Nach den indischen Wahlen

Christen zwischen Furcht und Hoffnung

Der Wahlsieg von Narendra Modis BJP-Partei bedeutet für Christen nichts Gutes. Dennoch lebt in Indien nebst dem Extremismus auch die Tradition der Gewaltlosigkeit in der Person des Enkels von Mahatma Gandhi weiter.
Strasse in Indien
Arun Gandhi

Verendende Kühe an indischen Strassen, die ihrem Schicksal überlassen sind. Wer kennt nicht die bedrückenden Bilder, wer möchte nicht diese Tiere von ihrem qualvollen Sterben erlösen? Aber Vorsicht: Sich ihnen auch nur zu nähern, könnte im heutigen Indien den eigenen Tod durch so genannte «Kuhrächer» bedeuten. Diese Miliz fanatischer Hindus ahndet gewaltsam jede Schlachtung, aber auch einen Gnadenschuss, den Handel mit Rindfleisch oder dessen Transport. In 25 von 29 indischen Bundesstaaten ist das gesetzlich verboten. In allen wird jedoch von der Obrigkeit nichts gegen die Selbstjustiz der «Kuhrächer» unternommen, die auch sonst für Übergriffe auf Andersgläubige verantwortlich sind.

Mehr Gewalt seit Narendra Modis Machtübernahme

Diese Gewalt hat seit dem ersten Wahlsieg des Polit-Hinduisten Narendra Modi 2014 deutlich zugenommen. Mindestens 28 Menschen wurden seitdem von Kuhrächern getötet, eine Vielzahl verprügelt oder sonst misshandelt. Jetzt befürchten indische Menschenrechtler, die Bestätigung Modis bei den Parlamentswahlen vom April und Mai 2019 – noch dazu mit absoluter Mehrheit – könnte die Kuhrächer und andere militante Hindugruppierungen ermutigen, ihre Angriffe auf religiöse Minderheiten zu verstärken, besonders auf Christen. Dazu trage auch Indiens angespannte wirtschaftliche und soziale Lage bei. Das macht die von Hindu-Extremisten auf die Ermordung christlicher Geistlicher ausgesetzten «Kopfgelder» umso verlockender. Es soll sich um Summen von umgerechnet 250 Franken bzw. den Gegenwert in Lebensmitteln oder Brennstoffen handeln.

Kleine Minderheit – und doch rund 30 Millionen

Die Christen stellen mit einem Anteil von zwar nur 2,3 Prozent unter den bald 1,4 Milliarden Indern eine gegen 30 Millionen starke Gemeinschaft dar. Allerdings sind sie über die Weite des indischen Subkontinents verstreut. Und sie verteilen sich auf eine Vielzahl christlicher Gemeinschaften, die zu verschiedenen Zeiten dort Fuss gefasst haben. Die ältesten von ihnen sind mehrere syrisch-orthodoxe Kirchen in Südindien. Nach der Legende sollen sie auf den Apostel Thomas zurückgehen. Im 16. Jahrhundert kam mit den Portugiesen auch die katholische Kirche nach Goa und Lissabons anderen Besitzungen.         

Das evangelische Zeugnis seit Ziegenbalg

Die evangelische weltweite Verkündigung hat überhaupt ihren Anfang in Indien mit Bartholomäus Ziegenbalg (1682-1719) von der Dänisch-Halleschen Mission genommen. Heute leben in Indien 1,3 Millionen Lutheraner, die aber inzwischen von den 2,2 Millionen der reformiert/presbyterianischen «Church of South India» überflügelt wurden. Dazu kommen eine Million Christen von der «Church of North India», je eine halbe Million Methodisten und Baptisten sowie die «Indische Pfingstkirche Gottes». Auch Mennoniten haben zur Verkündigung Jesu in Indien beigetragen.

Der Aufstieg Indiens in der Weltverfolgungsliste

Dort stellen die politisch organisierten Hindus heute eine Hauptbedrohung der Christen dar. Ihnen ist es zuzuschreiben, dass Indien in der Weltverfolgungsliste von «Open Doors» auf Platz 10 kletterte. Die Ummünzung hinduistischen Glaubens und Lebens zur gewalttätigen Ideologie des «Hindutva» geht zwar schon auf die 1920er Jahre zurück. Sie hat aber erst einmal vor und dann wieder massiv nach der Jahrtausendwende als Bharatiya Janata Party (BJP) die politische Führung vor der säkular-toleranten Richtung der Kongress-Partei erlangt und wird heute von Narendra Modi geführt.

Die Hoffnung: Mahatma Gandhis Nachfahre

Wichtigste Hoffnung für Indiens Christen bleiben jene Hindus, die auch jetzt der von ihrem Leitbild Mahatma Gandhi verkündeten und praktizierten Gewaltlosigkeit die Treue halten. Sein Enkel Arun Gandhi ruft zu ihrer Mobilisierung Schulter an Schulter mit den christlichen Mitbürgern auf, um Narendra Modis neuerlichem Wahlsieg entgegenzuwirken: «Dieser ist sehr bedrückend. Indien hat eine lange Geschichte von religiöser Duldsamkeit und Freiheit. Es ist unsere Bürgerpflicht, das aufs Neue sicher zu stellen!»

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Datum: 08.06.2019
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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