Journalismus heute

Es gibt eine falsche Neutralität

Haben Sie sich auch schon darüber geärgert, dass in den meisten Medien zu einer guten Idee oder Meinung grundsätzlich immer noch die gegnerische Position abgefragt wird? Ein Medienwissenschafter hat dies jetzt zu Recht hinterfragt.
Bernhard Pörksen bei der Eröffnung der 16. Tübinger Mediendozentur (Bild: Wikipedia)

Dem abtretenden Präsidenten Donald Trump werden während seiner Amtszeit rund 5600 Lügen vorgehalten. Die meisten wurden von den Medien aufgesogen und weiterverbreitet. Mit Folgen. Am meisten sichtbare Folgen hatte die ständig wiederholte Lüge von der Wahlfälschung. Ein durch diese Behauptung aufgewiegelter Mob stürmte das Kapitol. Die Parlamentarier mussten fliehen. Der Vorfall führte insbesondere den Sozialen Medien vor Augen, dass die Toleranz gegenüber Behauptungen und Unwahrheiten Folgen hat. Facebook und Twitter haben die Konten des Noch-Präsidenten gesperrt. Andere Medien haben zunehmend darauf verzichtet, die Behauptungen Trumps zu wiederholen, auch wenn dies höhere Auflagen oder Klickzahlen generiert.

Die «Ursünde des Journalismus»

Schon vorher hat der Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen die Medien aufgefordert, sich Gedanken über die Tugend der Ausgewogenheit zu machen. Diese besteht darin, dreiste Behauptungen weiter zu verbreiten, aber dazu eine Gegenstimme zu bringen und es somit dem Medienkonsumenten freizustellen, für welche Position er sich entscheidet. Dies gilt zumindest für seriöse Medien. Pörksen wirft gewissen Medien jedoch eine «klammheimliche Faszination für die Provokation, die die Quoten in die Höhe treibt» vor. Er sieht darin eine «Ursünde des Journalismus», «hat man doch im Versuch der Entlarvung ein Nonsens-Thema aus den Schmuddelecken des Netzes von der Peripherie ins Zentrum hineinbefördert und überhaupt erst zum Aufreger hochgejazzt», wie er im Fachmagazin «Schweizer Journalist» 4/20 ausführt. Er befürchtet, dass dadurch die Informationskanäle «verseucht und verschmutzt» werden.

Die Wahrheit suchen

Er fordert den Journalismus jetzt auf, wieder vermehrt die Faktentreue und die Wahrheit zu fördern. Durchaus im Bewusstsein, dass Objektivität nicht wirklich zu erreichen ist. Journalistinnen sollten aber vermehrt Fakten und Meinungen unterscheiden und sich die Mühe machen, Unwahrheiten zu demaskieren und zu widerlegen. Sie sollten sich auf den «Weg zu einer engagierten, kämpferischen Objektivität machen. Klimaleugnern zum Beispiel soll mit Fakten zur Klimaveränderung entgegengehalten werden. Die bekannten journalistischen Formen wie Meldung, Kommentar etc. sollten durch den Enthüllungsbericht ergänzt werden, der Verschwörungstheorien und ideologisch motivierte Theorien aufdeckt.

Pörksen und die christlichen Medien

Eine solche Praxis würde auch die Unsitte beseitigen, dass neuen Ideen grundsätzlich die Meinung einer Partei gegenbergestellt wird, die zu allem Neuen grundsätzlich Nein sagt. Wichtiger wären differenzierte Stellungnahmen von kompetenten Leuten aus Wissenschaft, Kultur und Politik. Sie würde damit für das Publikum interessanter und glaubwürdiger.

Die Medienarbeit christlich orientierter Werke kann sich aber ebenfalls von Pörksen inspirieren lassen. Sie ist gut beraten, auch bei schönen Geschichten, welche den Glauben unterstützen, kritisch nach der Quelle zu fragen oder auch mal den Faktencheck zu machen. Sie kann damit dem Vorwurf begegnen, auf ihre Weise ideologisch zu arbeiten. Sie gewinnt mit einer Grundskepsis gegenüber allzu schönen Meldungen aber an Glaubwürdigkeit.

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Datum: 19.01.2021
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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