Wer ist Schuld?

Wenn eine Tragödie hereinbricht und einfach keinen Sinn ergibt

Die Schuldfrage ist gerade bei Unglücken meist die erste, die geklärt wird. Aber auch bei anderen Tragödien und Katastrophen wird schnell geschaut, woran es liegt oder wer Schuld hat – und häufig geht der schwarze Peter direkt an Gott. Doch Jesus zeigte seinen Jüngern einen anderen Blickwinkel auf solche Situationen – und forderte sie auf, zu handeln statt zu hinterfragen.
Traurige Frau sitzt in verlassener Gasse

Tragödien gibt es ständig in unserer Welt, seien es Naturkatastrophen oder persönliche Tragödien wie Krankheiten und Tod. Schnell wird ein Schuldiger gesucht. Als Haiti im Januar 2010 von dem verheerenden Erdbeben heimgesucht wurde, hiess es gerade in christlichen Kreisen bald: Die Haitianer bezahlen jetzt für die Sünden ihrer abergläubischen Vorfahren… Als sich AIDS ausbreitete, wurde die Schuld schnell den Homosexuellen zugeschrieben. Es herrscht das Bild des zornigen Gottes vor, der die Sünden der Menschen sieht und sie direkt mit Krankheit und Tragödien straft.

Jetzt, wo gerade die Paralympischen Spiele in Rio de Janeiro laufen, hört man vermehrt tragische Lebensgeschichten, auch von Sportlern, die aufgrund von Fehlern anderer eine schwere Behinderung entwickelten; so zum Beispiel die deutsche Kugelstosserin Birgit Kober, die nach einem Behandlungsfehler in einem Krankenhaus im Rollstuhl sitzt (Livenet berichtete). Hier ist die Schuldzuweisung nicht mehr so an den Haaren herbeigezogen. Doch auch da könnte sich die Frage aufdrängen: Was hat diese junge Frau getan, dass sie so ein Schicksal erleiden muss?

Wer hat gesündigt?

Dieses Denkschema bestand bereits im Alten sowie Neuen Testament. Deutlich wird es in der Geschichte aus dem Johannesevangelium, Kapitel 9, in der Jesus einen Blindgeborenen heilt. Als Jesus mit seinen Jüngern an dem Mann vorbeikommt, ist die erste Frage der Jünger nicht, ob Jesus ihn heilen könnte, sondern vielmehr (Vers 2): «Meister, wer ist schuld daran, dass dieser Mann blind ist? Hat er selbst Schuld auf sich geladen oder seine Eltern?» Zu ihrer Zeit war eine Krankheit unvermeidlich mit Schuld und Sünde verbunden. Wenn jemand ein so schreckliches Schicksal erleiden musste, war dies zweifelsohne die Folge einer Sünde. Die Frage war nur, wer der Schuldige war, er selbst oder seine Eltern.

Doch Jesus lässt seine Jünger die Situation von einer ganz anderen Seite betrachten (Vers 3): «'Weder noch', antwortete Jesus. 'Vielmehr soll an ihm die Macht Gottes sichtbar werden.'» Diese Antwort, die auch uns heute gilt, bringt unseren Gerechtigkeitssinn durcheinander. Wieso leidet jemand so unter einer bestimmten Situation, wenn er keine Schuld daran hat? Lässt Gott ihn absichtlich leiden, um anschliessend seine Macht an ihm sichtbar werden zu lassen? Dies ist für viele einfach nur unverständlich.

Schuldzuweisungen bringen nichts

Und doch kann uns diese biblische Geschichte einige Dinge lehren. Zuallererst – und vielleicht fast zu offensichtlich – ist die Tatsache, dass es nichts bringt, einen Schuldigen zu suchen. Selbst bei Tragödien, deren Schuld ganz offensichtlich bei der leidenden Person zu finden ist. Wenn beispielsweise ein alkoholabhängiger Mensch unter akutem Leberversagen leidet, könnte man versucht sein, zu sagen: «Selber Schuld!» Doch was bringt diese Schuldzuweisung? Überhaupt nichts. Sie verbessert weder die Situation, noch hilft sie der leidenden Person in dem Zusammenhang.

