Der Glaube hat Heilungspotential

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"Religiosität und Glaube könne auf vielfältige Weise heilen und heilsam sein", äussert sich Brigitte Fuchs, Professorin für Kerygmatik und Meditationstherapie, in einem Interview zur Befindlichkeit der Seele und ihren Auswirkungen auf den Körper beziehungsweise auf die Gesundheit. Was aber ist das Geheimnis des Glaubens? Gibt es im Christentum etwas spezifisch Heilsames, Heilendes?

Prof. Brigitte Fuchs, in den Medien ist zu lesen, amerikanische Forscher hätten herausgefunden, dass regelmässige Kirchgänger länger leben. Ist die Religion ein Jungbrunnen?
Brigitte Fuchs: Es gibt seit einigen Jahren mehrere Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Kirchgang und Gesundheit belegen. Bei diesen Studien bleibt jedoch der ursächliche Zusammenhang unklar: Sind regelmässige Kirchgänger gesünder, weil sie in die Kirche gehen? Oder werden bei solchen Umfragen überhaupt nur die gesunden Mitglieder einer Kirche erfasst, weil kranken oder invaliden Gläubigen der Kirchgang nicht oder nicht regelmässig möglich ist? Der Kirchenbesuch alleine kann deshalb kein Kriterium sein, um einen Einfluss des Glaubens zu beweisen.

Gibt es denn einen Einfluss des Glaubens auf die Gesundheit?
Mittlerweile haben Langzeitstudien mit Tausenden von Menschen gezeigt, dass die Religion, wenn sie den Alltag und die Lebensführung bestimmt, viel zum Wohlbefinden eines Menschen beiträgt, mehr als soziale Unterstützung oder finanzielles Versorgtsein. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass schwer krebskranke Patienten um so weniger Schmerzen empfanden, je stärker ihre Religiosität war. Und religiöse Menschen sind offenbar weniger anfällig für Krankheiten.

Wie wirkt denn Religion gesundheitsfördernd?
Es gibt verschiedene Ansätze zur Erklärung, und wahrscheinlich wirken mehrere dieser Faktoren zusammen: Religiosität fördert in der Regel die sozialen Beziehungen, und diese soziale Einbindung kann vor Einsamkeit und Depression schützen. Daneben gibt es eine rein physische Wirkung: Gebet und Meditation wirken entspannend und reduzieren Stress. Es hat sich gezeigt, dass Patienten, die meditieren, nach einer Operation weniger lang bettlägrig sind und weniger Schmerzmittel brauchen. Meditation kann aber auch in der Prävention von durch Stress bewirkten Krankheiten helfen.

Nicht zuletzt scheinen Menschen mit religiöser Überzeugung auch bessere Strategien zur Bewältigung von leidvollen Erfahrungen zu haben als nichtreligiöse. Sie vertrauen auf eine liebevolle Macht, die stärker ist als menschliche Umstände. Das kann helfen, leidvollen und krankmachenden Erlebnissen einen Sinn abzugewinnen und sie ins Leben zu integrieren. Religion kann die mit Schicksalsschlägen verbundenen Gefühle wie Sinnlosigkeit oder Verlust von Selbstachtung positiv beeinflussen. Der Glaube an eine positive transzendente Macht ist eine Quelle des Trostes und der Hoffnung.

Sie sprechen von einem Vertrauen auf eine liebevolle Macht, das gesundheitsfördernd wirkt. Welche Einflüsse hat demgegenüber der Glaube an einen strafenden Gott?
Es gibt auch krankmachende Gottesbilder. Die Vorstellung, dass ein strenger Gott die Menschen mit Krankheiten für Sünden und Fehler strafen kann, macht neurotisch und körperlich krank. Gott hingegen als liebevolle Macht zu sehen, beeinflusst die Gesundheit positiv.

Gibt es besonders "gesunde" Religionen oder Konfessionen?
Eine Hitliste der "gesundheitsfördernden" Religionen existiert nicht. Aber es gibt interessante Untersuchungen, die zeigen, dass unterschiedliche Religionen sich positiv auf unterschiedliche Krankheiten und deren Prävention auswirken. So lässt etwa der muslimische Glaube bestimmte Krebsformen weniger aufkommen als der christliche Glaube. Die Zusammenhänge sind noch nicht genau geklärt. Aber man geht davon aus, dass diese unterschiedliche gesundheitsfördernde Wirkung von Religionen mit den unterschiedlichen Lebensregeln zusammenhängen, die die Religionen den Gläubigen abfordern.

