Podium Vereinigte Bibelgruppen

«Wer liess den Urknall knallen?»

Der Anfang der Welt gibt in der Schule zu reden - und dies schlägt in der Öffentlichkeit Wellen. Seit März sind gläubige Pädagogikstudierende und Lehrpersonen im Fokus; Medien unterstellen ihnen den Drang zu religiöser Beeinflussung von Schülern. Um das Feld auszuleuchten, luden die Vereinigten Bibelgruppen prominente Vertreter zu einem Podium.
Engagement: Das Podium in der Aula der Uni Bern fand grosses Interesse. (Fotos: Fritz Imhof)
Wenn der Lehrer gefragt wird, soll er den Glauben bekunden: Beat W. Zemp vom Lehrerverband.
Wilf Gasser
Kein Problem
Gespräch ja, Beeinflussung nein: Irene Hänsenberger versuchte die Abgrenzung…
…die Freidenkerin Reta Caspar erhob dagegen weitgehende Forderungen.
Daniel Kummer
Markus Häfliger führte ruhig durch das Podium.

Wie viele «Fromme» in der Schweiz als Lehrpersonen arbeiten oder es werden wollen, weiss niemand. Der Medienhype ist nur heisse Luft, wenn man nachfragt. Am VBG-Podium «Fromme Lehrer» am 2. November in Bern sagte Beat W. Zemp, Präsident Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH: «Es gibt keine Zahl, keine Erhebungen. Wir wissen es nicht.» Dass bei 100'000 Lehrpersonen im Land mehr als drei Prozent bekennende Christen sein könnten, ist nicht auszuschliessen. Denn viele Christen sähen einen Auftrag, für Mitmenschen tätig zu werden, sagte Wilf Gasser, Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.

Als völlig haltlos bezeichnete Gasser die mediale Unterstellung, die Freikirchen drängten mit einer Strategie in die Schulen. Der gebürtige Luzerner Hans Ambühl, Generalsekretär der Erziehungsdirektorenkonferenz EDK, erinnerte daran, dass zu den Gläubigen auch manche Katholiken zu zählen wären...

Wertneutralität als Keule

Die VBG, die Vereinigten Bibelgruppen, deren Pädagogikzweig 450 christliche Lehrer vernetzt, hatten das Podium unter Leitung von Markus Häfliger (NZZ am Sonntag) organisiert - und es kamen 150 Personen in die Aula der Uni Bern. Gasser kritisierte, dass mit der Forderung, der Lehrer habe wertneutral zu sein, eigentlich gegen die Vermittlung christlicher Werte agitiert werde. «Ein engagierter Lehrer kann nicht anders, als seine Werte einfliessen zu lassen.» Engagement aus Überzeugung sei gerade in Klassen mit vielen fremdländischen Kindern notwendig.

Abendländische Werte

Reta Caspar, die die Freidenker vertrat, betonte, dass zu den abendländischen Werten seit der Aufklärung Humanismus, Verantwortung, Toleranz und Selbstbestimmung gehörten - auch wenn das bekennenden Christen nicht passe. «Sie bekommen Probleme, weil sie sich nicht neutral verhalten.» Manche könnten nicht zurückhalten, was sie im Herzen hätten.

Caspar forderte darum einen Eignungstest beim Abschluss der Pädagogen-Ausbildung - was auf dem Podium auch Schmunzeln auslöste. Mit einigem Erstaunen nahm das Publikum Caspars Bemerkung auf, christliche Bekenntnisschulen sollten überhaupt verboten werden. Die Freidenker wollen einen Vorstoss lancieren, damit Teenager schon vor 16 als religiös mündig gelten.

«Ich darf nicht Schüler in meiner Form beeinflussen»

Irene Hänsenberger, die das Schulamt Bern leitet, forderte, dass die Lehrerin/der Lehrer die Auseinandersetzung über die Themen führt - aber «ich darf nicht Schüler in meiner Form beeinflussen». Gebe es derartige Konflikte, würden sie in aller Regel in der jeweiligen Schule ausgetragen und gelangten nicht bis ins Schulamt.

