Diakonie

Menschen dienen ohne Wenn und Aber

In der neutestamentlichen Geschichte, welche die Heilung von zehn Aussätzigen beschreibt, finden sich die wesentlichen Eckwerte, welche eine zeitgemässe Diakonie von Landes- und Freikirchen bestimmen. Paul Kleiner, Rektor des Theologisch-Diakonischen Seminars Aarau (TDS), hat sie beschrieben:
Pfr. Dr. Paul Kleiner
«Diskussion im Fischglas» mit Hans Corrodi, Paul Kleiner, Ursula Käufeler, Alfred Aeppli, Claudia Bandixen und Rémy Beusch.

1. Grenzen überschreiten

Die Szene mit der Heilung von zehn Aussätzigen ereignet sich im Grenzgebiet zwischen Samaria und Judäa. Jesus ist ein Grenzgänger. Er scheut sich nicht die Grenze zu überschreiten: Zum Fremden, Unbekannten, Verachteten, gar Feindlichen. Zur diakonischen Kompetenz gehört es Grenzen zu überschreiten.

2. Wahrnehmen

Als Jesus sich in diesem Grenzgebiet bewegte und eben in ein Dorf hineinging, sah er plötzlich in der Entfernung zehn Männer: Aussätzige! Vielleicht hörte er sie auch zuerst, denn sie riefen laut aus der Distanz. Zur diakonischen Kompetenz gehört es die Welt um uns herum wahrzunehmen und sie korrekt zu analysieren.

3. Bewegt werden

Zur diakonischen Kompetenz gehört das Erbarmen. Das ist eine bestimmte Beschaffenheit des Herzen. «Diakonie ist zuerst eine innere Einstellung, die aus der Zuwendung Gottes kommt.» Gottes unverdiente Zuwendung in Jesus Christus – das Evangelium – macht die Gemeinde Gottes zu einer Gemeinschaft der Barmherzigkeit.

4. Betroffene beteiligen

Jesus führt die zehn Männer dazu sich an ihrer Heilung zu beteiligen, indem sie die Reise nach Jerusalem unternehmen mussten. Zur diakonischen Kompetenz gehört, dass Betroffene sich beteiligen können. Zu oft verkehrt sich ein Dienst an andern in deren paternalistische Bevormundung oder Entmündigung.

5. Systemisch denken

Als Jesus die zehn Aussätzigen zu den Priestern sandte, leitete er nicht nur ihre körperliche Heilung ein, vielmehr sollte sich ihr ganzes soziales Leben grundlegend wandeln. Die kranken Männer waren ausgeschlossen von Familienfesten und Gottesdiensten, ausgeschlossen von normalen Arbeitsverhältnissen und den üblichen Wohnorten im Dorf oder Quartier. Jesu Dienst befreite die Zehn aus ihrer sozialen Exklusion hin zur gesellschaftlichen (Re-)Integration.

6. Dienst umfassend verstehen

Zur diakonischen Kompetenz gehört Gerechtigkeit, Heil, Hilfe oder Wiederherstellung umfassend zu verstehen: Heil für den Körper, für das Selbstbild, für die Beziehungen zu andern Menschen, für die Beziehung zu Gott. Alles hängt miteinander zusammen, auch wenn in konkreten Situationen das eine oder andere im Vordergrund steht.

7. Bedingungslos handeln

Zu diakonischer Kompetenz gehört es bedingungslos zu handeln. Gerade weil sie das Heil umfassend versteht, teilt sie es bedingungslos mit allen – und wer nur einen Teil davon will, erhält diesen Teil, ohne Vorbehalte und ohne Wenn und Aber.

8. Befreien

Jesus´ heilsame Zuwendung zum aussätzigen Samaritaner mündet in den Satz: «Steh auf und geh!» (Die Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 17, Vers 19). Jesu Dienst führt zum aufrechten Gang! Das gehört auch zur diakonischen Kompetenz und ebenso zur lebendigen Gemeinde: Menschen erfahren in dieser Gemeinschaft, dass sie wertvoll sind. Dass sie mit erhobenem Haupt vor sich, andere und Gott treten können, trotz Versagen und Begrenzungen, trotz einer belasteten Geschichte, einer einsamen Gegenwart und einer ungewissen Zukunft. Dass sie gehen, sich bewegen, vorwärts schreiten durchs Leben und nicht an Ort treten müssen. Dass sie gehen können: in der Nachfolge Jesu Christi. Hin zu anderen Menschen mit der heilsamen Zuwendung, die sie selber erfahren haben.

Modelle

Wie solche Diakonie in der Praxis konkret aussehen kann, zeigten die Münsinger Sozialdiakonin Ursula Käufeler sowie Rémy Beusch, Sozialdiakon in Rothrist, mit Berichten über aktuelle Arbeiten in ihren Gemeinden.

Feinfühlig begleitet und untermalt wurde die Tagung durch den bekannten Musiker und Sozialdiakon Markus Dolder. Er brachte das Thema der Tagung in einem Song aus seiner aktuellen CD «I syr Gägewart» in eigenen Worten auf den Punkt: «Mir si syni Gschöpf, verbunde mit Chrischtus Jesus, gmacht für gueti Tate...»

Eröffnet wurde die Tagung durch die Präsidentin des Kirchenrates der Reformierten Landeskirche Aargau, Pfrn. Claudia Bandixen. Sie schloss mit einer «Diskussion im Fischglas», an der Pfr. Dr. Alfred Aeppli, Präsident des Landeskirchen-Forums mit den Referierenden der Tagung das Thema weiter entwickelte.

Zum Thema:
Der vollständige Vortrag von Dr. Paul Kleiner
Berichte zur Tagung auf der Website des Landeskirchen-Forums
Interview mit Dr. Paul Kleiner über moderne Diakonie und weiterer Bericht zur Tagung

Datum: 11.05.2011
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung