Wir brauchen die Bibel für unser Leben - viel mehr als wir denken

Sonntagspredigt

Die Kirchen in Frankreich, in Österreich, in der Schweiz und hierzulande haben das Jahr 2003 konfessionsübergreifend zum Jahr der Bibel erklärt. Das Jahr der Bibel soll uns neu verlocken, das Buch der Bücher zu lesen, von ihm her den Zuspruch Gottes zu erfahren, uns einzuüben in christlicher Lebensgestaltung.

"Ich will meinen Mund auftun zu einem Spruch und Geschichten verkünden aus alter Zeit. Was wir gehört haben und wissen und unsere Väter uns erzählt haben, das wollen wir nicht verschweigen ihren Kindern; wir verkündigen dem kommenden Geschlecht den Ruhm des Herrn und seine Macht und seine Wunder, die er getan hat." (Psalm 78)

Das Jahr der Bibel wird kein Kaufmich-Programm sein, keine Werbestrategie, bei der man nach ihrem Abschluss statistisch erheben könnte, dass so oder so viel mehr Bibeln im Umlauf seien. Sondern es geht um das erneute Einsickern der biblisch-religiösen Wahrheiten in das öffentliche und private Bewusstsein der Leute. Damit will man nicht Menschen für die Kirche ködern; sondern der Wert der biblischen Wahrheiten soll wieder erkannt und erlebt werden, gerade auch im kirchenfernen Bereich. Ich bin davon überzeugt, dass die Kenntnis biblischer Geschichten die Menschen gelassener und zukunftsfreudiger machen.

Die Bibel ist in den letzten Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, von vielen klugen Leuten weit weggeworfen worden aus ihrem Leben. Von Menschen, die meinten, aus eigenen Kräften und eigenem Vermögen, das Gute für Welt und Leben tun zu können. Die meinten, sie könnten des Zuspruchs und Einspruchs Gottes entbehren. Niemand käme auf die Idee, die Märchen oder Platons Werke für etwas fürs menschliche Leben Unwesentliches zu halten, nur weil sie alt sind. Bei biblischen Geschichten aber behaupteten das viele unverfroren. Sie irren.

Nüchtern ist festzustellen, dass alles aufklärerische Bemühen die Welt auch nicht friedlicher gemacht hat. Zudem erleben wir, wie wir immer tiefer in die Gefangenschaft des Materialismus geraten, und dass der freie Markt einengt und versklavt. Wie tief die gegenwärtig viel beschworene Sehnsucht nach dem Religiösen ist, weiss ich nicht. Aber es wird kein Schade sein, auf dem Weg in die Zukunft auch das alte religiöse Gewand mitzunehmen und überzulegen. Dazu ermuntern wir. Es wärmt und schützt.

Zugleich erlebe ich eine seltsame Angst vieler Menschen, auch in unseren Gemeinden, vor dem Wort fromm. Als sei es etwas Anrüchiges, ein frommer Mensch zu sein. Da stecken sicher ungute Erfahrungen mit schiefen Frömmeleien dahinter. Man verwechsle das nicht. Wir haben mit der Zeit zu gehen, die Gegenwart hochernst zu nehmen. Zeitungslektüre und Bibellektüre gehören zusammen, und zwar täglich. Ein frommer Mensch schaltet seinen Verstand nicht aus, aber sein Herz und seine Seele eben schon gar nicht. Wer auf dem Gang durch die Zeit sich von der Ewigkeit begleitet weiss, wird einen festen Schritt haben und zu klarerem Urteil fähig sein und Ziele zu benennen wissen.

Das geschieht nicht automatisch. Bibelsprüche sind keine Zaubersprüche. Sie müssen durch uns gehen und in uns leben, in unserem Herzen und unserem Verstand von uns bewegt werden und miteinander geteilt werden. Information und Vergewisserung, Meinung und Wahrheit müssen in uns in Wettstreit treten, Geistiges und Geistliches begegnen sich dann. Erst solche Begegnung macht uns fähig und mutig, unseren eigenen Lebensstil und unsere Gewohnheiten zu überprüfen und getrost zu ändern, wenn nötig.

Es ist eine gute Tradition, den Tag mit der Bibellese zu beginnen, nach den Herrnhuter Losungsbüchlein oder einem anderen Bibel-Anleiter. Ich jedenfalls möchte und werde darauf nicht verzichten.

So ist es schon verwunderlich, wie eine Gesellschaft, die sich so religiös geriert wie die amerikanische, so scheinbar widerstandslos auf die Anzettelung eines Krieges zugleitet; doch wir wissen, dass die Kirchen dort anders votieren, da die biblische Botschaft eben ein Hemmschuh für jedes kriegerische Ansinnen ist und bleibt. Die Kirchen in Deutschland und ganz Europa, auch der Vatikan plädieren eindeutig dafür, alles für den Frieden zu tun und einen Krieg zu vermeiden.

"Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!" Zu Weihnachten haben wir es gerade wieder erlebt, welche Sinn stiftende Wirkung nur eine einzige biblische Geschichte haben kann, siebzehn Sätze des Lukas. Die Bibel hat Hunderte solcher Geschichten und Tausende guter Bibelsprüche.

Im Jahr der Bibel werden wir viele von ihnen in das öffentliche Bewusstsein zurückbringen. Jona und Noah, Mose und Jesus, der barmherzige Samariter und die Arbeiter im Weinberg, Johannes der Täufer oder Amos beispielsweise - zu wissen, was sich hinter diesen Namen verbirgt, ist kein Zeichen von Weltfremdheit, sondern von Verantwortung angesichts der sozialen Konflikte der Welt. Natürlich ist die Bibel nicht überall eine unterhaltsame Lektüre, aber sie gibt Halt. Mal bremst sie, mal beschleunigt sie unser Leben.

Ungewöhnliche Erzählungen voller Wunder, Sünden und Tröstungen sind in der Bibel zu finden. Wir brauchen diese Erzählungen für unser Leben, viel mehr als wir denken. Wir sollen und können sie reiben, bis sie zu duften beginnen, wie Luther sagt.

Im Jahr der Bibel wollen die Kirchen sich erneut ihrer ältesten Aufgabe verstärkt widmen: das Wort Gottes weiterzusagen.

Autorin: Maria Jepsen

Datum: 05.01.2003
Quelle: ARD

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