Feiern im Epizentrum des Nahostkonflikts: Christlich-jüdische Freundschaft während des Laubhüttenfests

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Prominenter Gast: Ministerpräsident Ariel Sharon mit Malcolm Hedding und Michael Utterback von der ICEJ
Im Epizentrum des Konflikts: der Jerusalemer Tempelberg

3'500 Christen aus 60 Ländern haben vom 11.-17. Oktober 2003 in Jerusalem das jüdische Laubhüttenfest Sukkot auf ihre Weise mitgefeiert, unter ihnen mehrere hundert Schweizer und Deutsche. Die Internationale Christliche Botschaft in Jerusalem (ICEJ) organisiert seit 1980 die Konferenzwoche mit Seminaren und Lobpreiszeiten während des Sukkot-Fests zur Unterstützung des jüdischen Volks und des aus der zionistischen Bewegung heraus entstandenen israelischen Staats.

Messiaserwartung: Kontroverse vor dem Jerusalem-Marsch

Die Teilnehmer bildeten am 14. Oktober fast die Hälfte der Teilnehmer des jährlichen Jerusalem-Marsches. Ihre Teilnahme war von der Stadtregierung ausdrücklich bewilligt worden, nachdem sich die Stadträtin Mina Fenton dagegen ausgesprochen hatte.

Fenton stiess sich an Posters, mit denen die Marschierenden in früheren Jahren bekannt hatten, dass sie „in den Spuren von Jesus“ gingen. Die Christen gäben vor, Israel zu unterstützen, sagte die Politikerin laut einer Zeitung, doch zielten sie in Tat und Wahrheit darauf ab, „den Messias, wenn er existiert, rascher zu bringen“.

Einander verstehen, zu einander stehen

Mit der tschechischen ICEJ-Gruppe marschierte laut dem Bericht des Veranstalters Martin Janecek, dessen Eltern den Holocaust überlebten. Für Janecek ähnelt die Freundschaft zwischen Juden und Christen der Ehe seiner Eltern (jüdische Mutter, christlicher Vater).

Er sagte: „Christen müssen das Judentum verstehen und Juden das Christentum, denn wir wurden beide von drei Feinden herausgefordert: von Nazis, dem Kommunismus und dem Islam“.

Jerusalems Bürgermeister: „Sie lieben die Stadt“

An der Abendveranstaltung nach dem Marsch dankte der neue Jerusalemer Bürgermeister, der ultra-orthodoxe Politiker Uri Lupoliansky, den Gästen, die in einer Zeit der Ungewissheit und Spannung hergekommen seien, um die Einwohner zu stärken. Auf Neuhebräisch fuhr er fort: „Ich weiss, dass Sie nicht bloss hergekommen sind, um Vorträge zu hören, sondern um die Stadt zu spüren und zu lieben. Sagen Sie Ihren Freunden, dass auch sie kommen sollen – das ist Ihr Beitrag in diesem Land.“

Die grösste Delegation an der Konferenz stammte wie schon in den vergangenen Jahren aus Brasilien. 450 Brasileiros setzten im Treffen unübersehbare farbige Akzente, wogegen die zehn Italiener – die kleinste Vertretung – kaum auffielen. Ein Italiener sagte, dass den Israelfreunden in seinem Land ein steifer Wind entgegenbläst, der mit dem „psychologischen Terror in den Medien“ zu tun habe.

Ariel Sharon: keine Kompromisse bei der Sicherheit

Ein Höhepunkt der Woche war wohl für die meisten Teilnehmer der Besuch von Ministerpräsident Ariel Sharon, für den die Sicherheitschecks im Konferenzzentrum massiv verstärkt wurden. Der Regierungschef begrüsste seine Zuhörer in der „Hauptstadt des jüdischen Volks über die letzten 3000 Jahre, der für immer vereinigten und ungeteilten Hauptstadt des Staates Israel“.

Sharon sagte, der Krieg der Araber gegen Israel habe vor über 120 Jahren begonnen; zu Grunde liege ihm die Weigerung der arabischen Welt, „das Geburtsrecht des jüdischen Volks auf einen demokratischen, jüdischen Staat in der Heimat unserer Vorfahren, der Wiege des jüdischen Volks, anzuerkennen und sich damit abzufinden“.

Sharon betonte, dass Israel, die einzige Demokratie des Nahen Ostens, sich nie und nimmer von Gewalt und Terror werde unterkriegen lassen, und erklärte, für den dauerhaften Frieden, den der Staat suche, sei seine Regierung zu schmerzhaften Opfern bereit, „aber ohne Kompromisse für die Sicherheit Israels und seiner Bürger“. Er sehe es als seine historische Verantwortung, für den Schutz des Volks zu sorgen.

