Erziehung

Family

"Wir müssen unsere Kinder mehr erziehen und ihnen Werte vermitteln. Fleiss, Pflichtbewusstsein, Anstand." So wurden meine Grosseltern erzogen: Pflichtbewusst und nur nicht aufgemuckt. Natürlich freue ich mich auch, wenn mein Sohn fleissig ist oder junge Leute anständig grüssen. Aber kann das alles sein?

Und wenn uns diese Tugenden schon so wertvoll sind, dann leben wir sie doch wenigstens vor. Machen Politik, die "anständig" mit Geld und Macht umgeht. Arbeiten "fleissig" an der kinderfreundlichen Gesellschaft, nicht nur an mehr Kindergeld und Krippenplätzen sondern vielmehr daran, dass es nicht mehr so häufig heisst: "Geh mir weg mit Kindern" - die kosten nur Geld, Nerven und Zeit.

Und das stimmt ja auch. Es ist schwer, mit Kindern zu leben. Werte vorzuleben jenseits von Konsum- und Konkurrenzdenken. Wer zeigt ihnen, dass Leben mehr ist als "Alles Haben müssen2 und "Was werden müssen" und "Notfalls über Leichen gehen." Wir sind da nicht immer Vorbild. Es ist schwer zu sagen: "Werdet wie die Erwachsenen."

Wie wär's wenn wir den Erziehungsmassstab umdrehen und sagen: "Werdet wie die Kinder"? Wie Jesus in der bekannten Szene: Erwachsene drängen sich um ihn, Kinder drängeln sich vor, nerven. "Geht weg" rufen die Jünger, aber Jesus ruft: "Kommt her." Das heisst, sie gehören dazu, müssen nicht erst anständige Menschen werden, sie sind es schon. Und so stellt er sie hin, als Massstab: "Werdet wie die Kinder, denn ihnen gehört das Himmelreich."

An meinem Sohn erahne ich, was das heissen könnte. Mit himmlischem Vertrauen gibt er sich dem Leben hin, Menschen, Tieren, Pflanzen. Beobachtet, erforscht, erfragt. Fleissig und eifrig. Übernimmt kleine Pflichten, oder auch nicht. "Nein" sagt er. "Warum muss ich das machen? Warum tust du das Papa? Warum hast du keine Zeit Mama?" Nervig diese Fragerei, aber wichtig. Er hinterfragt unser Leben, was es lebenswert macht. Was es noch gibt ausser Pflicht und Arbeit. Stundenlang spielt er mit einem Stock - sagt: "Schau wie schön..." Nicht viel haben müssen, nichts weiter sein wollen. Da-sein. Menschsein.

Dafür machen Manager Kreativkurse - lernen, dass Faulheit, auch ein Wert ist, dass es auch die Pflicht gibt. Nein zu sagen - dabei könnten sie, könnten wir das von Kindern lernen, wenn wir mehr Zeit füreinander hätten. Erziehung heisst miteinander leben und voneinander lernen. Und das bleibt ein Balanceakt aus Pflicht und Kür, Grenzen und Freiheiten.

Autorin: Mechthild Werner

Datum: 10.11.2002
Quelle: ARD

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