Machet die Tore weit

Türe

"Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch": das wird heute, am 1. Advent, in vielen Gottesdiensten gesungen.

Zum 1. Advent gehört eine Geschichte. "Ein König kommt in die Stadt!", hat es geheissen. Und so stehen die Menschen an der Strasse Spalier und schwenken Palmzweige. Einige haben ihre Mäntel auf der Strasse ausgebreitet wie einen roten Teppich beim Staatsbesuch. Die Kinder drängeln nach vorne, um besser sehen zu können. Dann lautes Geschrei: "Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen Gottes!" Hosianna heisst nicht Hurra, sondern: "Herr, hilf uns doch!" So bittet man einen König um Hilfe oder - Gott selbst.

Haben denn die Menschen keine Augen im Kopf? Da kommt ein ganz gewöhnliches Eselchen angetrippelt; auf seinem Rücken ein junger Mann in einfachen Kleidern. Ein König? Nicht mal ein Prinz! Was finden die Menschen nur an ihm!?

So ist Jesus in die Stadt Jerusalem eingezogen. Und die Frage ist bis heute nicht verstummt: Was finden wir an ihm? Er ist so anders als wir: er kommt ohne Titel, ohne Bankkonto und ohne Macht aus. Den 'Mantel der Geschichte' haben ihm andere umgehängt, nicht er selbst. In Sandalen ist er über die Erde gegangen, und ein festes Haus hat er nicht gehabt. Er brachte nichts mit als sich selbst. Ein Mensch. Aber in seinen Worten und seinem Wesen war die Heiligkeit Gottes, zum Greifen nah.

Schon seine besten Freunde haben so viel Einfachheit und Leichtigkeit nicht ausgehalten. Später hat man ihn auf Goldgrund in die Kuppeln der Kirchen gemalt und hat ihm die Zeichen weltlicher Macht in die Hand gedrückt. Und wir halten diese Leichtigkeit und Einfachheit auch nicht aus: wir machen prunkvolles Gewese um den Advent und hetzen schwerbeladen durch die Strassen, als gäbe es das Paradies zu kaufen, wenigstens für Kinder. Und ahnen doch: das ist es nicht. Nicht wirklich.

Jesus braucht weder die Verkleidungen der Macht noch den schönen Schein. Er ist auf seine Weise ein König, ein Mensch unseres Vertrauens. Wir ahnen: so wie er müssten wir sein. Einfach und grenzenlos Menschen. Dann könnte einer wie er auch heute in Jerusalem einreiten, und er würde nicht zwischen Steine und Schüsse geraten. Dann könnte einer nachts auf der Strasse sein, und niemand würde ihn jagen, nur weil er schwarz ist. Dann könnte er ein Kind sein – und niemand würde dieses Kind an Leib und Seele verletzen. Dann wäre der Name "Gott" gross und hoch gelobt.

Kein Kriegsgott. Kein Fürchtegott. Kein Rachegott. Alle die Götterbilder, mit denen Menschen sich selbst wichtig machen wollen und anderen Angst einjagen: wir brauchen sie nicht mehr, wenn dieser eine kommt - und in unserer Mitte wohnt.

Darum ist es gut, dass er jedes Jahr neu im Advent in unsere Welt einzieht. Damit wir nicht vergessen, wem unsere Sehnsucht gilt.

Autor: Oda-Gebbine Holze Stäblein
Quelle: ARD

Datum: 01.12.2002

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