Und dazu hat Gott uns auch nicht berufen. Die Bibel fordert uns in keinem Augenblick auf, über andere zu richten oder Schuldige zu suchen. Vielmehr finden wir Aufforderungen wie «Urteilt nicht über andere, damit Gott euch nicht verurteilt» (Matthäus, Kapitel 7, Vers 1) oder «So ermutigt und tröstet einander, wie ihr es ja auch bisher getan habt.» (1. Thessalonicher, Kapitel 5, Vers 11).

Gottes Gedanken sind höher

Gott lässt immer wieder durchblicken, dass er der Allmächtige, der Allwissende, der Allesüberschauende ist, der die Kontrolle über alles hat, während wir endliche Menschen sind, die eben nicht alles verstehen können. «Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege. Denn wie der Himmel die Erde überragt, so sind auch meine Wege viel höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.» (Jesaja, Kapitel 55, Vers 8) Gott hat doch mit jedem Menschen einen Plan, den wir zwar nicht immer nachvollziehen können, doch dieser Plan ist immer gut, auch wenn er in unseren Augen nur negativ aussieht.

Eine wichtige Frage

Dann gibt es aber eine Frage, die wir im Angesicht einer Tragödie stellen sollen: Wie reagiere ich hierauf? Was werde ich tun? Denn genau so, wie Schuldzuweisungen nichts bringen, sind wir Christen dazu berufen, tätig zu werden und ein Segen für die Menschen um uns herum zu sein. Jesus selbst sagt das in der Geschichte zu seinen Jüngern: «Ich muss die Aufgaben, die Gott mir gegeben hat, erfüllen, solange es Tag ist. Bald kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann.» Solange es noch Tag ist, solange Menschen zum Glauben kommen können, solange wir Christen in der Welt Salz und Licht sein können, sind wir auch dazu berufen. Wie reagiere ich also auf eine Tragödie in meiner Familie, in meiner Nachbarschaft oder im Freundeskreis? Was kann ich tun, um die Situation zu verbessern oder zumindest dem anderen zu zeigen, dass er mir am Herzen liegt? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, dies zu tun, je nach Gabe des Einzelnen, je nach Charaktertyp.

Nicht «warum», sondern «wozu»

Und wie ist das, wenn ich mich plötzlich selbst in einer schwierigen Situation, in einer Tragödie wiederfinde? Wie soll, wie kann ich reagieren? Häufig ist auch hier die erste Frage: Warum ich? Warum nicht die anderen? Doch ist es wichtig, zu einer zweiten Frage zu gelangen: Wozu geschieht dies? Was möchte Gott damit in meinem Leben bezwecken? Und lasse ich zu, dass er durch diese Situation in mir wirkt?

Auch hier ist das Leben der Kugelstosserin Birgit Kober beispielhaft. Denn sie gibt offen zu, dass sie aus gutem Grund grosse Probleme hatte, ihr Schicksal einfach so anzunehmen: «Als ich meine Mutter verlor und dann das mit dem Behandlungsfehler kam, habe ich mich schon gefragt, warum ich so viel abkriege. … Damals nahm ich mir eine Auszeit von Gott, aber ich hatte den Eindruck, Gott hält das aus. Es war für ihn okay. Ich darf sein, wie ich eben bin. Er hat mich in dieser Zeit getragen, mich nicht allein gelassen, er hat mich gehört… Der Glaube an Jesus bedeutet mir sehr viel. Einen grossen Teil meiner Kraft bekomme ich von Gott, den ich oft darum bitte. Es mag für manche kitschig klingen, aber ich danke ihm auch für das, was ich an Gutem in meinem Leben habe.»

Wenn wir dahin kommen, wie Birgit Kober dankbar zu sein in unserem Leben und unseren Blick von der Tragödie weg auf Gott zu richten, wird es für uns auch einfacher werden, Schicksalsschläge und Tragödien anzunehmen und mit Gottes Hilfe und seiner Kraft zu durchleben. Und wer daran Schuld hat, ist dann letztlich völlig egal…

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Datum: 11.09.2016
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet

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