Nordkorea

„Die Nächstenliebe wird einzig in der Tat sichtbar“

Nordkorea hungert. Nordkorea friert. Das christliche Hilfswerk ADRA* hilft, ohne nach Schuldigen zu suchen, und verschafft sich dadurch Respekt bei der Regeirung. Herbert Bodenmann, Leiter von ADRA-Schweiz, gibt Auskunft. Daniel Gerber: Was macht ADRA in Nordkorea?
Herbert Bodenmann, Geschäftsleiter ADRA Schweiz.
Waisenkinder in Sariwon mit dem ADRA Brötchen.
Feuer unter dem Lastwagen, wenn der Treibstoff einfriert.
Gewichts- und Grössenkontrolle von ausgesuchten Kindern durch Marcel Wagner, ADRA Geschäftsleiter in Nordkorea.

Herbert Bodenmann: Seit 1999 betreiben wir dort ein Büro. Vier Ausländer und sechs Koreaner arbeiten für uns. Wir engagieren uns für die Sicherheit der Ernährung. Wir verteilen Nahrung an Bedürftige, zum Beispiel an Waisen. Da der Energiemangel ebenfalls gross ist, investieren wir in erneuerbare Energie wie Solarwasserheizer, damit Einheimische Wasser erhitzen können. Dann planen wir auch den Bau von grossen Biogasanlagen. Zudem renovieren wir Spitäler und Kinderkliniken, zusammen mit Unicef und der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Wie kommen Sie mit der Regierung klar?
Wir sind auf deren Wunsch vor Ort, nämlich auf Einladung des nordkoreanischen Botschafters in der Schweiz, Ri Tcheul. Wir sind hochwillkommen. Neben uns ist nur noch Campus für Christus im Land als schweizerisches Hilfswerk tätig.

Vor Ort kämpfen wir mit der Bürokratie. Wir müssen unsere Arbeitsplanung zehn Tage im voraus offenlegen. Wenn wir in eine andere Stadt fahren wollen, brauchen wir eine Bewilligung – wie jeder, der das Land bereist. Aber wir helfen den Menschen, und das spüren sie.

Auch die Dankbarkeit ist enorm. Bei einer Familie errichteten wir eine Versuchs-Biogasanlage. Mittels Gas, das durch das Vergären von Fäkalien gewonnen wird, können sie kochen und zwei Lampen betreiben. Sie waren so glücklich, dass sechs unserer Leute zum Essen eingeladen wurden. Dabei haben sie für sich selbst kaum genug. Das Treffen kam dann aber nicht zustande, weil sie ja keinen Kontakt zu Ausländern haben dürfen.

Wobei die Nordkoreaner wohl nicht wissen dass Sie als Hilfswerk vor Ort sind? Sie vermuten wohl eher das Gegenteil, nämlich dass Sie lernwillige Vertreter aus dem Ausland sind, die nach Nordkorea kommen, um vom «Geliebten Führer» Kim Jong Il zu lernen.
Gemäss ihrer sogenannten Juche-Lehre steht der Mensch im Zentrum und versorgt sich selbst. Nach dieser Ansicht versorgt auch Nordkorea sich selber. Unsere Hilfe wird dargestellt als Hilfe des «Geliebten Führers» für sein Volk. Unsere Mitarbeiter und die Offiziellen wissen aber, dass die Hilfe aus dem Ausland kommt. Der normale Bürger aber nicht, schliesslich darf er keinen Kontakt zu Ausländern haben. Sie sprechen auch nur koreanisch, können also die Aufschriften an unseren Autos nicht lesen. Der spärliche Kontakt erfolgt durch einen staatlichen Übersetzer.

In der Bäckerei, die unser Büro managt, finden 40 Einheimische Arbeit. Diese wissen ebenfalls, dass ADRA etwas mit der Schweiz zu tun hat. Täglich produzieren wir 41'000 Brötchen und verteilen sie. Diese werden von den Einheimischen «Adra-Pang» genannt. Übersetzt heisst dies nichts anderes als «Adra-Brot».

