Erbauung zu Corona-Zeiten

Bibel-Niederschrift ermutigt indische Christen

Hinter den USA gehört Indien mit 4,7 Millionen Corona-Ansteckungen zum weltweit schlimmsten betroffenen Land. Schuld an dieser Pandemie sollen gemäss den Hindus die Christen und Muslime sein. Jedoch nutzen viele Christen in Indien die Zeit, um in der Bibel zu lesen, da es in ärmeren Teil häufig das einzige Buch im Haushalt ist.
Indische Strassenszene zu Corona-Zeiten (Bild: Open Doors UK)
Rajin Valson vor seiner Bibelabschrift

Indien stellt Tag für Tag mit seinen Corona-Fällen, die jetzt an die 100'000 täglich erreicht haben, neue Rekorde auf. Mit 4,7 Millionen Ansteckungen insgesamt ist die Indische Union das von der Pandemie weltweit am schlimmsten betroffene Land nach den USA mit 6,5 Millionen Infizierten. Die Covid-Erkrankungen nehmen aber in Indien weltweit gesehen am schnellsten zu, suchen Städte ebenso wie Landgemeinden heim. Die Seuche hat ganze indische Bundestaaten in ihren Griff bekommen. Denn die meisten Menschen nehmen sie als eine vom Schicksal verhängte Plage ohne Vorkehrungen hin.

Christen als «Brunnenvergifter» der Corona-Krise

Für viele fanatische Hindus gilt Corona als Strafe der Götter. Die «Kuhesser», das heisst Christen und Muslime, die Fleisch vom heiligen Tier des Hinduismus verzehren, hätten diese Plage verschuldet. Dieser Vorwurf gemahnt an antijüdische «Brunnenvergiftungs-Mären» in abendländischen Pestzeiten. Er könnte für Indiens Christen noch gewalttätige Folgen haben, wenn Corona – wie zu befürchten – noch lange anhält. Für die Buddhisten hingegen ist alles Leben ohnedies Leiden, das geduldig ertragen und nicht bekämpft werden soll. Warum sich mit Masken gegen Unabwendbares schützen?

Indiens Muslime – es sind so viele wie in keinem anderen Land der Welt – trösten sich ebenfalls mit dem Glauben an ein Kismet, Allahs unerforschliche Zulassung des Bösen, von Schmerz und Leid, in seiner Schöpfung. Die vom Corona-Lockdown mit Schliessung von Geschäften und Betrieben, Verkehrsmitteln und Versammlungsorten gewährte Musse nützen viele, um nach dem Koran zu greifen, der im Islam das einzige Gebetbuch darstellt. Viele haben ihn auswendig gelernt, da die Zahl der Analphabeten und auch der Blinden bei den Muslimen – und das nicht nur in Indien – besonders hoch ist.

Christliche Hinwendung zur Bibel

Die fast 30 Millionen indischen Christen suchen in der Corona-Heimsuchung Halt und Trost in der Bibel. Da grössere Versammlungen immer schwieriger und seltener werden, hat sich zum «Home-Office» das Heimkirchentum mit der Bibel als Mittelpunkt gesellt. Das Wort Gottes geht von Hand zu Hand, gemeinsam werden ganze Kapitel laut gelesen und besprochen. Oft wird die Bibel einfach aufgeschlagen. Die geöffnete Stelle dient dann als Losung für den ganzen Tag. In ärmeren Gegenden und bei kleineren Sprachgruppen ist die Bibel oft das einzige Buch, das im Haushalt vorhanden ist.

Schreiben der Bibel in Indien weit verbreitet

An Indiens Südspitze, wo schon der Apostel Thomas das Evangelium verkündet und zumindest Teile der Bibel aus dem Aramäischen in die örtliche Sprache Malabar übersetzt und aufgezeichnet haben soll, hat jetzt ein christlicher Feuerwehrmann in über 100 Tagen wiederholter Corona-Quarantäne fast die gesamte Bibel mit der Hand abgeschrieben. Dazwischen hatte er Kurzarbeit von nur vier Stunden am Tag, was ihm genug freie Zeit liess, den Rest seiner 2'755 Bibelseiten zu vollenden. Der Name dieses – wie er sich selbst nennt – «biblischen Schreibknechts» ist Rajin Valson, wobei Rajin auf Hindi «Mondlicht» bedeutet.

Nicht viele indische Christen tragen noch aus dem Hinduismus stammende Vornamen. Mit seinem Abschreiben der Bibel wurde Rajin Valson jedenfalls als Christ weltweit bekannt. Nachrichten-Agenturen haben ihn zu einer Art Wunderkind hochgestylt. Das mag in unserer westlichen Zivilisation gelten, wo seit Erfindung der Buchdruckerkunst so gut wie keine Bibeln mehr von Hand abgeschrieben werden, wie das in den mittelalterlichen Scriptorien der Fall war. In Indien hingegegen ist das «Schreiben der Bibel» weit verbreitet. Es gilt als Erbauungsübung, hat aber auch praktische Bedeutung.

An der Bibel Lesen und Schreiben lernen

In einem Indien der 122 Sprachen und 3'000 Dialekte muss für Bibelübersetzungen oft sogar erstmals eine Schrift entwickelt werden. Evangelikale und charismatische Gemeinden, besonders die Pfingstkirchen, engagieren sich führend bei dieser Arbeit. In vielen Idiomen geht die handschriftliche Verbreitung der Bibel ihrer Drucklegung voraus. Wichtig vor allem in den Sprachen der Kastenlosen und der Ureinwohner Dalit, die erst an der Bibel Lesen und Schreiben lernen und in den Christengemeinden erfahren, dass sie gleichwertig mit den anderen Kasten sind und sich ihnen nicht mehr unterlegen fühlen.

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Datum: 17.09.2020
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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