Zemp führte aus, als Repräsentant des Staats könne der Lehrer, wenn gefragt, seinen Glauben darlegen, auch begründen - doch er dürfe andere Anschauungen nicht abwerten. Für Ambühl wäre ein Unterricht nicht deshalb unzulässig religiös, weil Werte zum Ausdruck gebracht werden, «sondern wenn über gemeinschaftlich etablierte Werte hinaus gehend metaphysische Inhalte thematisiert und religiöse Handlungen erklärt und eingeübt werden.» Nach der Erfahrung des EDK-Vertreters verursacht religiöser Übereifer von Lehrpersonen kaum Probleme, im Umgang mit mehreren Religionen seien Lehrpersonen landesweit zunehmend überfordert.

Urknall oder/und Gott

Mit einem Fall, der ihr kürzlich zugetragen wurde, landete Caspar beim internationalen Streitthema Evolution(stheorie) contra Schöpfung(sglaube): In der Geschichtsstunde habe die Lehrerin die Weltentstehung zum Thema gemacht und ihre Viertklässler eingangs gefragt: Wer glaubt an den Urknall - wer an Gott? Kinder dürften nicht in Entscheidungssituationen hineingedrängt werden, kommentierte die Freidenkerin.

Der Gymnasiallehrer und VBG-Vertreter Daniel Kummer wertete es andererseits als problematisch, wenn die Evolutionstheorie zur Welterklärung benutzt werde und dabei einen quasireligiösen Charakter erhalte. Selbstverständlich könne, so Beat Zemp, ein Lehrer, der die Evolutionstheorie im Unterricht vermittelt hat, sich nachher als Gläubiger outen. Denn der Glaube an Gott sei mit Evolution vereinbar. «Auch führende Wissenschaftler schliessen Gott nicht aus. Wer liess den Urknall knallen?»

Werte vermitteln - und Sinn?

Gasser, von Haus aus Mediziner, kritisierte, dass mit der Evolutionstheorie Gott wegerklärt und ausgeschlossen wird. Reta Caspar hielt dagegen, Wissenschaft werde durch Schöpfungsglauben relativiert und abgewertet, als eines von mehreren Erklärungsmodellen. Die Schule solle «Wissen vermitteln und Werte - nicht aber Sinn». Gasser konterte, auch mit der Evolutionstheorie geschehe das, wenn abgeleitet werde, dass der Stärkere überlebt: «Das beisst sich mit der Solidarität mit Schwächeren.» Für Hans Ambühl sind Sinn- und Wertfragen nicht eindeutig zu trennen. Je älter die Schüler, umso freier könne so ein Dialog geführt werden, umso eher seien Positionserklärungen möglich.

Werte (nicht) religiös begründen

In der Plenumsdiskussion wurde betont, eine «neutrale» Schule gebe es nicht. Ein erfahrener gläubiger Lehrer sagte, er versuche Kinder «das Staunen zu lehren, damit sie Sorge tragen zur Natur». Zum Lachen brachte Caspar die Zuhörer mit der Bemerkung, sie kenne keine missionierenden Atheisten. Und betonte: «Werte müssen begründbar sein unabhängig vom Glauben - es funktioniert sonst nicht.» Denn Gott als Begründung gelte nicht für alle im Schulzimmer.

Hans Ambühl hielt indes fest, der Umgang mit Religiosität sei ein wesentliches Element des staatlichen Bildungsauftrags. Eine Neutralität der Lehrerin und des Lehrers, «die von persönlichen Haltungen abstrahiert», könne nicht die Lösung sein. Gasser fügte an, pädagogische Hochschulen sollten das Streiten über eben diese Fragen ermöglichen.

Links zum Thema:
Gefährden christliche Lehrer die konfessionelle Neutralität der Schule? Fünf Thesen der VBG 
Livenet-Artikel: Christliche Lehrer - Gefahr für Schüler?

 

   

Datum: 04.11.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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