Rio: Karneval, Kirche und Kondome

Jesusstatue über Rio, aber nicht mit seiner Gesinnung in Rios Strassen während dem Karneval.
Kardinal Eusebio Scheid

Bereits Wochen vor dem weltberühmten Karneval von Rio hat sich ein heftiger öffentlicher Streit um Sex-Darstellungen und Kondome entzündet. Anlass ist die Absicht der grossen Sambaschule "Academicos do Grande Rio", mit gigantischen, teils beweglichen Figuren, darunter Adam und Eva, aber auch Tausenden von Tänzern die Liebesstellungen des indischen Kamasutra zu demonstrieren.

Als Motto für den Umzug wählte die Sambaschule den Gebrauch von Kondomen zur Aids-Prävention. Damit wird eine von der Regierung gestartete Anti-Aids-Kampagne unterstützt. Die katholische Kirche kritisiert dies vor allem mit dem Argument, dass Kondome keineswegs 100%-Schutz vor Ansteckung bieten.

Rios Kardinal Eusebio Scheid wandte sich energisch gegen die Pläne der Sambaschule. Der Karneval könne ein wunderschönes Fest sein - deshalb müsse verhindert werden, dass er weltweit in Misskredit gerate. Anstössige Szenen sollten durch die Justiz verhindert werden, so der Kardinal: "Unsittliche Darstellungen verderben das Fest und stören den allgemeinen Frieden." Allerdings liess er bislang offen, ob seine Diözese entsprechende juristische Schritte ins Auge fasst.

Angegriffene kontern

Joaozinho Trinta, künstlerischer Leiter von "Academicos do Grande Rio", verteidigte seine Konzeption und warf der Kirche vor, mit "Pädophilie und sexuellen Ausschweifungen" in den eigenen Reihen nicht fertig zu werden. Wie könne man daher erwarten, dass das einfache Volk, ohne Bildung, Kultur und Bedingungen zum Überleben, für die "Ideale der Heiligkeit" vorbereitet sei? Katholische Frauen, die den Normen der Kirche folgten, würden durch ihre Männer mit Aids infiziert.

Er räumte ein, dass Sexualität heute tatsächlich ausgebeutet werde. Das spreche aber nicht gegen seinen Umzug. Das Kamasutra zeige schliesslich den edelsten Moment der menschlichen Natur. Die Direktion der Sambaschule zeigte sich von den Äusserungen ihres künstlerischen Leiters unangenehm überrascht und suchte eine Verständigung mit dem Kardinal; sie lud ihn sogar zu einem Besuch der Karnevalswerkstatt ein.

Slogan geändert

Die Regierung wird wie jedes Jahr vor Aschermittwoch hunderttausende Kondome verteilen lassen, änderte jedoch mit Rücksicht auf die Kirche den vorgesehenen Slogan der Kampagne. Sie erkannte die Verwendung des Begriffs "Glauben" in Bezug auf die Wirkung des Kondoms als unnötige Provokation. Nun heisst es statt "glaube daran": "Durchs Präservativ gehts nichts durch. Benutze es und vertraue darauf."

Zuvor hatte das Gesundheitsministerium zwar den Beitrag der Kirche im Kampf gegen Aids und bei der Betreuung von Infizierten gewürdigt, gleichzeitig aber in ungewöhnlicher Schärfe betont: "Die Kirche irrt, wenn sie darauf besteht, dass Kondome nicht schützen - und kann damit ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen."

„Sex-Verherrlichung“

Die Bischöfe verweisen immer wieder auf eine zunehmende Dekadenz des Karnevals. Zwar sei er das grösste und sinnlichste Spektakel der Erde; die Grandiosität der Umzüge und die Kunst der Musiker und Tänzer gerieten jedoch immer mehr ins Hintertreffen. Stattdessen gehe es um Sex-Tourismus und Sex-Kult. Den Verantwortlichen sei jeglicher Sinn für moralische Werte abhanden gekommen. Die Verteilung von Kondomen und die Einnahme von Steuern seien wichtiger als die Würde des Menschen. Zudem werde der falsche Eindruck erweckt, dass es derzeit weniger Aids-Tote gebe, weil die Bevölkerung mehr Präservative verwende. Dabei werde unterschlagen, dass die Zahl der Infizierten deutlich gestiegen sei.

Präservative zu benutzen, bedeute eben keineswegs "safer Sex", sondern fördere die Promiskuität, beklagt die Kirche. Zwar fördere die Gesellschaft eine überdrehte Sex-Verherrlichung, beklage dann aber zunehmende Kinderprostitution und sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Nach jüngsten Statistiken beginnt ein Grossteil der brasilianischen Heranwachsenden sein Sexualleben inzwischen bereits mit elf oder zwölf Jahren. Die Zahl der Frühschwangerschaften nimmt besonders in der Unterschicht stark zu.

Autor: Klaus Hart

Datum: 03.02.2004
Quelle: Kipa

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