Frankreich kennt den „Kopftuchstreit“ seit Jahrzehnten

Islam
KopftuchA

Der „Kopftuchstreit“ in Frankreich dauert schon über 14 Jahre. Bereits 1989 musste sich der Staatsrat, das oberste Rechtsorgan des Landes, mit der Frage befassen, ob das Tragen des „islamischen Schleiers“, wie die französische Bezeichnung lautet, für Schülerinnen zulässig ist.

Das Urteil fiel damals interpretationsfähig aus: Zulässig sei, was nicht diskriminiere, nicht den Unterricht störe und nicht „aufdringlich“ getragen werde.

Diese Position bestimmt – nach wechselnden Regierungserlassen – noch heute im Grundsatz das französische Unterrichtswesen. So kommt es regelmässig zum Streit darüber, was zulässig sei und was nicht. Derzeit entscheiden die Schulen selbst darüber, was sie akzeptieren. Es ist schon vorgekommen, dass ganze Lehrerkollegien in Streik traten, weil die Schulleitung Schülerinnen das Tragen des Kopftuchs gestatten wollte. Und Frankreichs Regierung hat – schon vor fast zehn Jahren – eine Vermittlerin eingesetzt, die in Streitfällen vermitteln soll. Klar ist aber: Undenkbar wäre in Frankreich, dass Staatsanwältinnen oder Lehrerinnen mit dem islamischen Kopftuch auftreten.

Für kurze Zeit war das Tragen des Schleiers in Frankreich sogar ganz verboten. Der Erlass aus dem Jahr 1994 wurde jedoch vom Staatsrat gekippt, der 1996 seine Position von 1989 bekräftigte. Die seit Frühsommer 2002 amtierende bürgerliche Regierung hat sich noch nicht endgültig dazu geäussert, ob ein neues Gesetz nun abermals das Kopftuchtragen verbieten soll. Derzeit berät eine Expertenkommission über den Grundsatz der „Laizität“, die Trennung von Kirche und Staat.

Kopftuch und Schleier

Das Kopftuch im Unterricht ist dabei nur eines der Themen. Innenminister Nicolas Sarkozy erinnerte zudem erst kürzlich bei einer Rede vor Muslimen daran, dass etwa für Passbilder nur barhäuptig posiert werden darf. Peinlich nur, dass eine Satire-Zeitschrift prompt enthüllte, Präsidenten-Gattin Bernadette Chirac habe sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass eine katholische Ordensfrau ein sie verschleiert zeigendes Passbild verwenden durfte.

Hintergrund der französischen Diskussion ist die seit 1905 verankerte Trennung von Kirche und Staat. Über alle Parteigrenzen hinweg herrscht Einigkeit, dass Religion Privatsache ist und Politik und öffentliches Leben davon unberührt zu sein haben. Die Trennung von Kirche und Staat ist in Frankreich weitaus ausgeprägter als in Deutschland (oder der Schweiz –Red.). Es gibt praktisch keinen Politiker, der sich ausdrücklich auf christliche Werte berufen würde. Statt ihrer werden die seit der Französischen Revolution von 1789 hochgehaltenen „republikanischen Werte“ als Grundlage des französischen Gemeinwesens bemüht. Einzige Ausnahme ist der rechtsextreme „Front National“-Chef Jean-Marie Le Pen, dessen Anhängerschaft zum Teil in traditionalistischen Kreisen des französischen Katholizismus zu finden ist.

Religion im gesellschaftlichen Selbstverständnis

Der französische Kopftuchstreit ist damit nur eine Facette einer viel breiteren Auseinandersetzung. Dazu gehört auch, dass Pariser Regierungen – egal welcher Couleur – sich etwa auf EU-Ebene dagegen wenden, einen Gottesbezug in eine künftige europäische Verfassung einzufügen oder sich sträuben, dass vatikanische Euro-Münzen mit dem Bildnis des Papstes, einem Kirchenoberhaupt, geschmückt sind.

Der Islam bildet mit geschätzten fünf Millionen Gläubigen nach den Katholiken und weit vor Protestanten, Orthodoxen und Juden die zweitgrösste Religionsgemeinschaft in Frankreich. Ein neuer Islamrat soll Streitigkeiten schlichten helfen. Dazu gehören immer wieder Auseinandersetzungen über den Bau von Moscheen, muslimische Bestattungsriten oder das Schächten beim islamischen Opferfest. Jüngst erregte der Vorstoss eines französischen Bürgermeisters Aufsehen, der einem Innenstadt-Supermarkt drohte, weil dort weder Schweinefleisch noch Alkohol mehr verkauft wurden, seit Muslime die Geschäftsführung übernahmen. Der Kopftuchstreit ist deshalb nur ein Baustein in den Beziehungen zwischen Behörden und Muslimen.

Stichwort: Kopftuch

Das Kopftuch von Musliminnen gehört zu den meist diskutierten Symbolen islamischen Glaubens. Für die einen ist es Zeichen der Unterdrückung der Frau; für die anderen ist es Ausdruck der Religionsfreiheit. Das Schweizer Bundesgericht hat 1997 einer Lehrerin verboten, im Schulunterricht ein Kopftuch zu tragen.

Hinter der Bezeichnung „Kopftuch“ verbergen sich unterschiedliche Formen von Überwürfen. Der „Djilbab“ ähnelt am ehesten dem europäischen Kopftuch; er wird als Überwurf über den Kopf, Schultern und Brust getragen. Der „Tschador“ ist ein langes, meist dunkles Tuch, das sowohl den Kopf als auch den Körper verhüllt und über der normalen Kleidung getragen wird. „Tschador“ kommt aus dem Persischen und bedeutet so viel wie „Zelt“. Der „Tschador“ erlaubt auch, das Gesicht bis auf die Augen zu bedecken.

Eine besonders weit gehende Form der Verhüllung ist die „Burka“, die während der Herrschaft der Taliban in Afghanistan für Frauen zur Pflicht wurde. Sie ist ein einteiliges Kleidungsstück, das den ganzen Körper einschliesslich des Gesichts bedeckt. In Höhe der Augen ist ein Netz eingearbeitet, das das Sehen ermöglicht.

Auch in der islamischen Welt herrscht Uneinigkeit, in welcher Form sich Frauen in der Öffentlichkeit verhüllen sollen. Der Wortlaut des Koran ist nicht eindeutig. In Sure 33,59 heisst es beispielsweise: „Oh Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunter ziehen.“ Im Allgemeinen wird daraus die Pflicht zur Verhüllung abgeleitet. Andere lehnen eine Verpflichtung zum Kopftuchtragen ab, weil sie im Koran eben nicht ausdrücklich gefordert und lediglich eine bereits zu Mohammeds Zeiten bestehende kulturelle Tradition sei.

In islamischen Ländern, deren Regierungen Reformen nach westlichem Muster durchgeführt haben oder durchführen wollten, wurde meist der Versuch unternommen, die islamischen Kleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit abzuschaffen. Diese Sichtweise wurde vor allem in der Türkei radikal vertreten. Ähnliche Neuerungen versuchte auch Schah Reza Pahlewi in Persien. Im Gegenzug symbolisiert die „islamische“ Kleidung in diesen Ländern den Protest gegen die durch die Regierungen repräsentierte westliche, materielle Kultur und steht für die Forderung nach einer Re-Islamisierung von Staat und Gesellschaft.

Autor: Christoph Lennert

Datum: 24.09.2003
Quelle: Kipa

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