wesen, bestehend
aus Verstand, Intuitionen und Emotionen. «Wenn wir nur eine dieser Ebenen
ansprechen, werden wir einseitig – das ist nicht gut.» Es ist Stephans
Vorstellung von Heiligkeit, dass Gott jede Ebene des Menschen durchdringt. Die
verschiedenen Glaubensrichtungen betonen oftmals eine dieser Ebene auf Kosten der
anderen. «Wenn Intuition und Emotionen fehlen, kann es genauso einengend
werden, wie wenn der Verstand ausgeschaltet werden muss», ist er überzeugt. Mit
Bedauern beobachtet er, dass in Konzerten oder sogar im Kino oft mehr
Spiritualität zu finden ist, als in der Kirche.
Gesangskarriere und Gottesbegegnung
Schon früh fühlte sich Stephan von Musik
angezogen, besonders vom Gesang. «Als Siebzehnjähriger fand ich einen
Gesangslehrer.» Er wurde gefördert und aufgrund seines Talentes sogar für ein
Musikstudium am Konservatorium zugelassen. «Trotzdem war ich unsicher, den Weg
zum professionellen Sänger zu beschreiten.»
Es waren dann Begegnungen mit Gott, die Stephan
eine neue Richtung wiesen. In Ghana absolvierte er eine pfingstliche
Bibelschule. Zurück in der Schweiz begann er auf Anraten einer Professorin, an
der Uni Freiburg Katholische Theologie zu studieren. «Zuerst war ich sehr zurückhaltend.
Heute bin ich aber froh, den Schritt gewagt zu haben. Ich habe dadurch viele
Vorurteile über den Katholizismus korrigieren können.» Nach einigen Semestern
Evangelischer Theologie an der Uni Bern kam er letztlich auch in Berührung mit
dem Mönchtum. «In Irland lebte ich acht Monate in einem Kloster und habe über
die geistlichen Schätze gestaunt, welche dort vergraben liegen.»
Beschränkte Weltsicht trotz immensem Zugang zu
Information
«In der heutigen Zeit haben wir einen riesigen
Zugang zu wissenschaftlichen Informationen, gleichzeitig aber eine begrenzte
Weltsicht, wie es vielleicht noch nie zuvor gewesen ist. Wir erkennen nur noch
als Realität, was wir mit unseren Augen sehen.» So betrachtet Stephan die
heutige Gesellschaft. Trotz enormen Wissens bleiben Menschen leer, unzählige
tappen auf der Suche nach Spiritualität hilflos umher. Wahre Gotteserkenntnis
ging in den vergangenen Jahrzehnten stark verloren.
«Einen Menschen, der Gott erfahren hat, erkennt
man an einer Kraft in ihm», sagten bereits die Wüstenväter und davon ist auch
Stephan überzeugt. «Dabei handelt es sich um ein Erfahren, das weit über den
menschlichen Verstand hinausgeht.»
«Das Geheimnis ist die Kraft von oben»
Nach dem Lernvikariat wurde Stephan ordiniert und
ist seit dem 1. Januar evangelischer Pfarrer in Kerzers. «Für mich gibt es aber
nur eine Kirche – und die ist unabhängig einer Konfession.» Die reformierte
Landeskirche sei für ihn einfach der geeignete Ort, um Gott zu dienen.
Doch er ist
überzeugt: «Es gibt kein Christentum ohne den Heiligen Geist.» Er glaubt, dass
es keine Pfingstbewegung gebraucht hätte, wenn die Reformierte Kirche den
Heiligen Geist auf gesunde Weise betont hätte. Nun brauchte es aber korrigierende
Strömungen. «Das Geheimnis ist die Kraft von oben», sagt er. «Ohne Heiligen
Geist ist kein geistliches Leben und somit auch keine Kirche möglich. Es ist
das Geniale des Christentums, sich mit der göttlichen Kraft zu verbinden.» Oft würden
sich Menschen davor verschliessen. «Das ist sehr schade.»
Das Geistliche in die Kirche zurückholen
Die Erfahrungen, die Stephan in der afrikanischen
Pfingstgemeinde, dem Mönchtum der reformierten Landeskirche und verschiedenen
Freikirchen in der Schweiz gemacht hat, sind ihm zu einem grossen Schatz
geworden. Das gottgeweihte Leben im Kloster oder die Gemeinschaft pietistischer
Gemeinden – für vieles der unterschiedlichen Glaubensrichtungen hat er grosse
Wertschätzung gefunden. «Es ist mein tiefstes Anliegen, das Geistliche in die
Kirche zurückzuholen.» Hierzu lässt er sich von der geistlichen Begleitung der katholischen
Kirche genauso inspirieren, wie vom charismatischen Leben, welches aber nicht
zu einem egozentrischen Leben des ständigen Empfangens, sondern zu einer
Haltung des Dienens und Teilens führen soll.
Wenn der Glaube alle Ebenen des Menschen durchdringt
Als Musiker ist Stephan die Verbindung von Musik
und Spiritualität nahe und als Pfarrer ist es sein Anliegen, dass Menschen die
Bibel lesen und mit den wichtigen theologischen Begriffen vertraut werden. Er
bemüht sich, Anlässe anzubieten, damit alle Ebenen des Menschseins mit
geistlichem Leben durchdrungen werden.
Vormittags befindet sich Stephan oft in der
Kirche. «Dies ist nicht typisch reformiert, entspricht eher dem Mönchtum.» Er
kann angetroffen werden, wenn er Musik macht und so Gott sucht. Das gibt
Möglichkeiten für Gemeinschaft. «Wer durchs Dorf geht, weiss, dass ein Café
betreten werden kann. Genauso sollen die Leute wissen: Die Kirche ist offen und
der Pfarrer verfügbar – zum Beispiel zum Kaffeetrinken.»