Gibt es im Christentum etwas spezifisch Heilsames, Heilendes?
Es gibt gewisse spirituelle Grundhaltungen, die gesundheitsfördernd wirken. Im Christentum findet man etwa die Vergebung und Verzeihung. Wer nachtragend ist und nicht verzeihen kann, leidet unter dieser Last. Das kann krank machen, oder eine Heilung verhindern. Eine weitere christliche Grundhaltung ist die Öffnung des Herzens für andere. Die Verhärtung der Herzen, die ja tatsächlich Herzkrankheiten fördert, soll aufgebrochen werden. Wichtig ist auch die Gelassenheit, das Wissen, dass man nicht alles selber machen und bestimmen kann. Wer glaubt, die Genesung hänge nur von ihm ab, kann sich selber unter grossen Druck bringen, wenn seine Bemühungen keinen Erfolg haben.

Wie reagiert die Medizin auf die Tatsache, dass offenbar nicht nur Wissenschaft, Apparate und Medikamente heilen können, sondern auch der Glaube?
Mediziner, die den Körper als ein Stück Mechanik anschauen, das repariert werden muss, haben natürlich ein Problem damit. Daneben gibt es aber eine Strömung, die diese Erkenntnisse zunehmend aufnimmt, in Deutschland und der Schweiz sind dies vor allem Naturheilkundler und Anthroposophen. In den USA ist man damit allerdings schon viel weiter.

Als Therapeutin haben Sie auch schon eigene Erfahrungen gemacht mit Therapien, bei denen auch der spirituelle Aspekt berücksichtigt wurde. Zu welchen Ergebnissen sind Sie dabei gekommen?
Ich habe an einer deutschen Rehabilitationsklinik für Herzkreislauf-Krankheiten gearbeitet und dort den Patienten auf freiwilliger Basis therapeutische Meditation angeboten. Dieses Programm habe ich in Anlehnung an die Erfahrungen von Medizinern aus den USA selber entwickelt. Gleichzeitig versuchte ich aber auch spirituelle Grundhaltungen aus dem Christentum einzuarbeiten, die sich als heilsam erwiesen haben. Dieses dreiwöchige Programm habe ich wissenschaftlich begleitet. Es zeigte sich eine Reduktion körperlicher Symptome, insbesondere bei Schlafstörungen oder Kopfschmerzen. In Einzelfällen gab es auch spontane Heilungen.

Da müssten die Kirchen doch aufhorchen. Wieso werben sie nicht mit dem Slogan "Glaube fördert ihre Gesundheit" ?
Das würde wohl aus zwei Gründen nicht funktionieren: Die Menschen verlangen heute eine schnelle und sichere Wirkung. Religiosität und Glaube wirken jedoch nicht wie eine Tablette, die man schlucken kann, und nach fünf Minuten geht es einem besser. Der therapeutische Effekt von Religiosität hat immer mit Arbeit an der eigenen Persönlichkeit zu tun. Ausserdem ist die Wirkung von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Bei einem wirkt Religiosität heilend, dem anderen hilft sie, besser mit der Krankheit umzugehen.

Aber "heilendes" Potential wäre im Christentum, im christlichen Glauben vorhanden?
Das Christentum hätte viel zu bieten; so kennen die christlichen Kirchen etwa verschiedenste Meditationsformen. Aber die christlichen Kirchen haben es nicht verstanden, diese für die Heilung fruchtbar zu machen. Der Glaube kann positiv auf die Gesundheit wirken, aber die Menschen wissen nicht, wie sie ihre Religiosität dafür nützen können. Die Trennung von Leib und Seele hat sich uns eben tief eingeprägt. Wenn man krank ist, geht man zum Arzt, und sonntags geht man in die Kirche. Aber den Zusammenhang von Glauben und Gesundheit sehen die meisten nicht.

Wie soll ein gläubiger Mensch denn vorgehen, um die heilende Kraft des Glaubens nutzbar zu machen?
Am ratsamsten ist es, sich jemanden zu suchen, der in dieser Richtung arbeitet und einem auf seinem Weg begleiten kann. Ausserdem gibt es heute viele Bücher zum Thema. Darunter ist allerdings auch viel Hokuspokus. Deshalb ist zur Vorsicht geraten: Wenn grosse Versprechungen gemacht werden wie "Meditieren Sie und Sie sind nach zwei Wochen gesund" oder etwas als Wunderheilmittel angepriesen wird, sollte man kritisch sein. Den christlichen Glauben für die Heilung fruchtbar zu machen ist nicht so geradlinig und wirkt nicht von heute auf morgen, das ist viel komplexer.

Autor: Interview Stephan Moser/KIPA

Datum: 22.06.2004
Quelle: Bausteine/VBG

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