Umstrittener Tempelberg – Kritik an der Schweiz

Dann kam Sharon auf den Tempelberg zu sprechen. Erst seit der Wiedervereinigung Jerusalems im Sechstagekrieg 1967 hätten die Gläubigen verschiedener Religionen ungehinderten Zutritt. Und „nur wenn die heiligen Stätten unter unserer Kontrolle sind, wird diese Freiheit weiter bestehen – nur dann“.

Indirekt bezog sich Sharon dabei auch auf eine von der Eidgenossenschaft unterstützte Friedensinitiative (das Departement für Auswärtiges in Bern bietet in vielen Konfliktgebieten Gute Dienste an). Linke israelische und gemässigte palästinensische Politiker hatten Tage zuvor in Jordanien ein Dokument erarbeitet, das wegen des Orts der geplanten Unterzeichnung „Genfer Abkommen“ genannt wird. Es sieht unter anderem vor, dass Israel einen Teil der Siedlungen räumt und auch den Jerusalemer Tempelberg sowie das armenische und das arabische Viertel der Altstadt den Palästinensern überlässt.

Die palästinensische Seite würde im Gegenzug auf das Recht zur Rückkehr der Flüchtlinge verzichten. Dieser Plan, in Israel vom früheren Labour-Chef Amram Mitzna präsentiert, stiess in Sharons Kabinett auf scharfe Ablehnung, und auch Ex-Premier Ehud Barak, der den Palästinensern in den Verhandlungen im Sommer 2000 bezüglich Jerusalem weit entgegengekommen war, bezeichnete das Papier als trügerisch.

Abschliessend dankte Sharon, ohne die schweren Nöte seines Amts zu verheimlichen, den Anwesenden für ihre Solidarität und ihren Glauben an das Land, den jüdischen Staat.

Orthodoxe Russen tun Busse für Jahrhunderte des Judenhasses

Die Tagesberichte der Veranstalter, nachzulesen auf der Homepage www.icej.org , erwähnen zahlreiche weitere Momente der Konferenz, zu der traditionell ein Israeli-Abend gehört. An diesem Anlass, bei dem messianisch-jüdische Lieder einen besonderen Stellenwert haben, nahmen gegen 2'000 Einheimische teil.

Sie wurden Zeugen eines bewegenden Bekenntnisses: Als Sprecher einer Gruppe russisch-orthodoxer Priester tat Vater Joseph Busse für den in seiner Kirche verbreiteten Judenhass und drückte das Verlangen aus, dass sie mit ihrer Vergangenheit brechen könne.

Die orthodoxen Russen waren gekommen, um den Aufruf Gottes, ergangen durch den Propheten Jesaja zu befolgen: Tröstet, tröstet mein Volk! Es sei an der Zeit, sagte Vater Josef, dass die Orthodoxen anderen Christen folgten, welche erkannt hätten, dass jetzt der Allmächtige die gewaltigen Verheissungen für sein Volk und durch es für alle Völker erfülle. „Wir sind gekommen, um den Herzschlag Israels zu fühlen“, sagte der Geistliche aus Russland.

Ehrung israelischer Busfahrer

An einem weiteren Abend ehrten die Teilnehmer des ICEJ-Festes die israelischen Busfahrer. Fünfzig Busfahrer der staatlichen Egged-Gesellschaft wurden in ihren dunkelblauen Uniformen auf die Bühne gerufen und unter tosendem Applaus mit roten Rosen beschenkt.

Die Israeli sind auf das Netz mit den 4'100 Bussen angewiesen, die täglich eine Million Kilometer zurücklegen. Der ICEJ-Exekutivdirektor Malcolm Hedding bezeichnete die Fahrer als Champions der israelischen Gesellschaft, die sich vom Terror nicht schrecken lasse.

Seit September 2000 sind angeblich über 200 Egged-Busse beschossen, beworfen, angegriffen oder gesprengt worden. Mehr als 20 dieser Attacken wurden von Selbstmordattentätern begangen. Dabei wurden 25 Fahrer verletzt und einer getötet. Einer der eingeladenen Busfahrer, Eli Ben Shushan, sagte vor Medienleuten: „Wir stehen täglich auf und gehen zur Arbeit im Wissen, dass wir vielleicht nie zurückkommen.“

Datum: 23.10.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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