Sie wollen nun expandieren und schaffen doch damit nur eine Zweiklassengesellschaft?
Wir wachsen kontinuierlich. Nordkorea ist wirtschaftlich im Aufbau, und wir helfen dabei mit. Wir fördern die Marktwirtschaft und sind in einer Pionierrolle: Wir eröffnen ein Bäckerei-Ladengeschäft mit Tea Room. Die Einnahmen fliessen dann in die Bäckerei zurück. So lernen die Koreaner, dass ein Ersatzteil nicht vom Staat zur Verfügung gestellt wird, sondern verdient werden muss. Sie lernen, dass der Preis eines Brötchens nach den eigenen Ausgaben berechnet werden muss.

Die Preise werden bewusst zweiklassig gehalten. Die Europäer zahlen höhere Preise als die Nordkoreaner. Diese zahlen in ihrer Währung «Won» auf ihre Verhältnisse adaptierte Preise. Wir sind eines der wenigen derartigen Tee- und Gebäckstuben in ganz Pjöngjang. In dieser wirtschaftlichen Übergangszeit profitieren wir gerne von dieser Zweiklassengesellschaft (von den Europäern).

Inwieweit wurde ihr Werk durch den Besuch der Schweizer Aussenministerin Calmy-Rey aufgewertet?
Die Westschweizer Bundesrätin lobte unser Schaffen und wir erhielten Publizität. In Nordkorea wurde ihr Besuch weniger wahrgenommen als in Europa. Aus verschiedenen Ländern erhielten wir Rückmeldung, und unsere Akzeptanz ist weiter gestiegen; im Zuge davon auch die Unterstützung durch die EU selbst.

Sie «überwintern» jeweils in Nordkorea ...
Als eines der wenigen Hilfswerke bleiben wir auch im Winter vor Ort, was die Einheimischen als kleines Wunder erachten. Wir sind nicht nur von März bis Oktober im Land, sondern das ganze Jahr. Die Winter dort sind sehr streng. Der Diesel in den Leitungen unserer Fahrzeuge friert trotz Winterzusatz während der Fahrt manchmal ein. Dann müssen wir jeweils unter dem Tank und den Dieselleitungen ein Feuer machen, damit wir weiterfahren können.

Wie stehen Sie mittlerweile zur Regierung?
Gegenseitig ist das Vertrauen gewachsen. Die asiatische Kultur ist personenbezogen. Die Regierung kennt uns nun mittlerweile und weiss, dass unser Wort gilt.

Ihr seid ein christliches Werk. In Nordkorea gilt die Juche-Ideologie. Wie gross ist da der Konfliktpunkt?
Wir sind ein Hilfswerk und keine Kirche. Wir betreiben Not- und Entwicklungshilfe. Wir missionieren nicht. Die christliche Nächstenliebe, wird einzig in der Tat sichtbar. Man behandelt uns deshalb mit Respekt. Bei einem Dinner anlässlich einer Staatseinladung erhielten wir Zeit zum Beten. Die Regierenden wussten, dass wir dies vor dem Essen tun.

Sie reisen in ein paar Tagen ebenfalls nach Nordkorea. Wozu?
Projektbesuch und Besuch der Mitarbeiter. Sie haben wenig Beziehungen mit Europäern. Sie leben auf einem Campus für Ausländer, da sie ja zu den Einheimischen keinen Kontakt haben dürfen. Des weitern stehen mir Koordinationsgespräche und Kontakte zu verschiedenen Offiziellen Nordkoreas und mit Geberländern der EU bevor.

* ADRA ist das Hilfswerk der (internationalen) Adventistischen Kirche. Die Abkürzung steht für Adventist Development and Relief Agency. Einer der Schwerpunkte liegt im Aufbau und in der Begleitung sozialer Programme in Asien. Die Arbeit des Werks, das sich auch in der Katastrophenhilfe engagiert (unter anderem im iranischen Erdbebengebiet Bam), begann 1890 in den Slums der amerikanischen Stadt Chicago.

Mehr Infos unter www.adra.ch

Datum: 09.02.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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