Zeit und Ewigkeit

Zeit richtig

November. Die Jahresuhr läuft ab. Die Zeit läuft und ich muss Schritt halten. Am Morgen schon der Wecker im Ohr: "Steh auf, es ist spät," Bis zum Abend das Ticken im Kopf: "Lauf, beeil dich." 24 Stunden gehören mir Tag und Nacht. Und dennoch sage ich: "Ich habe keine Zeit". Will Zeit gutmachen. Denke bei einer Arbeit schon an die Nächste. Tue vieles auf einmal. Doch immer bleibt zu wenig Zeit. Wer älter wird, sagt: Die Uhr tickt schneller. Der Zeiger rast. Und die Angst sitzt im Nacken: Mein Lebenslauf könnte zu früh zu Ende sein

Könnte ich doch fliehen vor dem Zeit-Zeiger. Ihn stehen machen. Mich flüchten zu etwas Beständigem. So wie der Mensch im 90. Psalm:

Gott, du bist unsere Zuflucht für und für Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, Der du die Menschen lässest sterben und sprichst' kommt wieder, Menschenkinder!

Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.

Unser Leben währet siebzig Jahre und wenns hoch kommt, so sinds achtzig, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe, denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Könnte ich doch so klug sein. Erkennen, dass ich sterben muss und ohne Angst sagen: Die Uhr läuft ab, vielleicht morgen schon. Die Jahre fliegen davon. Und doch ist es mein Leben. Meine Zeit. Ich kann sie anhalten. Einen Punkt setzen. Den Zeitpunkt finden für Besuche, Briefe, Bücher. Rechtzeitig einen Blick, ein Wort, einen Händedruck austauschen. Wo immer ich zu mir komme oder zu anderen, da lebe ich nicht nach der Uhr. In einem Kuss, einer durchliebten oder durchweinten Nacht: da steht die Zeit still.

Auf den inneren Rhythmus hören und nicht auf das Ticktack: das ist ein Hauch von Ewigkeit. Der Atem Gottes im Nacken. Für ihn sind tausend Jahre wie ein Tag und eine Nacht. Mein Leben ein paar Stunden. Für einen "Tick" nur entlässt mich Gott aus seinen Armen und bei "Tack" sagt er schon: komm wieder, Menschenkind. Wie kurz oder lang mein Leben scheinen mag: Ich bin ewig geborgen und gehalten - jede Stunde, Minute, Sekunde.

Autorin: Mechthild Werner

Datum: 17.11.2002
Quelle: ARD

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