Verbreiteter Hass auf Ungläubige in Saudiarabien

Saudiarabische Flagge


Dschidda - In Saudiarabien wagen einige muslimische Intellektuelle eine vorsichtige Debatte über Intoleranz gegenüber Nicht-Muslimen. Die im Land vorherrschende islamische Richtung des Wahhabitismus lässt solche Diskussionen eigentlich nicht zu, da sie die Muslime dazu anhält, sich nicht mit Fremden einzulassen. Der Arabien-Korrespondent der New York Times erwähnt, dass viele Saudis es immer noch nicht glauben wollen, dass 15 der 19 Attentäter am 11. September ihre Landsleute waren. Doch einige wenige Intellektuelle, Journalisten und Geistliche beginnen quer zu denken. Ein Journalist ruft dazu auf, "die Meinungen zu untersuchen, die zu diesen Untaten führten". Vor dem 11. September habe man als Meinung äussern können: "Ich denke, wir sollten die anderen hassen". Seither habe man einsehen müssen, dass diese Gedanken arge Folgen hätten.

Im Frühjahr unterschrieben viele saudische Geistliche und Intellektuelle ein Manifest, in dem sie Gemeinsamkeiten der Muslime mit dem Westen als möglich bezeichneten. Aber die traditionelle Wahhabi-Auffassung, dass der wahre Islam aus der Abgrenzung und dem Kampf gegen die Ungläubigen seine Kraft bezieht, führte zu scharfer Kritik am Manifest. So schrieb jemand, viele Muslime seien dankbar dafür, dass jemand Amerika den Krieg erklärt habe; "dies tat Muslimen wohl". Ein älterer Scheich erklärte, das Manifest erniedrige den Islam, da es den Jihad als zentrales Gebot der Religion nicht erwähne.

Laut der New York Times lässt das saudische Prinzen-Regime seit dem 11. September etwas mehr öffentliche Debatten zu. Dazu kam ein Brand in einer Mädchenschule in Mekka, bei dem Schülerinnen starben, weil die Retter wegen Kleidervorschriften nicht zu ihnen vorzudringen wagten. Im Juni gab Riad auch zu, dass man im Land eine al-Kaide-Zelle aufgespürt und die Glieder verhaftet habe - dies nach hartnäckigem Leugnen einer saudischen Basis der Terror-Organisation.

Der strikte Islam der Wahhabiten prägt das Leben in Saudiarabien seit über 200 Jahren. Die Vorfahren des heutigen Königshauses gewannen damals Macht über andere Stämme, indem sie sich mit Muhammad bin Abd al-Wahhab, dem Begründer der strikten Auslegung, und seinen Schülern verbanden. Allerdings, so der Bericht in der New York Times, weisen Einheimische den Begriff Wahhabitismus zurück, da sie den Islam als Einheit sehen wollen. "Doch die von Wahhabis genährte Fremdenfeindlichkeit dominiert die religiöse Diskussion in einer Weise, die sich anderswo in der islamischen Welt nicht findet."

So wird in den heiligen Städten Mekka und Medina den Pilgern ein Souvenirband von 1'265 Seiten verkauft, in dem die wichtigsten Rechts-Gutachten zum Leben in der modernen Welt abgedruckt sind. Darunter finden sich die Anweisungen, Nicht-Muslime nicht anzulächeln, ihnen nicht schöne Ferien zu wünschen und sie nicht als Freunde anzusprechen.

Ein berühmter Rechtsgelehrter, dessen Begräbnis im letzten Jahr über 100'000 Trauernde anzog, liess sich über die Frage aus, ob gute Muslime in den Ländern der Ungläubigen leben könnten. Jene Muslime, die nicht darum herum kämen, sollten "Feindschaft und Hass auf die Ungläubigen hegen und sie nicht zu Freunden nehmen", schrieb er.

Allerdings meinen Saudis im allgemeinen, dass diese Art von Lehrmeinungen nichts zu terroristische Aktionen beitrage. "Natürlich hasse ich Sie, da Sie ein Christ sind, aber das heisst ja nicht, dass ich Sie töten will", sagte ein Professor für islamisches Recht in der Hauptstadt Riad zu einem ausländischen Reporter.

Prinz Sattam bin Abel Aziz, einer der jüngsten Brüder von König Fahd, erklärte vor der Presse, solche Leute stünden nicht für den Islam als Ganzes. "Ich sage nicht, dass Saudiarabien keine Extremisten hat. Aber es sind nicht so viele, wie man denkt oder wie die Presse vorgibt." Indes gibt es Geschäftsleute, die sich darüber beschweren, dass Kritik an einflussreichen Geistlichen gleich als Kritik am Islam gewertet wird. Daher wage niemand die Lehren Wahhabs direkt in Frage zu stellen.

Quelle: New York Times, Livenet

Datum: 13.07.2002
Autor: Peter Schmid

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