Ganzheitlichkeit - Modewort oder biblisches Menschenbild?

Geist Seele Leib
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Ganzheitlich fit will man sein, ganzheitlich leben, ganzheitlich glauben. Steckt dahinter eine Modeerscheinung, vielleicht gar New-Age-Gedankengut, oder ist dieses Reden von der Ganzheitlichkeit gutes biblisches Menschenverständnis? Das letztere ist der Fall, und es soll im folgenden belegt werden, dass die Bibel gar nicht anders kann als ganzheitlich zu denken und zu reden. Auch wenn heutzutage viel und an mancher Stelle gefährlich oberflächlich von Ganzheitlichkeit geredet wird und auch wenn andere religiöse Gruppierungen von Ganzheitlichkeit reden, als wäre es ihre Entdeckung, so ist es doch nicht einsehbar, warum dieser Grundbegriff biblischen Menschenverständnisses von manchen Christen mit einer gewissen Reserviertheit betrachtet wird. Es scheint nötig zu sein, eine kleine biblische Menschenkunde zu entfalten.

"Schlechter" Leib

Wenn heutzutage von Ganzheitlichkeit gesprochen wird, ist in der Regel der Zusammenhang von menschlichem Leib, Seele und Geist gemeint. Das ist nun nichts Neues, sondern eine klassische Einteilung, die schon zur Zeit der Griechen üblich war. Entscheidend ist, wie diese "drei Teile des Menschen" verstanden werden. Bei den Griechen wurde scharf getrennt zwischen Leib auf der einen und Seele und Geist auf der anderen Seite. Dabei war der Leib der menschliche Teil, der tiefe Noten bekam. Er wurde als schlecht, hinderlich, als Sitz aller negativen Triebe und Gefühle abgewertet. Es herrschte damals die Gleichung: Soma = Säma (Leib = Grab). Demgegenüber war die Seele als unsterblicher Teil des Menschen der gute Teil.

Diese negative Einstellung zur Körperlichkeit hat auch auf die christliche Theologie früherer Jahrhunderte Einfluss genommen. Christliche Leibfeindlichkeit, die sich teils bis in unsere Tage hält, hat da ihren Ursprung. Sie entspricht viel eher einem griechischen als einem biblischen Menschenbild.

Lebendige Seele

Die Bibel kennt weder diese scharfe Trennung zwischen Leib und Seele noch die Abwertung des Leibes gegenüber der Seele. Schon im Schöpfungsbericht wird das deutlich. Gott "modelliert" den Menschen, bläst ihm seinen Lebensatem ein, und dann heisst es: "Da war der Mensch eine lebendige Seele" (1. Mose 2,7). Das ist der entscheidende Unterschied. Der Mensch hat nicht, er ist Seele, und zwar mit seinem ganzen Sein, inklusive seinem Körper. Das hebräische Wort "näfäsch" für Seele ist ein interessanter Begriff, der "himmelweit" von dem entfernt ist, was die Griechen über Seele dachten. "Näfäsch" heisst in der Grundbedeutung soviel wie: Kehle, Begehren, Bedürfnis. Daraus hat sich eine übertragene Bedeutung abgeleitet, die den Menschen als "bedürftiges Wesen" bezeichnet. Als Beispiel mag hier das bekannte Psalmwort dienen: "Meine Seele dürstet nach Gott wie nach Wasser im dürren Lande." (Psalm 63,2; 42,3 u.a.) Hier wird etwas deutlich von alttestamentlicher Menschenkunde. Seele ("näfäsch") ist eine Bezeichnung für den ganzen Menschen in seinem Angewiesen- sein auf Gott.
Natürlich gibt es in der Bibel auch die Unterscheidung der verschiedenen Aspekte menschlichen Wesens. So spricht die Bibel oft vom Herzen des Menschen und meint damit die Willenszentrale, wo Entscheidungen, Empfindungen und der Intellekt ihren Sitz haben (Genesis 6,5; Sprüche 16,9; 15,13).

