Flackernde Weihnachtslichter in Bethlehem

Bethlehem
„A Season in Bethlehem, Unholy War in a Sacred Place“, Simon & Schuster, New York

In gedrückter Stimmung bereiten sich die Christen von Bethlehem auf das Weihnachtsfest vor. Obwohl die Stadt nicht von israelischem Militär besetzt ist, sagte der Bürgermeister die traditionellen Weihnachtsfeiern ab. Es sollen nur religiöse Zeremonien in kleinem Rahmen stattfinden. Der Newsweek-Journalist Joshua Hammer zeigt in einem neuen Buch auf, wie islamische Militante das Zentrum der Christen in der Westbank zu zerstören suchen.

Wegen der vielen Attentate in Israel kommen kaum noch Pilger oder Touristen in den Geburtsort Jesu, dessen Einwohner einst weitgehend vom Tourismus lebten. Die Einheimischen hoffen auf wenigstens tausend Festgäste. Nach Angaben des Bürgermeisters besuchten letzten Monat nur 5’000 Menschen Bethlehem – im Vergleich zu 120’000 im Rekordjahr 2000. Tausende von Bewohnern haben infolge der seit drei Jahren andauernden Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern ihre Arbeit verloren. Die Tourismusindustrie liegt am Boden, jedes zweite Geschäft soll pleite sein.

Israel hat Jassir Arafat zum drittenmal keine Garantie gegeben, dass er von Bethlehem in seinen eingeschlossenen Amtssitz Ramallah zurückkehren kann. Nach der Übergabe Bethlehems an die palästinensische Autonomiebehörde 1994 hatte der Palästinenserführer regelmässig die Christmette in der Stadt besucht. Von da an wurde Weihnachten auch zu einem (politischen) Fest für Muslime: Tausende von ihnen feierten den Heiligen Abend an der Seite von Touristen und christlichen Pilgern auf dem Krippenplatz.

Kaum Touristen

In den letzten Tagen war er menschenleer. Hier und in der Milchgrottenstrasse, wo ein Andenkenladen neben dem anderen liegt, sind die im Milleniumsjahr neu gestrichenen Eisentüren verriegelt, nun verunziert mit Plakaten waffenstrotzender "Märtyrer", islamischer Selbstmordattentäter, wie der Reporter der katholischen Nachrichtenagentur Kipa schreibt. An der 1’700 Jahre alten Geburtskirche fallen die Einschusslöcher ins Auge. Sie stammen vom April 2002, als israelische Truppen die von palästinensischen Extremisten besetzte Kirche belagerten. Die zerbrochenen Fensterscheiben wurden noch nicht ersetzt.

In seiner traditionellen Vorweihnachtsrede warf Bethlehems Bürgermeister Hanna Nasser Israel am Dienstag vor, für den Niedergang der Stadt verantwortlich zu sein. Im vergangenen Jahr hatte der Vatikan Israel dafür kritisiert, den Zugang zum zentralen Krippenplatz zu stark einzuschränken. Damals stand Bethlehem seit sieben Monaten unter israelischer Besatzung. Kurz vor Weihnachten zog Israel seine Panzer zurück, errichtete jedoch Kontrollposten vor der Stadtgrenze. "Unsere Stadt ist immer noch eine abgeriegelte Stadt", sagte Nasser. "Wir fühlen uns nicht frei, wir fühlen uns wie in einem sehr grossen Gefängnis."

Beschleunigter Niedergang des christlichen Zentrums in der Westbank

Die 2003 von der palästinensischen Führung ausgelöste zweite Intifada hat den Niedergang Bethlehems beschleunigt. Über Jahrhunderte war die Stadt eines der Zentren der arabischen Christen. 1948, als der Staat Israel gegründet wurde zählten sie in der Westbank und im Gazastreifen etwa 110'000 Seelen. Seither hat sich die Zahl mehr als halbiert. Von den etwa 50'000 palästinensischen Christen lebt mehr als die Hälfte in und um Bethlehem.

Viele tausend Familien sind in den letzten 30 Jahren in den Westen emigriert, um dem Druck der muslimischen Umgebung zu entgehen und ihr Überleben zu sichern. Noch alarmierender sind die Zahlen, wenn man vom Jahr 1900 ausgeht. Damals stellten die palästinensischen Christen etwa 17 Prozent der Bevölkerung im Heiligen Land, heute sind es noch 2 Prozent.

Historische Hintergründe

Der Jerusalemer Bürochef des Nachrichtenmagazins Newsweek, Joshua Hammer, leuchtet in einem neuen Buch die Hintergründe des Niedergangs des christlichen Bethlehem aus („A Season in Bethlehem, Unholy War in a Sacred Place“, Simon & Schuster, New York). Während Jahrhunderten hatten die Christen, traditionell die Mehrheit, ein problemloses, oft herzliches Verhältnis zu den muslimischen Nachbarn. Sieben christliche Clans und ein muslimischer dominierten die Stadt. Das benachbarte Beit Jala war seit dem 16. Jahrhundert in der Hand fünf christlicher Clans.

