50 Jahre OEM Schweiz

«Blinde» Beamte und verzweifelte Betagte

Elsbeth und Eelco de Boer aus Bäretswil (ZH), Leiter des Hilfswerks «Osteuropa Mission Schweiz», können nach 50 Jahren im ehrenamtlichen Dienst so manche Anekdote erzählen. Im Interview berichten sie unter anderem von riskanten Transporten.
Mann packt Geschenke ins Auto (Bild: Facebook)
Eelco und Elsbeth de Boer
Corona-Lebensmittelhilfe

Eelco de Boer, die Osteuropa Mission besteht seit 50 Jahren, auf welche Höhepunkte blicken Sie zurück?
Eelco de Boer:
Die Arbeit der OEM Schweiz begann schon im Jahr 1969, jedoch stehen meine Frau Elsbeth und ich seit 50 Jahren im Dienst der Osteuropa Mission. Höhepunkte gab es manche, einer der grössten war sicher der Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 und die damit verbundene Öffnung der Grenzen zu Osteuropa. Zuvor war es ein gefährliches Unterfangen, in diese Länder zu reisen. Wir hatten seit den 70er-Jahren in der Schweiz sowie an den Grenzen zu Osteuropa mehrere Standorte mit speziell präparierten Fahrzeugen, womit wir grosse Mengen an Bibeln, Kinderliteratur und so weiter in die Ostländer bringen konnten. Das funktionierte während Jahren gut, doch gab es auch heikle Situationen.

Erinnern Sie sich an ein gefährliches Erlebnis?
Einmal gerieten Elsbeth und ich in der ehemaligen CSSR in eine Militärkontrolle, als wir gerade dabei waren, unsere «Fracht» im PW für die Übergabe bereitzustellen. Es gelang uns noch, unsere Jacken über die restlichen Bibeln auf dem Rücksitz zu werfen, bevor wir uns von Soldaten mit Kalaschnikows im Anschlag umzingelt sahen. Für die Durchsuchung musste ein höherer Beamter aufgeboten werden, der lange auf sich warten liess. Nach aussen gaben wir uns gelassen, doch innerlich schrien wir zu Gott um Bewahrung und «Blindheit» für diese Durchsuchung. Als der Beamte endlich eintraf, hatte er seinen Auftrag vergessen. Er sprach uns freundlich an und ohne unser Fahrzeug zu kontrollieren, wünschte er uns eine gute Weiterreise!

Wie ist die Osteuropa Mission in den Zielländern organisiert?
Die OEM verfügt über ein gut funktionierendes Netzwerk aus einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie führen und betreuen unsere Projekte mit viel Herzblut. Nach und nach hat die OEM in den Zielländern staatlich anerkannte Stiftungen gegründet, was uns ermöglicht, frei und unabhängig zu arbeiten, öffentliche Einrichtungen zu besuchen und Direkthilfe zu leisten. Die OEM arbeitet in Osteuropa eng mit Pastoren und Diakonen lokaler Kirchen zusammen. Diese besuchen und versorgen die Familien regelmässig und überbringen auch die Beiträge für die Patenkinder.

So erfahren wir direkt, wo den Menschen der Schuh drückt und in welchen Bereichen Bedarf besteht. Es ist uns wichtig, nachhaltige Hilfe zu leisten. Zu unseren Projekten zählen die Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Kleidern, Schuhen und Brennholz im Winter. Unsere Teams renovieren auch Häuser, installieren Öfen und sanitäre Einrichtungen. Dazu leisten sie Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie den Familien Nutztiere oder Gemüsesaatgut abgeben. Für die Kinder und Jugendliche finden im Sommer Camps statt, auf die sie sich das ganze Jahr über freuen.

Corona trifft auch Ihre Einsatzgebiete. Welchen Unterschied kann die Osteuropa Mission bewirken?
Viele Familien waren aufgrund des Lockdowns von der Versorgung abgeschnitten. Unsere Mitarbeitenden sind mobil. Sie haben ihre Hilfsaktivitäten fortgesetzt und den Notleidenden in Stadt und Land unter Einhaltung der Schutzmassnahmen Lebensmittelpakete vorbeigebracht. Oftmals kamen sie gerade rechtzeitig, fanden hungernde Kinder und leere Kühlschränke vor.

Was berichten Ihre Mitarbeitenden über die aktuelle Lage?
Die Krise dauert an und führt vor allem in der Ukraine zu Familiendramen. Entmutigte Väter, die ihre Arbeit verloren haben, können ihre Familien nicht mehr ernähren und begehen Verzweiflungstaten. Ebenso sehen zahlreiche betagte Menschen keine Hoffnung mehr und setzen ihrem Leben ein Ende. Unterdessen sind auch viele arbeitslose Menschen obdachlos geworden. Etwa in der ukrainischen Stadt Mukatschewo. Unsere Pastoren haben dort Sonderteams zusammengestellt. Sie suchen die Notleidenden in den Strassen auf und versorgen sie mit warmen Mahlzeiten.

Unter anderem sind Sie im Gigant Russland tätig – was tut die Osteuropa Mission dort?
Wir unterstützen dort Pastoren in ihrer vielfältigen Tätigkeit. Wir haben in der Ukraine Mitarbeiter, die direkt an der Grenze leben und in regelmässigem Kontakt mit Pastoren und Diakonen in Russland stehen. Das Land hat jedoch völlig dicht gemacht, es herrscht die totale Kontrolle. Es kommt kein Ausländer mehr hinein. Alles, was nach Ausland aussieht, ist verdächtig. Es reicht schon mit einem westlichen Kugelschreiber erwischt zu werden, um als Spion abgestempelt und schlimmstenfalls inhaftiert zu werden. Auch die Banken sind betroffen und Geldüberweisungen nicht möglich.

Was können wir von den Christen in den Projektländern generell lernen?
Wir können uns ihre Liebe zu Jesus zum Vorbild nehmen. Sie sind täglich angewiesen auf die Führung und Versorgung von Gott und wissen sich von ihm abhängig. Ihr Glaube ist durch etliche, schwierige Erfahrungen, aber auch schöne Erlebnisse gereift und stark. Sie vertrauen Gott in allen Dingen. Dadurch erleben Sie viele Gebetserhörungen und Wunder.

Zur Osteuropa Mission Schweiz

Ziel der Osteuropa Mission ist, den christlichen Auftrag und Samariterdienst in Osteuropa und weltweit (Ungarn, Rumänien, Albanien, Kosovo, Serbien, Ukraine, Georgien, Russland und China) zu erfüllen. Erfahrene lokale Mitarbeitende bringen Armen, Bedürftigen und Verfolgten nachhaltige Hilfe und Hoffnung. Auch durch Hilfe zur Selbsthilfe schaffen wir Menschen die Möglichkeit, ein würdiges, selbständiges Leben zu führen.

Zur Webseite:
Osteuropa Mission Schweiz

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Datum: 21.09.2020
Autor: Manuela Herzog / Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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