Giuseppe Gracia mit seinem Buch «Die Utopia Methode» (Bild: Livenet / Fontis)
«Die Utopia Methode», das neue Buch des
Kommunikationsberaters Giuseppe Gracia, betrachtet den neuen «Kulturkampf gegen
Freiheit und Christentum». Leider bleibt es deutlich hinter seinen
Möglichkeiten zurück.
Ich freue mich, dass Giuseppe Gracia mich wertschätzt.
Das versichert er mir ganz vorne in seinem Buch, indem er klarstellt, dass er
nicht gegen Menschen mit anderer Meinung ist, «unabhängig von den
Überzeugungen, die uns trennen mögen». Tatsächlich teile ich viele seiner
Ansichten und einige seiner Schlussfolgerungen, begrüsse einen freundlich
geprägten Diskurs darüber, trauere aber, weil «Die Utopia Methode» meiner
Meinung nach mehr Chancen liegenlässt als nutzt.
Polarisierung durch Schlagworte
Wer den Livenet-Talk ansieht,
in dem Reinhold Scharnowski Giuseppe Gracia interviewt, begegnet einem
wortgewandten und durchaus differenziert argumentierenden Autor, der sich deutlich
gegen schwurbelige Verschwörungsmythen abgrenzt. Trotzdem spielt Gracia auf
derselben Klaviatur, wenn er durchs ganze Buch hindurch negativ aufgeladene
Begriffe für Menschen verwendet, die anders denken als er selbst. Das sind dann
«Social-Media-Mobs», «Gesinnungspolizei», «journalistische Kulturkämpfer 2.0»,
«Linksgrüne» oder Anhänger des «Gendermainstreaming».
Diese Begriffe mögen bei
vielen Leserinnen und Lesern auf Zustimmung stossen («Endlich sagt es mal
jemand!»), werden dem breiten und unterschiedlichen Denken dieser Menschen aber
nicht gerecht. Gerade im Interview kommen diese Zwischentöne bei Gracia auch
immer wieder zum Vorschein. Sehr gut! Im Buch wird dagegen eher
holzschnittartig ein linksgrün-antichristliches Feindbild gemalt. Schade! Diese
Polarisierung ist unnötig und erschwert es massiv, die guten Ansätze des Buches
in einer anderen als der eigenen Denkumgebung zu diskutieren.
Gute Themen, einseitig betrachtet
Ob «der Vormarsch der Gendersprache… die
Errungenschaften der Aufklärung in Gefahr» bringt, kann man diskutieren. Doch
die Vehemenz, mit der sich Christen bei diesem Thema zu Wort melden, weil sie
sich und ihre Werte durch einen * angegriffen fühlen, ist immer wieder
erstaunlich.
Sie wirkt allerdings oft etwas bemüht – so wie die «biblische
Begründung», mit der Frauen in der Schweiz bis ins Jahr 1971 das Wahlrecht
verweigert wurde oder nach der Frauen in Deutschland bis 1958 ohne Genehmigung
ihres Mannes kein eigenes Konto eröffnen durften. Wie wird man wohl in 50
Jahren über Genderfragen reden? Hoffentlich werden sich Einseitigkeiten und
Peinlichkeiten beider Seiten relativiert haben und es gibt einen praktikablen
Umgang mit dem Thema.
Gracia vertritt in dieser wie in anderen Fragen einen
konservativen Standpunkt – er sei ihm zugestanden. Schade ist, dass er trotz
des intellektuellen Anspruchs, den er erhebt, dabei positive Ansätze der
Gegenseite unter den Tisch fallen lässt. Das betrifft nicht nur die
Genderfrage. Wenn er herausstellt, dass die Menschenrechte jüdisch-christliche
Wurzeln haben, dann hat er völlig recht. Ohne ein biblisches Menschenbild wären
sie nicht möglich gewesen. Leider tut Gracia dann im Verlauf seiner
Argumentation dasselbe wie Humanisten, die diesen jüdisch-christlichen Anteil
leugnen: Er leugnet seinerseits den positiven Beitrag, den Humanisten – teils
gegen den erbitterten Widerstand von Christen – zur Umsetzung der
Menschenrechte hatten und haben. Dafür wäre auch innerhalb der nur 96 Seiten
des Buches Platz gewesen. Es hätte die Darstellung bereichert.
Raus aus der Opferrhetorik
Grosse Teile des Buches entwickeln ein düsteres
Zukunftsbild: Das Ende des Rechtsstaates scheint eingeläutet, die Medien sind
auf dem Weg in die Gleichschaltung und Moral oder gar ein Fragen nach Gottes
Massstäben scheint keine Rolle mehr zu spielen. Wohltuenderweise verweigert
sich Gracia hier der üblichen Opferrhetorik, dem anschliessenden «…aber das
darf man heute ja nicht mehr sagen!»
In seinen Schuldzuweisungen ist er eindeutig:
Linksgrünes Denken führt die Welt in den Abgrund – da hilft es auch nicht viel,
wenn er seine Gegenspieler im Interview lächelnd als «lefties» bezeichnet. Dass
Konservatismus und eine überstarke Freiheit des Einzelnen zu ähnlichen
Schwierigkeiten führen könnten, blendet er aus.
Doch sein Fazit ist bedenkenswert: «Auf einer
pragmatischen Ebene – jenseits solcher Überlegungen rund um Christentum,
Familie oder Freiheit – wäre es in der aktuellen Situation bereits sehr
hilfreich, wenn wir junge Menschen wieder bekannt machen könnten mit einem
bodenständigen Sinn für Realität.» Deshalb ruft Gracia auf zum Mitdenken,
Mitreden und Mitgestalten. Hätte er dies zum Zentrum seines Buches gemacht und
nicht zum Nachsatz, würde es weniger polarisieren und stärker aktivieren.