Das Miteinander in der Region erlitt schweren Schaden, als im 19. Jahrhundert die osmanischen Herrscher Christen als Träger und Bedienstete für ihre Armee zwangsrekrutierten. Viele Christen wussten sich nur noch mit der Flucht nach Lateinamerika zu helfen. Von 1918 an herrschten die Briten über das Gebiet. Sie entwaffneten die Beduinen des gewalttätigen Ta’amra-Stammes und zwangen sie zur Aufgabe ihrer nomadischen Lebensweise. Die meisten Stammesleute siedelten sich in Za’atara’ in der unmittelbaren Nachbarschaft Bethlehems an, einige in der Stadt selbst. Laut Joshua Hammer stammt der Kern der Militanten, die nun gegen Israel kämpfen und Bethlehem terrorisieren, aus diesem Stamm.

Kriminelle als Helden des Befreiungskampfs

Hammer schildert in seinem Buch, wie sich jüngere Mitglieder des Stamms in den letzten Jahrzehnten unter israelischer Besatzung radikalisierten. Einige von ihnen sassen während Jahren in israelischen Gefängnissen; nach ihrer Freilassung sannen sie auf Rache. 1994 kam die völlig korrupte palästinensische Autonomiebehörde an die Macht. Die neuen Herren missachteten Recht und Tradition – und in dieser Atmosphäre der Unsicherheit, in der Kriminalität gedieh, gewannen junge Wichtigtuer und Nichtsnutze Oberwasser. Manche von ihnen wurden als Wächter angestellt und bewaffnet – und setzten sich dann vollends übers Recht hinweg. Der US-Journalist schildert den Weg der Familie Abayat aus dem Ta’amra-Stamm. Die Abayats, für ihre kriminellen Machenschaften und rohe Gewalt berüchtigt, wandelten sich zu einer „gutorganisierten Schocktruppe der al-Aqsa-Intifada“.

Die Bethlehemer Christen litten genauso wie ihre muslimischen Nachbarn, doch Hammer fand in seinen Interviews mit ihnen nicht den Hass auf Israel, der ihm bei Muslimen regelmässig entgegenschlug. Am schlimmsten wüteten die Ta’amra-Leute in Beit Jala. Organisiert in der Tanzim-Miliz, besetzten sie im Herbst 2000 mit Gewalt (die Autonomiebehörde sah tatenlos zu) christliche Häuser und bestrichen von ihnen aus die benachbarte jüdische Vorstadt Gilo mit Feuer, worauf die Israelis diese Häuser der Christen kaputtschossen. In Mafia-Manier erpressten Ta’amra-Kämpfer Schutzgelder von den Geschädigten.

Altes Misstrauen, teuflische Gewaltstrategie

Die Christen Bethlehems äusserten sich Hammer gegenüber zornig über die Vergeltungsakte Israels und die Abriegelung ihrer Stadt, aber für Arafats Behörde hatten sie nur Verachtung und abgrundtiefes Misstrauen übrig. Das Misstrauen wuchs schon seit den 1930er Jahren, als sich die Araber gegen die Briten erhoben.

Immer wieder haben Muslime seitdem in Beit Jala Grundstücke zu kaufen versucht, mit dem Ziel, den christlichen Charakter des Orts zu untergraben. In den 80er Jahren wanderten viele einheimische Christen aus, und die muslimischen Vorstösse hatten zunehmend Erfolg, erst recht ab 1995, als Arafats Behörde die Kontrolle übernahm. 1999 schrieben die christlichen Bürger von Beit Jala an die israelische US-Botschaft, die Autonomiebehörde habe sich vorgenommen, „die christliche Bevölkerung zu vertreiben und sie durch Muslime zu ersetzen“. Sie äusserten die Befürchtung, die christliche Prägung des Orts werde innert weniger Jahre ruiniert sein; es würden nur vereinzelt Christen übrig bleiben.

Christen sagten Hammer, dass die Intifada-Strategen die Hölle in Beit Jala auch darum in Kauf nahmen, weil sie hofften, die Christen so weiter gegen Israel aufbringen und radikalisieren zu können. Im März 2002 hatte die Tanzim-Miliz auch den Kern von Bethlehem unter ihre Kontrolle gebracht, die Polizei verdrängt, ein eigentliches Terror-Regime errichtet. Es folgte, als Israel nicht länger zusehen mochte, die schändliche, weltweit beachtete Besetzung der Geburtskirche...

Datum: 24.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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