Der fleischliche Mensch

Die Bibel spricht auch vom Fleisch und kann damit den Körper des Menschen meinen. Wir finden Fleisch aber auch als Bezeichnung des ganzen Menschen, ja der Menschheit (Jesaja 40,5f; Joel 3,1). Wir können also auch hier formulieren: Der Mensch hat nicht nur Fleisch, sondern ist Fleisch. Und als Fleisch steht er im Gegensatz zum Geist Gottes. Fleisch bezeichnet den ganzen Menschen als ohnmächtiges, sterbliches Wesen (Jesaja 31,3; Jeremia 17,5). Im Neuen Testament ist diese Bedeutung noch stärker betont. Hier ist Fleisch die Bezeichnung des Menschen ohne Gott, des natürlichen Menschen, der das Reich Gottes nicht sehen kann (Johannes 3,6; 1. Korinther 15,50; Römer 7,18).

Die Bibel erklärt das Wesen des Menschen also immer mit Begriffen, die die leib-seelische Einheit betonen. Nirgends werden Körper oder Seele des Menschen abgetrennt betrachtet, überbetont oder abgewertet. Stellenweise ist die Begrifflichkeit sogar austauschbar, wie Psalm 63,1 und 84,2 zeigen.

Ganzheitliches Leben

In den biblischen Texten hat sich dieses Wissen um die Einheit des Menschen in vielfältiger Form niedergeschlagen. So können wir an vielen Stellen, in vielen Glaubensaussagen die Einheit von Leib, Seele und Geist herauslesen; alttestamentlich gesprochen müssten wir Herz sagen. Wir entdecken, dass die Menschen der Bibel ihren Glauben gar nicht anders leben konnten als "ganzheitlich":

* Wie sich zum Beispiel das Denken (Herz) des Menschen auswirkt auf die Gemütslage und bis hinein in das Körperliche, zeigen Stellen wie Psalm 73,16+21: Das fruchtlose Nachdenken über Gottes Führungen führte zu Nierenschmerzen.

* Wie sich seelische Zustände bis ins Körperliche zeigen, betont Sprüche 17,22: "Ein fröhliches Herz fördert die Gesundheit, doch ein gedrücktes Gemüt zehrt den Körper aus."

* Wie sich Schuld des Menschen im Leben auswirkt, zeigen Stellen wie Psalm 32. Hier wird uns vorgeführt, wie verdrängte Schuld krank machen kann.

Solche Beispiele könnten noch Hunderte gefunden werden. Sie zeigen alle die Ganzheitlichkeit unseres Glaubens. Glauben ist also immer eine Sache, bei der man mit Leib, Seele und Geist dabei ist. Ganzheitlich glauben hiesse deshalb, dass ich mein Glaubensleben nicht verkürze auf einen reinen Denk- oder Gefühlsakt, sondern dass ich alle Bereiche meines Lebens, auch meine Körperlichkeit, in meine Glaubensausübung hineinnehme. Ganzheitlich glauben heisst auch: Ich gebe die Vorstellungen, die wir ja als griechische Philosophie enttarnt haben, auf, dass nur "meine Seele" gerettet und deshalb wichtig im Glaubensleben sei. Ich nehme mich als ganze Person wichtig, auch und gerade meine leibliche Seite.

Geistlicher Auftrag

Was hat das für Auswirkungen auf das Glaubensleben? Womit sich mein Denken beschäftigt, womit ich meinen Kopf fülle, ist eine wichtige Frage. Was meinen Charakter ausmacht, ihn prägte und verprägte, hat Einfluss auf die Art, wie ich glaube. Wie ich mit meinem Körper umgehe, ist eine hochgeistliche Frage. Ganzheitlich glauben heisst: entdecken, dass ich immer mit Haut und Haar dabei bin, wenn ich glaube. Ganzheitlich glauben bedeutet aber auch, dass ich meinen Körper ernst nehme als ein Stück von mir, in dem sich Glaube immer ausdrückt. Glaubensfreude wird sich in meinem Körper ausdrücken und darf sich auch Bahn brechen. Zum Beispiel in körperlicher Freude des Tanzes, wie bei König David. Glaubenskrisen können sich ausdrücken in körperlichen Erscheinungen. Hier müssen wir vielleicht noch viel mehr auf die Sprache unseres Körpers achten.

Und schliesslich können wir Gott mit unserem Leibe preisen (1. Korinther 6,19-20). Körperliche Gesundheit und Fitness können ein Stück Glaubensgesundheit sein. Körperliche Gesundheit, das heisst dem Körper das zu geben, was er braucht, wird dann auch zum geistlichen Auftrag.

Datum: 02.12.2003
Autor: Horst Scharfenberg
Quelle: Chrischona Magazin

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