"Jahr der Bibel": Schriftsteller aller Jahrhunderte nutzten die Bibel als Quelle

Thomas Mann
Bertolt Brecht
Friedrich Dürrenmatt

Die Bibel ist nicht nur das meistgelesene Buch der Geschichte. Sie ist auch eine grosse Vorratskammer für literarische Stoffe und hat wie kaum ein anderes Werk zahlreiche Meisterwerke in allen nachfolgenden Epochen beeinflusst und inspiriert.

Das sind Bilder, die sich eingeprägt haben: Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben, Moses führt das Volk durch die Wüste, und Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld, bevor er Jesus verurteilt. So steht es in der Bibel, dem erfolgreichsten Bestseller der Menschheitsgeschichte. Die Bibel ist nicht nur das meistgelesene Buch der Geschichte. Sie ist auch eine grosse Vorratskammer für literarische Stoffe und hat wie kaum ein anderes Werk zahlreiche Meisterwerke in allen nachfolgenden Epochen beeinflusst und inspiriert.

Nicht immer sind die Bezüge so deutlich schon im Titel zu erkennen wie bei Thomas Manns Roman-Tetralogie "Joseph und seine Brüder" oder Luise Rinsers Buch "Mirjam". Manchmal sind es auch übergreifende Themen, die sich aus biblischen Aussagen speisen und das Werk eines Schriftstellers durchziehen: etwa die Frage nach der Schuld in Max Frischs "Homo Faber", die quälende Frage nach der Unbegreiflichkeit Gottes angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhunderts bei Friedrich Dürrenmatt, die Leidensgeschichte von Menschen in Anlehnung an die Passion Christi im Buch "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers oder die Apokalyptik in Günter Grass' Roman "Die Ratten".

Brechts Lieblingslektüre

Von Thomas Mann bis Feuchtwanger, von Kafka bis Grass und sogar bis zu Karl May: Selbst Schriftsteller, denen der christliche Glaube fremd war, schöpften aus dem grossen Reservoir an Bildern, Formulierungen und Erzählungen. Als der bekennende Atheist und Marxist Bertolt Brecht nach seiner Lieblingslektüre gefragt wurde, bekannte er: "Sie werden lachen - die Bibel".

In Brechts Stücken finden sich Hunderte von Bibel- und vor allem Psalmzitaten; seine Sprache war an der Luther-Bibel geschult. Zum Beispiel in den folgenden Versen, die aber inhaltlich gerade den Bruch mit dem Glauben der Juden und Christen demonstrieren: "Lasst euch nicht verführen / Zu Fron und Ausgezehr! / Was kann euch Angst noch rühren? / Ihr sterbt mit allen Tieren / und es kommt nichts nachher."

Auch biblische Stoffe hat der in katholisch-protestantischer Mischehe aufgewachsene und von der Mutter mit religiöser Lektüre geplagte Brecht verarbeitet. Der Richterspruch des Salomo beispielsweise, der entscheiden muss, welcher der beiden konkurrierenden Mütter das Baby gehört, findet sich in neuem Zusammenhang im "Kaukasischen Kreidekreis" wieder.

Wie man die Stoffe der Bibel nutzen kann, ohne das "Buch der Bücher" als göttliche Offenbarung anzunehmen, zeigte schon Altmeister Goethe. Zum Beispiel im Prolog des Faust-Dramas, der an das biblische Buch Hiob angelehnt ist. Dabei disputiert Gott mit Satan über die Standfestigkeit Fausts und gibt ihm die Erlaubnis, den Wissenschaftler in Versuchung zu bringen. Fausts Abkommen mit Mephisto wird dann auch Thema bei Thomas Mann, der es in seinem Buch "Dr. Faustus" im Teufelspakt des Musikers Leverkühn für das 20. Jahrhundert variiert.

Dürrenmatts Gleichnisse

Doch nicht nur Sprache und Geschichten des Buches der Bücher haben die Literatur geprägt: Auch die biblischen Darstellungsformen waren Beispiel gebend. Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs und Paul Celan griffen nach 1945 auf die Psalmen zurück, um das Grauen der NS-Zeit, die Ferne Gottes und die menschliche Misere zu beschreiben. Dürrenmatt, in protestantischem Pfarrhaus aufgewachsen, aber dem Glauben entfremdet, liess sich besonders von der Stilform der biblischen Gleichnisse fesseln. "Ich bin kein Satiriker, sondern ich arbeite mit Gleichnissen. Ich fasse meine Stücke als Gleichnisse auf", beschrieb er sein Vorgehen.

Der Rückgriff auf biblische Stoffe und Darstellungsformen ermöglichte vielen Autoren, aktuelle Probleme in verfremdeter Perspektive darzustellen. Mit Vorliebe griffen auch DDR-Autoren Berichte der Bibel auf, um sich in chiffrierter Form über die politischen Zustände ihres Staates und unserer Zeit auszulassen. Stefan Heyms "König David Bericht" spiegelt Probleme des Stalinismus parabelhaft und durfte in der DDR deshalb zunächst nicht erscheinen.

Datum: 12.02.2003
Autor: Christoph Arens
Quelle: Kipa

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