«Haben wir das Evangelium nicht in letzter Konsequenz angenommen?»
Manfred
Tanner, Theologe und Erwachsenenbildner FA ist bestürzt, wie wenig das Problem
der Pornografie von Christen als solches erkannt wird. Es wird oft kleingeredet
und verdrängt – ein Hinweis, dass sich dahinter ein viel grösseres Problem
verbirgt.
Manfred Tanner (Bild: zVg)
«Keiner hat ein Problem mit Selbstbefriedigung»,
so zumindest kam es Manfred Tanner in seiner Jungendzeit vor. «Wo immer ich das
Thema ansprach, war die Reaktion so, als gäbe es keine Probleme auf dem Gebiet
der Sexualität.»
Ein Bekenntnis mit grosser Wirkung
Konnte es wirklich sein, dass Manfred der einzige
war, der mit seiner Sexualität herausgefordert war? Es war dann ein etwas älterer,
reifer Christ, welcher ihn mit einem ehrlichen Bekenntnis überraschte. «Kopf
hoch, junger Mann, da bin ich auch nur auf allen Vieren hindurchgekommen.» Eine
Aussage mit grosser Wirkung. In seinen Herausforderungen verstanden zu werden,
war befreiend. «Es half mir, meinem eigenen Leben in die Augen schauen zu
können.» Und er sollte zunehmend davon überzeugt werden, dass die meisten
Männer auf dem Gebiet der Sexualität ihre Kämpfe haben.
Als das Internet aufkam…
Als das Internet aufkam, vermittelte ein
Informatiker einer Gruppe von Predigern das Grundlegende dazu. Zum Ende wies er
seine Zuhörer auf die Falle der Pornografie hin und bot an, einen Filter zu
installieren. «Sofort hob ich die Hand.» Manfred war der einzige. «Du musst
lernen, damit umzugehen», war die allgemeine Meinung. «Es kam mir vor wie
damals, als ich über Selbstbefriedigung sprach: Niemand schien ein Problem zu
haben.» Er selbst wollte sich den Stress mit der Versuchung jedoch nicht antun.
«Wenn ich damals an einem Kiosk vorbeiging, ertappte ich mich
immer wieder bei einem Blick in Richtung der Sexmagazine.» Er kannte sich
selbst genügend gut, um die Versuchung ernst zu nehmen.
Christsein: Echt und transparent
Vor 30 Jahren begegneten Manfred und seine Frau
Christen, die ihren Glauben auf eine Art lebten, wie sie es bis dahin noch
nicht erlebt hatten. «Egal welche Probleme wir ihnen schilderten, fühlten wir
uns von ihnen geliebt. Sie sahen nie nur unsere Schwierigkeiten, sondern auch,
was Gott aus unserem Leben machen konnte.» Diese Begegnungen bereiteten den Weg
zu einer befreienden Offenheit. Es ging darum, Probleme beim Namen zu nennen,
ohne sich von ihnen identifizieren zu lassen.
Auch weitere Begegnungen hinterliessen Spuren in
Manfreds Leben. «Ein Arzt bekannte seine Herausforderungen, Frauen zu
untersuchen und ein Seelsorger sagte, dass seit dem Sündenfall die meisten
Männer eine polygame Veranlagung hätten.» Solche Aussagen konnten zwar eine schockierende
Wirkung haben, zeigten Manfred aber, dass wir letztlich alle aus dem gleichen
Holz geschnitzt sind.
Wir müssen einander nichts vormachen
Webseite «Porno-frei»
«Ich bin dankbar, dass ich vor der Pornofalle
verschont wurde», sagt Manfred. «Heute weiss ich aber, dass mich dies nicht
besser dastehen lässt als die vielen, denen dies nicht gelang.» Er weiss um
die Versuchung, die in ihm schlummert. «Der Konsum von Pornografie macht einen
Mann nicht zu einem grösseren Sünder. Sie verstärkt aber die schlechten
Veranlagungen, die ohnehin schon in ihm drin stecken.» Deshalb hat er sich auch
gegen eine Verstärkung seiner ungesunden sexuellen Veranlagung gewehrt.
«Wir müssen uns voreinander nicht verstecken»,
ist Manfred überzeugt. Er selbst hat erlebt, welche Kraft Ehrlichkeit und
offener Austausch haben. «Als meine zwei Söhne älter wurden, stellte ich mir
die Frage: Wie spreche ich mit ihnen über die Herausforderungen der Sexualität?»
Die riesige Menge frei zugänglicher Pornografie ist ein Grossangriff auf die
Jugend. «Da legte sich eine grosse Last auf mich und es drängte mich, für
jüngere Männer da zu sein.» Durch die Stiftung «Xungs Läbe» will er zusammen
mit dem Mitarbeiter Roland Mürner einen Beitrag für mehr Ehrlichkeit von Männern
leisten und sie beim Ausstieg aus der Pornosucht unterstützen. Seit mehreren
Jahren treffen sie sich regelmässig mit einer Gruppe von Männern. Sie machen
sich auch für das Entstehen von weiteren Aussteigergruppen in ihrer Region
stark. In kleinen Gruppen treffen sich Männer zum
gegenseitigen Austausch.
Das eigentliche Problem liegt tiefer
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte war Manfred oft
erstaunt, wie sexuelle Probleme in der christlichen Gemeinde versteckt und verleugnet werden. «Das eigentliche
Problem für den vorliegenden Missstand scheint mir nicht die Scham zu sein, wie
oft angenommen wird. Es liegt tiefer», erzählt er mit ernster Stimme und hält dann
fest: «Wir haben das Evangelium nicht in letzter Konsequenz angenommen. Wenn wir dies nämlich tun, erkennen
wir Gottes totale Annahme, welche uns unabhängig unserer persönlichen
Schwierigkeiten gilt.» Und dann gäbe es ja keinen Grund mehr für
Versteckspiele.
Manfred fragt sich, wie sehr wir tatsächlich in
der (viel gelobten) christlichen Freiheit leben, wenn wir so sehr bemüht sind,
persönliche Probleme voreinander zu verstecken. Daraus folgert er: «Wir haben
das Evangelium noch nicht in seiner Tiefe verstanden, deshalb mühen wir uns
mehr, gut dazustehen, als voll und ganz zu uns zu stehen! Das Streben, sich als
guter Christ darzustellen, ist auf jeden Fall keine Frucht des Evangeliums.» Diese
Tatsache schmerzt Manfred sogar noch mehr als das flächendeckende Problem der
Pornografie.
Datum:
23.11.2020 Autor: Markus Richner-Mai Quelle: Livenet
Kommentare
Submitted by Piit on 24. November 2020 - 10:09.
In einer geschützten Umgebung die Herausforderungen mit der Sexualität ansprechen, Sünde aller Art nicht bagatellisieren und sich wo immer möglich radikal vor Versuchungen schützen ('Auge ausreissen, Hand abhacken' bzw. 'flieht die Unzucht!') sind wichtige Dinge. Die heutige Kraftlosigkeit von uns Christen hängt m.E. eng damit zusammen, dass wir Sünde nicht mehr ernst nehmen und zulassen, wie Persönlichkeiten, Beziehungen und Familien zersetzt werden. Haben wir vergessen, dass wir anhand unserer Taten gerichtet werden? Missbrauchen wir die Gnade? Gott lässt sich nicht spotten! Er schenke uns Gnade zur grundlegenden Umkehr, damit wir ganz für Gott leben.
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