Christen im Irak: Saddam ist weg – Abrahams Kinder haben ihn überlebt

Irakischer Christ beim Beten.

Die einen müssen jetzt flüchten, die anderen kehren heim. Für Christen ist im Irak nach Saddams Festnahme alles möglich.

Saddam Hussein ist weg und mit ihm ein Teil seiner «mesopotamischen Mafia». Der letzte Palast des Clanchefs aus Tikrit, der sich selbst pompös als neuen Nebukadnezar gefeiert hat, war zuletzt unter der Erde versteckt und hätte nicht einmal mehr der EU-Norm für Tierhaltung genügt.

Wie geht es weiter?

Die christliche Minderheit hat den zuletzt verdatterten Schlächter von Bagdad überlebt. Was ihrer nun im Irak nach Saddam wartet ist ungewiss und wird es aufgrund der zerstrittenen Fraktionen – selbst innerhalb der schiitischen Mehrheit – vorerst bleiben.

Auf einer Bewegungsfreiheitsskala von 0 bis 10 ist zwischen 0 und 7 alles möglich. Da sind jene Christen welche sich während den Tagen des Rais vom Tigris schadlos halten konnten, in den letzten Wochen aber flüchten mussten. Zum Beispiel nach Damaskus in Syrien. Nicht zuletzt weil radikale Muslime ihre Familie bedrohen, vorwiegend die Töchter. Und da sind jene, die nun ein freieres Leben führen können. Solche, die im kurdischen Norden leben und nun ihren Brüdern im Süden helfen.

«Jetzt kann ich zurück!»

Die christlichen Iraker pflegen ihre Heimat «ard-el-anbia» zu nennen; «Erde der Propheten». Unter Saddam mussten viele Christen das Land verlassen. «Wer geblieben ist wurde unterdrückt. Man kann sich keine schlimmere Ungerechtigkeiten vorstellen», sagte mir ein Exiliraker, den wir aus Sicherheitsgründen einfach «A.»* nennen wollen. «Mit mir flohen Tausende andere Christen. Es war der einzige Weg. Wären wir geblieben, wären wir tot.»

Für ihn hat sich die Situation gewendet. «Jetzt ist die Situation viel besser und in ein paar Monaten wird es noch besser sein», sagt er. «Bald gehe ich für ein paar Monate in meine Heimat. Unter Saddam wäre das nie möglich gewesen.»

Minderjährige werden entführt

Die neue Freiheit im Zweistromland ist aber tückisch. «Leider ist der Irak jetzt zum Tummelplatz für alle fanatischen Muslime geworden, die sich Übergriffe auf Christen erlauben», sagt Michael Hausin von der Hilfsaktion Märtyrerkirche (HMK) in Deutschland. «Auch die einheimischen Fundamentalisten, die unter Saddam unterdrückt wurden, trauen sich jetzt mit ihren Forderungen in die Öffentlichkeit. Christen werden, zumal wenn sie nicht den traditionellen orientalischen Kirchen angehören, schnell mit dem Westen in Verbindung gebracht. Es kommt zu Übergriffen, Häuser und Land der Christen werden besetzt, erste Berichte von Entführungen minderjähriger Christen sind auf dem Tisch.» Die HMK arbeitet überwiegend mit irakischen christlichen Flüchtlingen in den Nachbarländern des Irak. Hausin mahnt zur Vorsicht: «Denn die radikalem Moscheeprediger werden sich von Saddams Verhaftung nicht beeindrucken lassen. Er war nie ihr Mann.»

Irak könnte Modellstaat werden

Etwa 6'000 Christen flohen. Zum Teil vor Beginn des Krieges, weil sie als (evangelische) Christen fürchteten von «John Wayne Hussein» als Kollaborateure des Westens getötet zu werden. Andere flohen nach dem Ende des Krieges, weil Muslime ihnen mit Gewalt drohten, ihr Land besetzten oder Familienangehörige töteten.

Diese Christen werden von den evangelischen Gemeinden in Damaskus und Amman versorgt. Die HMK arbeitet mit einheimischen Diensten zusammen. Koordiniert wird diese Hilfe unter anderem vom Jordanian Evangelical Committee for Relief an Development (JECRaD). Hausin: «Es ist effektiver über solche etablierten und zuverlässigen Organisationen vor Ort zu helfen, als selbst eine „Wessi-Mission“ aufzuziehen, die dann viel administratives Geld verbraucht. Im Irak helfen wir ebenfalls kleinen evangelischen Gemeinden, etwa in Kirkuk, Basra und natürlich Bagdad. Wir haben Kontakt zu einzelnen evangelischen Pfarrern im Land.»

Grundsätzlich ist Michael Hausin optimistisch: «Dieses Land hat eine jahrzehntelange, zum Teil barbarisch grausame Säkularisierung durchgemacht. Die Trennung von Religion und Politik ist eine Erfahrung von Generationen im Irak. Diese Voraussetzung ermöglicht den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen. Verfügt der Irak über eine der Republik treuen Armee und Polizei, kehren die Christen zurück und werden ein wichtiger Teil des neuen Irak sein.»

DVD’s für Ali & Co.

Im ungeordneten Wirrwarr der Mächte entsteht für Christen neben Furcht auch Freiraum. «Seit dem Sturz zählen die Gottesdienste in den Gemeinden im Nordirak bis zu dreimal mehr Besucher», bilanziert David Amstutz. Der Mitarbeiter von «Offene Grenzen» beobachtet aber auch, dass «die traditionellen Kirchen, die unter dem Rais verhältnismässig gut lebten, nun Angst vor einer fundamentalistischen, schiitischen Regierung haben.»

Kerngeschäft des Werks – das sich seit 1991 in den Irak investiert – ist das Projekt «Heart». Zu den wichtigsten Punkten gehören:

- Import von CD’s und DVD’s mit biblischen Geschichten und Zeugnissen für Kinder (Februar 04).
- Ausbildung von Sonntagsschullehrern (April 04).
- Übersetzungen biblischer Geschichten für Kinder (Verteilung ab Mai 04).
- Ein Lobpreisteam aus Ägypten soll im Frühling 04 eine Konzertserie geben.
- Einfuhr christlicher Bücher für Erwachsene.
- Eröffnung eines christlichen Buchladens in Kirkuk.
- Lebensmittel und medizinische Hilfe.

Die Christenheit im Irak soll einen Frühling erleben. In Bagdad wird ein beispielsweise ein Begegnungszentrum renoviert. Im Frühling steht es bereit. «Offene Grenzen» ist um Finanzen und Koordination besorgt. Amstutz: «Aufgrund der unstabilen Situation ist dies nicht ungefährlich. Aber passiert ist bisher nichts.»

Grundsätzlich sehen die irakischen Christen momentan den Sturz Saddams als Öffnung. Offen bleiben die Fragen, wann das Land politisch stabil sein wird, wie die Christen positioniert und ob der Terror gegen sie ausgemerzt werden kann.

* Name der Redaktion bekannt.

Der Autor, Daniel Gerber, hat auch ein Buch zum Irak geschreiben: «Irak – Schüsse im Paradies. Vom Garten Eden zur Weltkrisenregion.» Erschienen im Brunnen-Verlag Basel.

Datum: 03.02.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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